Es arbeitet die Maria in mir

Ist es nur eine Technik, ein kunsthistorischer Stil oder ist es auch mehr? Die Faszination Ikonenmalerei

Vollkonzentriert bei der Arbeit. (c) Dorothée Schenk
Vollkonzentriert bei der Arbeit.
Datum:
17. März 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 12/2020 | Dorothée Schenk

Nur das Klappern der Pinsel in den Wassergläsern durchbricht dann und wann die Ruhe im Jugendheim St. Norbertus in Krefeld. Das Licht im Raum ist gedämpft. Im Schein hell leuchtender Tischlampen sind Frauen und Männer tief über ihre Arbeiten gebeugt. Das Motiv wäre auch ohne die Vorzeichnung erkennbar. Hier entstehen Marienbildnisse. 

Nicht der Gegenstand der Bilder, die unter den feinen Pinselführungen entstehen, berührt, es ist die Ähnlichkeit der Ausführung: Holz ist der Bildträger, alle Bretter sind gleich groß, ein Goldgrund hinterfängt Maria mit dem leicht geneigten Kopf. Sie trägt ein bräunliches Gewand mit orangefarbener Borte über einem grünen, eng anliegenden Untergewand, das nur an wenigen Stellen hervorblitzt. Was anrührt, ist die „Unaufdringlichkeit des Bildes“. So nennt Abraham Karl Selig ein Merkmal der Ikone.  Seit fast 40 Jahren beschäftigt sich der Oberschwabe intensiv mit Ikonen, näherte sich der Kunst erst mit Pinsel und Farbe, ehe er vom Lernenden zum Lehrenden wurde.

Auf Einladung der Kirchengemeinde Papst Johannes XXIII. ist Selig in die Seidenstadt gekommen, um die Grundlagen der Ikonenmalerei zu vermitteln und mit den Kursteilnehmern in die Praxis umzusetzen. Es ist ein Ort von rund 20, in denen er diese Kunstfertigkeit vermittelt. Das Ziel: nach fünf Arbeitstagen eine eigene und selbstgemalte Ikone mit nach Hause zu nehmen. Beim „Atelierbesuch“ an Tag drei in Krefeld sieht es ganz so aus, als würde das gelingen. 

 

Blüten mit Heiligenschein

„Ikonen malen bedeutet, sich dem Geheimnis der Menschwerdung Gottes auszusetzen und die Schönheit dieser Botschaft durch die Schönheit der Bilder zu erfahren.“ So wurde Abraham Karl Selig in der Ankündigung zitiert. Tatsächlich macht für den studierten Theologen und Philosophen mit Erweiterungsstudien in Kunstgeschichte zunächst nicht die innere Beteiligung des Malenden, sondern die Form die Ikone aus. Zuallererst ist sie nämlich ein orthodoxes Sakralbild – ganz gleich, ob sie Maria, Christus oder Heilige zeigt, ob als Gruppe oder Einzelbild.  Die Ikone hat eine stilistische Basis: Es braucht eine gewisse Abstraktion, Typisierung. Ist eine Ikone als bewegliches Kunstwerk gedacht, ist sie auf Holz gemalt. Ansonsten gibt es sie auch in Emaille oder als Fresken, also Wandbilder. Für ihr Entstehen ist eine religiöse Haltung nicht zwingend, weiß der Lehrende aus Erfahrung. „Es gibt Teilnehmer, die aus rein ästhetischen oder kulturgeschichtlichen Gründen zu den Kursen kommen.“

Viele kämen aus Neugier wie eine junge Berliner Künstlerin, die sich die Technik bei ihm aneignete und nun ikonenhafte Blumenbilder male im Stil, wie sie einst Sibylla Merian für die Biologiebücher entwarf. „Und dann macht sie um jede Blüte einen Heiligenschein“, sagt Selig und lächelt. Er selbst, der Ikonen nur in seinen eigenen vier Wänden malt, sieht das Geheimnis der Ikonen vor einem anderen Hintergrund: „Eine Ikone nimmt mich nicht emotional gefangen, sondern lässt mich frei.“ Verinnerlicht hat Abraham Karl Selig dies nach einem Gespräch mit einem Mönch auf dem Berg Athos, wo er einen Teil seiner Ikonen-Mal-Ausbildung absolvierte.

Nachgefragt, warum bei den Martyrien-Darstellungen nicht nur die leidenden Heiligen heldenhaft gleichmütig dargestellt seien, sondern auch die Schergen, die das Leid zufügten, habe ihm der Mönch geantwortet: „Wir müssen das so tun. Denn wir wissen nicht, warum Gott es zugelassen hat. Deshalb wissen wir nicht genau, was gut und böse ist. Wir können es nur erzählen…“ – „Das ist eine spannende Geschichte“, sagt Selig. Es ist dieses Detailwissen, die Vermittlung über die Oberfläche der Malerei hinaus, die die Kursteilnehmer mitnimmt. Voller Hochachtung sprechen sie vom „Meister“ und sind begeistert von Seligs Vortrag über die Bedeutung und Theologie der Ikonen, die doch sehr zum Verständnis beigetragen habe. Eindeutig widersprechen würden sie aber sicher, dass eine innere Beteiligung nicht vonnöten sein muss – oder wächst.

 

Von der Achtsamkeit und einer Atmosphäre wie bei Exerzitien

„Es ist sehr still. So dass man gefühlsmäßig auch bei der Ikone und bei der Entwicklung der Ikone ist“, sagt Maria Reinprecht-Kokkinis und schenkt einen sehr persönlichen Einblick: „Bei mir war es heute zum ersten Mal so, dass mir fast die Tränen gekommen sind, dass eine innere Auseinandersetzung da ist.“ Sie bringt einige Erfahrung im Malen mit, hat sich aber nie an Ikonen versucht.  Ihre Entscheidung für die Teilnahme ist eine ganz private: Vor einem Jahr starb ihr Mann, ein Grieche. Ihm widmet sie zum Todestag die Ikone. Eigentlich war ihr Wunsch, ein Christusbild zu malen. Aber auch die Vorgabe des Motivs „Gottesmutter“, und damit ihre Patronin zu malen, hat Maria Reinprecht-Kokkinis inzwischen nicht nur angenommen: „Es ist interessant – es arbeitet die Maria in mir. Wenn man sich dem stellt, macht man ganz neue Erfahrungen.“

Georg Strüder vergleicht den Kurs mit Meditation oder geistlichen Exerzitien. „Dadurch, dass man viel schweigt, entwickelt man einen hohen Respekt voreinander.“ Beim Mittagessen kommt es zu sehr persönlichen Gesprächen, und es wird nicht nur Tischgemeinschaft, sondern auch das Tischgebet gepflegt. Die Achtsamkeit im Umgang miteinander, von der alle Ikonenmalenden sprechen, ist spürbar. Die Malenden führen diese besondere Atmosphäre auch auf die langwierigen Arbeitsprozesse zurück. Zwischen Farbauftrag und Farbauftrag steht immer ein Trockenprozess, der unterschiedlich lang ist. An diesem Morgen stand das Kleid zur Fertigung an: „Erst kommt eine wässrige Schicht, dann muss man warten, bis es trocknet, dann kommen zwei bis drei deckende Schichten… Zwischendurch muss man immer wieder warten, bis sie getrocknet sind.“ Ein wenig besonders ist offenbar auch das Material, das bei der Ikonenmalerei gebraucht wird. Hiltrud Müntefering zählt lachend auf: „10 Filmdosen, 20 Flaschendeckel, eine gute Tischlampe, eine Plastikdose…“ „Zwei bis drei Zentimeter hoch“, ergänzt Georg Strüder.

Besonders ist auch das Arbeiten mit den Pigmenten, Schellack und Eigelb, das wegen des Glanzes gerne verwendet wird, aber den Zusatz von Nelkenöl oder Alkohol braucht, wie der „Ikonenmal-Nachwuchs“ die Erkenntnisse des Lehrers weitergibt. Der Grund: Die Zusätze halten wohl Schädlinge wie Silberfische von den fertigen Ikonen ab. Allein die Herstellung der Ei-Emulsion war offenbar ein Erlebnis.  Pinsel und Farben können die Teilnehmer zwar selbst mitbringen, aber auch Abraham Karl Selig hat immer einen Vorrat dabei. Was er stets mitbringt, ist das Blattgold, das einen Teil der gestalterischen Charakteristik der Ikone ausmacht. Und die Handhabung ist gar nicht so simpel: „Der Meister kann die Technik gut erklären“, lobt Helga Eichholz, „sogar, wie man die Goldfolie anfasst: Drei Finger, drauf tippen und dann fallenlassen und glattstreichen, aber auf keinen Fall mit dem Fingernagel!“ Hiltrud Müntefering ergänzt: „Das Goldauflegen fand ich total stressig – innerlich war ich so angespannt. Das ist ja Gold… Das sollte man schon richtig machen.“ Helga Eichholz nickt: „Ich bin gestern schon um neun auf dem Sofa eingeschlafen…“

„Jeder Tag ist spannend“, sagt Tamara Doicgova, die einzige mit Erfahrung im Ikonenmalen. Zur Konservierung der Bilder muss nach einem Jahr Firnis aufgetragen werden. Dazu würde die Runde  gerne wieder zusammenkommen. Stellvertretend für alle formuliert Georg Strüder den Vorschlag mit breitem Lächeln: „Versuchen wir doch, den Pfarrer zu überzeugen, dass er im nächsten Jahr noch einen Ikonenmalkurs macht, auf dass wir eine Christusikone malen können und die Ikone von diesem Jahr firnissen.“

Alle Hintergründe und Informationen  unter www.ikonenmalen.de.

Inkonenmalkurs in der Gemeinde Papst Johannes XXIII. Krefeld

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