Täter, Mitläufer, Opfer und Widerstandskämpfer: An vielen Orten im Bistum Aachen halten Mahnmale und Gedenkstätten die Erinnerung an die Verbrechen während der NS-Zeit wach und geben den Namen der Toten wieder einen Platz unter den Lebenden. Wir stellen fünf Orte vor.
Dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus begegnen die Menschen in Jülich tagtäglich. Auf dem Propst-Bechte-Platz, in direkter Nachbarschaft zum jüdischen Friedhof, wurde 2001 das imposante Mahnmal auf Initiative der Jülicher Gesellschaft gegen das Vergessen und für die Toleranz e.V. errichtet. Der Jüchener Künstler Michael Wolf hat es finanziert durch Spendengelder von Privatpersonen, Initiativen und Unternehmen geschaffen. Zwei geschwungenen schwarze indische Granitblöcken sind aus vier Einzelteilen zu den beiden geschwungenen Mauern zusammengesetzt worden. Zwei menschliche Skulpturen stehen sich hier gegenüber, um ein Aufeinander-zu-gehen zu symbolisieren. 250 namentlich bekannte Opfer sind hier im wahrsten Sinne in Stein gemeißelt. Damit bleiben die Toten im Bewusstsein und ein Teil des Lebens. Das Mahnmal soll „im Weg stehen“, wie es Künstler formuliert hat.
Alljährlich findet das Finale der Gedenkfeier zur Pogromnacht am Mahnmal Propst-Bechte-Platz statt. Zum Jahrestag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus verleiht die Jülicher Gesellschaft den Preis für Zivilcourage in der Schlosskapelle der Zitadelle. In diesem Jahr erhält ihn die Antisemitismusbeauftragte des Landes NRW, Sabine Leutheuser-Schnarrenberger. Außerdem wird Friederike Görtz, einzig befreite Person aus der Villa Buth, geehrt. Eine besondere Würdigung erhalten alljährlich auch Jugendliche, die sich in der Schule oder darüber hinaus, besonders mit dem Thema beschäftigt haben. (tee)
Das Aachener Projekt „Wege gegen das Vergessen“ will das Gedenken an Menschen wachhalten, die in Aachen gelebt haben und durch die Nazidiktatur ermordet und verfolgt wurden. Zugleich thematisiert es Ignoranz, Mitläufertum und Unterstützung, ohne die das menschenverachtende System der Nationalsozialisten nicht hätte funktionieren können.
Nach mehrjähriger Planung wurde 2001 die erste Gedenktafel am Aachener Rathaus enthüllt. Inzwischen sind es 43 im gesamten Stadtgebiet, die mit kurzen Texten an Orte von Verfolgung und Widerstand und die damit verbundenen Menschen und ihre Schicksale erinnern: Jüdische Bürgerinnen und Bürger, Sinti und Roma, politisch oder religiös Verfolgte, Homosexuelle und Euthanasieopfer.
Die „Wege gegen das Vergessen“ sind bei der Volkshochschule Aachen angesiedelt, die sie wissenschaftlich begleitet und regelmäßig Vorträge, Veranstaltungen und Rundgänge, zum Beispiel entlang ausgewählter Stationen in der Aachener Innenstadt anbietet. Seit 2008 sind sie kooptiertes Mitglied im „Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten und Erinnerungsorte in NRW“ und in der Region als Lern- und Erinnerungsort anerkannt. Zu allen Gedenktafeln gibt es im Internet eine interaktive Karte mit Fotos und Hintergrundinformationen. Seit einiger Zeit gibt es einen Geocache (eine Art elektronische Schnitzeljagd), der zur Gedenktafel für Betty Reis, die in einem Lager für jüdische Männer als Küchenhilfe arbeiten musste, führt. Auf der Internetseite sind außerdem die in Aachen verlegten Stolpersteine dokumentiert, deren Verlegung ebenfalls durch die VHS koordiniert wird. (ath)
2,10 Meter hoch ist die aus schwedischem Granit gefertigte Stele an der Kirche St. Laurentius Grefrath. Eine ökumenische Initiative hatte sich für einen Erinnerungs- und Lernort für die jüdischen Familien aus Grefrath und Oedt eingesetzt, die seit 1686 in Oedt und ab 1851 in Grefrath ansässig waren. Sie waren Metzger, Weber, Viehhändler oder Kaufleute, Mitglied bei der freiwilligen Feuerwehr, des Deutschen Roten Kreuzes und Mitbegründer des Grefrather Sportvereins 1910, bevor der nationalsozialistische Terror die Familien mitten aus der Gesellschaft riss. Die Stele fügt sie wieder in die Mitte der Dorfgemeinschaft zurück. Auf einer einer Seite sind 25 Namen der jüdischen Familien eingraviert, umrahmt von von einem Auszug auf dem Buch Jesaja (56,5) „ … einen ewigen Namen gebe ich ihnen, der niemals ausgetilgt wird …“, und aus einem Gedicht des ehemaligen Aachener Bischofs Klaus Hemmerle „Man hat meinem Gott das Haus angezündet und die Meinen haben es getan …“, das er 1988 zur Erinnerung an die Reichspogromnacht 1938 verfasste. 2004 konnte die Stele, geschaffen vom Kempener Künster Manfred Messing, errichtet werden. Seitdem finden dort jährlich Gedenkfeiern statt, mitgestaltet von den Firmlingen der Gemeinde St. Laurentius, Schülerinnen und Schülern der Liebfrauenschule Mülhausen, die nicht nur an die Verstorbenen erinnern, sondern auch für die Zukunft mahnen, dass rechtsradikales, linksradikales und antisemitisches Denken heute noch tief in der Gesellschaft verankert ist. So ist die Stele ein Erinnerungs- und Lernort im Herzen der Stadt. (ka)
Ausgegrenzt. Schutzlos. Verraten. Entrechtet. Ermordet. Wer einen Krieg führen möchte, muss mit seinen Ressourcen haushalten. Diese zynische Logik der Nationalsozialisten hat zur Ermordung von mindestens 200.000 Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen geführt, über 350.000 Menschen wurden zwangssterilisiert. Elf der ermordeten Menschen lebten im Altkreis Monschau, die Zahl der Zwangssterilisationen lässt sich nicht mehr ermitteln. Die Verbrechen wurden vertuscht, die Namen vergessen oder die Erinnerung ausgelöscht. Der Heimatverein Kalterherberg hat 2023 den Opfern von Euthanasie wieder ihre Namen zurückgegeben und erinnert auch an die Zwangssterilisationen. Die Stele erinnert öffentlich an das Leid der Opfer – und gibt Angehörigen einen Ort zum Trauern. Ein erster Versuch, dieses Kapitel der NS-Zeit aufzuarbeiten, stieß nicht auf großes Interesse. Mit der Buchveröffentlichung „Zwangssterilisationen und Euthanasieverbrechen im Kreis Monschau" von Dr. Dieter Lenzen im Herbst 2022 hat sich das Bewusstsein in der Bevölkerung zu diesem Thema geändert. Im Heimatverein bildete sich ein Arbeitskreis, um das Thema nochmals aufzugreifen, und mit Unterstützung des Autors wurden elf Euthanasie-Opfer identifiziert, wobei in den damaligen Akten die Ermordung meist verschleiert wurde. Laut Totenschein starben viele der vergasten oder mit Giftspritzen getöteten Menschen an einer Lungenentzündung oder Kreislaufschwäche. Gefälschte Totenscheine waren Teil des Systems. (sj)
Das Haus mit der roten Backstein-Fassade ist eher unscheinbar. Aber hier fand Geschichte statt. In diesem Haus befand sich einst die Redaktion des „Erkelenzer Kreisblatts“. Eine Bronzetafel an der Fassade erinnert daran, dass es für die Redakteure ab 1933 immer schwerer wurde, unabhängig über die Geschehnisse zu berichten. 1944 wurde der Verleger Joseph Hahn schließlich im KZZ Köln-Deutz inhaftiert. Damit war es für die Zeitung vorbei.
Das Haus Brückstraße 29 ist die Station 10 der „Route gegen das Vergessen“ in Erkelenz. Insgesamt zwölf Stationen hat die Route, davon acht direkt im Erkelenzer Zentrum. Der „Heimatverein der Erkelenzer Lande“ hat auf Grundlage eines Internetprojekts von Schülerinnen und Schülern des Cornelius-Burgh-Gymnasiums die Route 2011 installiert. Die Jugendlichen entwickelten eine virtuelle Route, an deren Stationen die Geschichten von Tätern, Mitläufern, Opfern und Widerstandskämpfern erzählt wurden. Der Heimatverein brachte die Route in die analoge Welt und erweiterte sie auf zwölf Stationen im Erkelenzer Stadtgebiet.
Sie führt zum historischen Rathaus, das in den 1930er Jahren als Polizeigefängnis genutzt wurde. Oder in das Dorf Lentholt, in dem nur noch ein Tor mit dem Davidstern und einem siebenarmigen Leuchter daran erinnert, das hier einst ein jüdischer Friedhof war. Der Spießhof in Hetzerath war damals ein Internierungs-Ghetto für Erkelenzer Juden bevor sie in die Vernichtungslager deportiert wurden.
Der Heimatverein hat zur Route einen Flyer und eine Broschüre herausgebracht. Heute erinnern nur noch Bronzeschilder an die Geschehnisse, die sich dort abspielten. (gam)