Es bleibt „fünf vor zwölf“

Seit einem Jahr: Protest gegen politische Gleichgültigkeit gegenüber Tausenden im Mittelmeer ertrinkender Flüchtlinge

Mahnwache mit langem Atem: Vor einem Jahr begannen die engagierten Christen mit den Demonstrationen. Zum denkwürdigen Jubiläum vergangenen Samstag waren (v. r.) Alexandra Lauterbach, Marita Wetzel, Erik Pühringer, Rebekka Narres, Annemarie Fuß und Walter Wolfgarten zur Stelle. (c) Manfred Lang/pp/Agentur ProfiPress
Mahnwache mit langem Atem: Vor einem Jahr begannen die engagierten Christen mit den Demonstrationen. Zum denkwürdigen Jubiläum vergangenen Samstag waren (v. r.) Alexandra Lauterbach, Marita Wetzel, Erik Pühringer, Rebekka Narres, Annemarie Fuß und Walter Wolfgarten zur Stelle.
Datum:
25. Nov. 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 48/2020 | Manfred Lang

Für ein Ende des mutwillig in Kauf genommenen Flüchtlingssterbens im Mittelmeer protestieren der Mechernicher Pfarrer Erik Pühringer und bis zu zwei Dutzend Gesinnungsfreunde  seit einem Jahr jeden Samstag unter dem Motto „Fünf vor zwölf“ am Eingang zum Mechernicher Rathaus in der Bergstraße.

„Am Volkstrauertag 2019 habe ich die Dauerdemonstration angekündigt und am Samstag des Christkönigsfestes eine Woche später haben wir mit einem halben Dutzend Mitstreiterinnen und Mitstreitern erstmals Mahnwache vor der Stadtverwaltung bezogen,“ erzählt Erik Pühringer. Seither haben das schlichte Holzkreuz und das Plakat mit der Aufschrift „Das Mittelmeer ist kein Friedhof“ sonnabends selten in der Nachbarschaft von Straßenbistros und Polizeiwache in der unteren Bergstraße gefehlt.

Nur auf dem Höhepunkt der ersten Corona-Welle haben Pfarrer Pühringer, Gemeindeassistentin Rebekka Narres, Küsterin Marita Wetzel und viele engagierte Laien einige Wochen Pause gemacht. Prominentester Zaungast sei bislang der Landtagsabgeordnete Klaus Voussem aus Euskirchen gewesen. Er habe zumindest in Aussicht gestellt, die Anliegen der Mechernicher mit ins NRW-Landesparlament und in den Landesvorstand seiner Partei zu nehmen. Das Medieninteresse an der Mechernicher Mahnwache war anfangs sehr groß, habe aber schnell nachgelassen, berichtet Erik Pühringer der Mechernicher Presseagentur „ProfiPress“.


Manchmal schon frustrierend 

Es sei manchmal schon ein wenig frustrierend, wie wenig Durchsetzungskraft die Menschen dem gewaltfreien Protest zutrauen. „Wir bekommen viel Zuspruch von Passanten, aber nur wenige stellen sich solidarisch zu uns“, sagt Pühringer, wie das am Samstag beispielsweise Walter Wolfgarten tat, ein früherer führender Mitarbeiter im Vertrieb eines Kölner Medienhauses. Er wendete zunächst ein, man müsse auch das ökonomische und gesellschaftliche Gleichgewicht im Land beachten, wenn man Flüchtlinge aufnehme.

Als Pfarrer Erik Pühringer ihm versicherte, es bedürfe nur eines halben Prozentes der Mehrwertsteuereinnahmen eines Monats, um die Flüchtlingsaufnahme in voller Höhe zu finanzieren, war nicht nur Walter Wolfgarten überrascht und betroffen. Einmal ganz davon abgesehen, dass sich beide einig darin waren, dass man das Leben so vieler Menschen, darunter viele Kinder, nicht mit ökonomischen Interessen aufwiegen dürfe.

„Die Samstagsmittagsdemonstrationen vor dem Mechernicher Rathaus sind dauerhaft bei der Kreispolizeibehörde angemeldet“, versicherte Pfarrer Pühringer vor Ort: Die Beamten behandelten die Demonstranten ausgesprochen freundlich und korrekt. Erst vor zwei Wochen sei wieder eine Kontrolle gewesen, ob alle Demonstranten einen Mund-Nasen-Schutz wegen Corona tragen und genügend Abstand halten. „Im Schnitt sind wir zu zwölft“, sagt der Seelsorger, „die Zahl schwankt zwischen sieben und 15 Teilnehmern“. Manche – wie Rebekka Narres („Massengrab am Badestrand“) und Alexandra Lauterbach („Fridays for Future, Saturdays for Mittelmeer…“) – malen eigene Transparente mit wechselnden Slogans.


Aufhören? Die Frage stellt sich nicht

„Manche Autofahrer winken oder hupen“, viele Passanten hasteten unbeeindruckt vorüber, aber „angemacht“ habe sie noch nie jemand, erklären die Dauerdemonstranten Alexandra Lauterbach, Marita Wetzel, Erik Pühringer, Rebekka Narres und Annemarie Fuß.
Manchmal wird im Standesamt drinnen im Rathaus geheiratet, „dann teilen wir uns den Vorplatz geschwisterlich mit den Hochzeitsgesellschaften“, berichtet Pfarrer Pühringer.
Aufhören? Übers Aufgeben reden wir nicht beim Reporterbesuch zum „Einjährigen“. Die Frage stellte sich nicht. „Es stehen Menschenleben auf dem Spiel“, sagt Pfarrer Pühringer und meint es so: „Als wir anfingen vor einem Jahr, zählte man an den Stränden des Mittelmeers schon 19000 Tote, mittlerweile sind es 2000 mehr.“