Eine kunstgeschichtliche Betrachtung des Altars ist Margret Peek-Horn zu wenig.
Das Thema, davon ist Margret Peek-Horn überzeugt, haben die Auftraggeber vorgegeben. Zu komplex ist das Zusammenspiel der Szenen und begleitenden Figuren. „Es hat länger gedauert, bis ich den Schlüssel fand“, sagt sie „bis ich darauf kam: Die Spruchbänder haben eine Bedeutung.“ Aus ihnen, sagt die Theologin, erschließt sich das Bildprogramm. „Sie kommen alle in der Liturgie vor: Einer ist beispielsweise der Psalm zum liturgischen Einzug. Er bezieht sich auf die Lebenswelt der Mönche, die lebendige Welt derer, die den Altar benutzen. Damit habe ich das Thema“, sagt die Boslarerin. Selbstverständlich konnten die Mönche die Satzanfänge vervollständigen. So fand sie heraus, dass der Altar sich keineswegs im gewöhnlich-literarischen Sinne von links nach rechts oder oben nach unten erschließen lässt: „Folgt den Worten“, lautet die Lesart. Nach Überzeugung von Margret Peek-Horn folgt man in der „Lektüre“ des Altars den Spruchbändern wie bei einem Wechselgesang nicht chronologisch, sondern in der Abfolge des Sinns.
Viele Details erschließen sich erst bei näherem Hinsehen. Ein Indiz, dass der Altar in seiner Platzierung ursprünglich anders gedacht war, erläutert Margret Peek-Horn. „Schon an der Predella sieht man, dass der Altar falsch steht: Er müsste auf Augenhöhe stehen“, erklärt sie.
Zu sehen ist die Leidensgeschichte Christi mit der Kreuztragung, der Dornenkrönung und der Kreuzabnahme. Dabei bezieht sie sich nicht allein auf die Gestaltung. Perspektivisch in die Tiefe gearbeitet haben die Erschaffer des Schnitzaltars. Das ist nur dann sinnvoll, wenn vom Betrachter die Dreidimensionalität auch wahrgenommen werden kann. Hinzu kommt aber auch die inhaltliche Bedeutung: „Wir haben unser Kreuz zu tragen. Da spielen wir hinein, das ist auch noch unsere Lebensgeschichte.“ Eben diese Szene ist „auf Augenhöhe“ zu verstehen, sagt Margret Peek-Horn. Sie erkennt das Dargestellte als Möglichkeit zur Identifikation der Menschen mit der Heilsgeschichte. Oder wie man heute sagen würde: Maria und Jesus haben etwas mit „unserem Leben“ in der Gegenwart zu tun. „Der Altar schafft eine Gleichzeitigkeit zwischen Maria und uns oder Jesus und uns. Dieses Heils-Drama erforderte in der damaligen Zeit ein Mittun, eine Identifikation mit den Akteuren.“ Das war den Mönchen des Kreuzherrenklosters von Schwarzenbroich bei Merode selbstverständlich.
Bis dato gab es keine Untersuchung des Boslarer Schnitzaltars. Gemeinsam mit der Kunsthistorikerin Maria Krämer hat sich Margret Peek-Horn dieser Aufgabe gestellt, und jede Frau hat aus ihrem Fachbereich ihren Teil beigesteuert – ergänzt durch die Fotografien von Michael Greven, die den Blick fürs Detail erst möglich machen. Daraus ist inzwischen eine kleine 44-seitige Publikation geworden, die vom Jülicher Geschichtsverein herausgegeben worden ist und durch die katholische Pfarrei St. Gereon Linnich-Boslar finanziert wurde. Fürs Eigenstudium kann das Heft für 5 Euro über den Jülicher Geschichtsverein, den örtlichen Buchhandel oder nach den heiligen Messen in der Boslarer Kirche erworben werden. Wer gerne tiefer einsteigen möchte, der kann nach der Fastenzeit, in der der Altar geschlossen ist, an einer Führung mit Margret Peek-Horn teilnehmen.
„Bitte Klapphocker mitbringen!“, lautet die Aufforderung am Mittwoch, 24. April, ab 18 Uhr im Altarraum der Kirche. Dort findet sich die Gruppe ein, um vor dem Anschauungsobjekt das Gefühl für das Werk zu bekommen, gleichzeitig werden per Beamer die Bilder großformatig auf Leinwand zu sehen sein. Das erleichtert die Orientierung. Und den Blick fürs Detail: Zu entdecken gibt es nämlich unter anderem eine Lesebrille auf der Nase des Apostels, ein Kreuz, das da zeitlich gesehen noch völlig fehl am Platze ist, und der goldene Hut des Propheten Elia – der als Garant des Bundes durch seine Anwesenheit Zeugnis ablegen musste. Wofür? Das erfahren Bibel- und Kunstsinnige gleichermaßen von Margret Peek-Horn.
Näheres unter Tel. 0 24 62/64 53 oder E-Mail st.gereon-boslar@gmx.de.