Erfahrung kommt bei der Sommertour in der Region Düren für die Spitzen der Fachverbände Sozialdienst katholischer Frauen, In Via und Caritasverband tatsächlich vom „Erfahren“. Von Rurstadt zu Rurstadt waren sie unterwegs.
Es wird eng in den Kindergärten und Offenen Ganztagsschulen (OGS) des Landes. Es fehlt an Räumen und Fachkräften. Trotz Rechtsanspruches auf Betreuung gibt es zum Teil lange Wartelisten für einen Kindertagesstättenplatz – und schon heute zeichnet sich bei den OGS ab, dass mit Einführung des Rechtsanspruchs im Jahr 2026 das Angebot die Nachfrage bei Weitem nicht decken kann. Mit Blick auf die Finanzierung wird den verantwortlichen Trägern schnell schwindlig.
„Wir laufen auf eine Finanzierungslücke von bis zu 15 Prozent zu – alleine, was die Personal- und Sachkosten anbetrifft“, warnt Stephan Jentgens, Diözesancaritasdirektor im Bistum Aachen, vor einer massiven Unterfinanzierung seitens des Landes NRW. Im Rahmen der Sommertour der Fachverbände vom Sozialdienst katholischer Frauen (SKF) Jülich und Düren sowie In Via Düren-Jülich war Jentgens mit dem Fahrrad entlang der Rur unterwegs, um sich auch in Spiel- und Lernstuben, Kindertagesstätten (Kitas) und OGS-Standorten über die praktische Arbeit zu informieren.
Nach Berechnung der Landesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege werden den rund 10 800 Kitas in NRW nach aktueller Haushaltsplanung des Landes rund 200 Millionen Euro fehlen. Eine Umfrage der Arbeitsgemeinschaft hat ergeben, dass bereits heute ein Großteil der Einrichtungen unterfinanziert ist. Auszugehen sei daher sogar von einem Minus in Höhe von mehr als 500 Millionen Euro. 40,4 Prozent dieser Summe, die notwendig ist, muss durch das Land aufgebracht werden – der Rest bleibt bei den Kommunen und Trägern hängen.
„Ich weiß von vielen Kommunen, dass der Kreis Düren, die Stadt Düren und die Stadt Jülich ihrer Verantwortung sehr stark nachkommen und dafür sorgen, dass die Finanzen zur Verfügung gestellt werden. Aber was passiert, wenn sich die Haushaltslage ändert? Wir müssen ja heute schon oft jedes Jahr im Bereich der freiwilligen Leistungen um die Erhöhung der Personalkosten kämpfen“, sieht Jentgens die Landespolitik in der Pflicht, Planungssicherheit für alle Beteiligten zu schaffen. Jentgens: „Letztlich wartet der eine auf den anderen, wer zuerst einen Zuschuss zahlt. Das nervt mich massiv. Am Ende müssen alle den Rechtsanspruch erfüllen und sind sowieso dran.“ Die Kitas seien ein System, das gerade wackelt. Das OGS-System wackele noch mehr. Jentgens: „Dabei brauchen wir Stabilität, weil Ausbau angesagt ist!“
An der Sommertour beteiligten sich unter anderem Pia Leifeld, Leitende Sozialpädagogin vom SKF Jülich, York Sommereisen, Geschäftsführer von In Via Düren-Jülich, und der Dürener SKF-Geschäftsführer Ulrich Lennartz. Auf der „Reiseroute“ standen ausgehend von der Spiel- und Lernstube des SKF in Jülich unter anderem Besuche des In-Via-Wohnheims „Mittendrin“, der OGS Düren Grüngürtel, die bereits heute an die Grenzen des Wachstums stößt, und der OGS in Derichsweiler. Den Mittagsstopp im „Café Lichtblick“ von In Via nutzten auch Thomas Rachel (MdB) und Christopher Löhr, Dezernent der Stadt Düren für Generationen und Demografie, zur Diskussion über die Herausforderungen von Kitas und Offenen Ganztagsschulen.
„Es sind immer die gleichen Limitierungen, über die wir reden müssen“, sagt Ulrich Lennartz. Er wirft die Frage in den Raum, wie das System Schule das System Offene Ganztagsschule umsetzen beziehungsweise leben möchte. „Wir denken heute leider noch zu sehr in Klassenräumen statt in Lebensräumen“, sagt er. Es sei ein Luxus vergangener Zeiten, „Schule“ ausschließlich als Ort der Wissensvermittlung und nicht als Ort des Gemeinwesens zu sehen.
„Es ist keine Gelegenheit, es ist eine Notwendigkeit, starre Eingruppierungen zu verlassen“, sieht auch Stephan Jentgens in einer „vom Kind her gedachten“ Neuaufstellung von Schule, OGS und Angeboten der Jugend- und Familienhilfe die größte Chance, die großen Baustellen der Zukunft auch mit knappen finanziellen und personellen Ressourcen zu meistern. Konzeptionelle und pädagogische Inhalte müssten mit allen Spannungsfeldern und Reibungen frühzeitig besprochen werden bei allen Unmöglichkeiten und Zumutungen des Aufbaus.
Im Raum stand während der lebhaften Diskussion auch mit Politikern das Wort der „Schicksalsgemeinschaft“. Schulen könnten als Lern- und Lebensorte mit einer kooperativen Nutzung von Räumen Lebensmittelpunkte werden. Grundschul-Familienzentren wären Anlaufstellen für Familien, Ort der Migrationsberatung, Wirkungspunkte der Jugendhilfe vor Ort. „Es ist eine Chance, ganz vorne anzufangen und die Lebenswege zu begleiten“, sieht auch Dürens Jugenddezernent Christopher Löhr in diesem Ansatz eine gute Gelegenheit, früh auf Prävention zu setzen. Oftmals seien viele Chancen schon vertan worden, wenn das Jugendamt eingeschaltet werde.
Die Befürchtung der Fachverbände lautet: Es wird nicht am Geld scheitern, sondern an den Räumen und am Personal. Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, sollte neben der klassischen Säule der Ausbildung zu Erzieherinnen und Erziehern in den Fachschulen und der Möglichkeit eines Studiums als dritte Säule ein Prozess zunehmender Fachlichkeit und Qualifizierung eingeführt werden, der es ermöglicht, sich bereits während der Arbeit in Kita und OGS modular fachlich weiter zu qualifizieren und am Ende eine Prüfung abzulegen. „Mit dem Jugendministerium und dem Schulministerium wollen wir ein Modell entwickeln, wie dies in OGS und Kita in Verbindung mit der Jugendhilfe funktionieren kann“, berichtet Stephan Jentgens. Ziel müsse es sein, möglichst viel Qualität in den Systemen zu halten, aber auch mit beiden Füßen in der Welt zu stehen.
„Wenn wir weiter Weltmeister im Vorschriften-Erarbeiten sein wollen, werden uns am Ende des Tages sehr schnell die Menschen fehlen, die diese Aufgaben übernehmen müssen“, gibt Ulrich Lennartz zu bedenken. „Wir wollen nicht das Kind mit dem Bade auskippen und Berufsstände verprellen, sondern Möglichkeiten der Nachqualifizierung im Rahmen der Tätigkeit schaffen“, begrüßt Thomas Rachel einen pragmatischen Ansatz.
Die Arbeit der Spiel- und Lernstuben, ein Ziel der Sommertour in Jülich, kann in dieser Phase des Übergangs und der Neuaufstellung eine zentrale Rolle übernehmen (siehe KiZ 35). „Wir haben ganz viele niederschwellige Angebote und arbeiten sozialraumorientiert“, sagt Pia Leifeld. Bis zur flächendeckenden Umsetzung des Rechtsanspruchs auf eine OGS-Betreuung ab der ersten Klasse könne der Druck so groß sein, dass man froh sein werde, auf alternative Systeme zurückzugreifen. Die Spiel- und Lernstuben könnten diese fehlenden Bausteine sein – ohne Lückenfüller im negativen Sinne des Wortes zu sein.