Endlich Klartext reden

Fünf Frauen aus Venn machen sich auf, die Kirche zu verändern

Sie reden nun Klartext: Gabriele Vogt, Elke Aretz, Martha Siemes, Manuela Thies-Diekamp und Inge von Wirth (v.l.) (c) Garnet Manecke
Sie reden nun Klartext: Gabriele Vogt, Elke Aretz, Martha Siemes, Manuela Thies-Diekamp und Inge von Wirth (v.l.)
Datum:
19. Apr. 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 16/2022 | Garnet Manecke

Fünf Frauen in Venn reicht es. Sie wollen dazu beitragen, dass sich in der Kirche grundlegend etwas ändert. Dafür haben sie eine neue Gruppe gegründet. Der Name „Klartext“ ist Programm: Jetzt soll Tacheles geredet werden, vor allem bei Themen, bei denen sich die Kirche nach wie vor sperrig gibt.  

2021 war ein Punkt erreicht, da wäre sie fast gegangen. „Ich wollte aus der Kirche austreten“, sagt Inge von Wirth. Dabei hat sie viele Jahre für die Kirche gearbeitet und sich engagiert. In dieser Zeit hat sie viel erlebt und so manche Verletzung erfahren. Dazu gehörte, dass die Glaubenskongregation die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare verbot. „Ich bin selbst betroffen“, sagt sie. „Mein Sohn ist homosexuell.“ Deshalb war es von Wirth wichtig, ein Zeichen zu setzen. Mit anderen in der GdG St. Peter MG-West wollte sie, dass eine Regenbogenfahne an der Kirche aufgehängt wurde. „Das wurde zuerst abgelehnt“, sagt sie. Aber sie stand mit dem Ansinnen bei weitem nicht allein  da. Die Gemeindemitglieder  und Gremien haben Druck gemacht und sich schließlich durchgesetzt.

Jetzt sitzt Inge von Wirth mit vier weiteren Frauen am Tisch und erzählt, warum sie der Kirche doch nicht den Rücken gekehrt hat. „Ich kann nur etwas verändern, wenn ich bleibe“, sagt sie. Sie will den Mund nicht halten, sondern darüber offen sprechen, wo es hakt. Klartext reden eben. So hat sich auch die Gruppe genannt, die von Wirth zusammen mit Manuela Thies-Diekamp, Elke Aretz, Gabriele Vogt und Martha Siemes in Venn gegründet hat. Die Runde will auf konstruktive Weise unbequem werden.
Auslöser für die Gründung waren die Aktion #outinchurch und der Film „Wie Gott uns schuf“ im Januar dieses Jahres. 125 queere Menschen in der Kirche outeten sich. Der Film wurde zur besten Sendezeit in der ARD ausgestrahlt. „Das war so mutig“, sagt Thies-Diekamp. Diese Menschen hätten etwas bewegt. Dass von der Bistumsleitung die klare Botschaft kam, dass niemand wegen seiner sexuellen Orientierung Angst vor dem Verlust seines Arbeitsplatzes haben müsse, werten die Frauen als Zeichen: Ein neuer Aufbruch sei möglich.

Aber der kommt nicht von selbst. Die ersten Überlegungen, etwas zu verändern, hatten sie schon vor sechs Jahren im Rahmen ihrer KFD-Arbeit. „Ursprünglich war die Frage, wie wir wieder mehr Menschen in die Kirche bringen“, sagt Gabriele Vogt. Gottesdienste wurden kaum noch besucht. Die Enthüllungen der Missbrauchsgutachten führten zu vermehrten Kirchenaustritten. Dazu kamen noch einige andere Skandale, auch im Bistum Aachen. Das Entsetzen war groß. „Es liefen Gespräche auf vielen Ebenen“, sagt Thies-Diekamp. „Wir haben dann einen Neue-Wege-Gottesdienst mit dem Thema ,Ich bleibe – Du auch?‘ organisiert.“

Das kurze Statement auf einer Veranstaltung von Maria 2.0 steht auch für die Gemütsverfassung der Klartext-Frauen. (c) Garnet Manecke
Das kurze Statement auf einer Veranstaltung von Maria 2.0 steht auch für die Gemütsverfassung der Klartext-Frauen.

Das Interesse war größer als gedacht. Kurze Zeit später organisierten sie einen Gesprächsabend zu dem Thema. „Ohne große Werbung kamen auf Anhieb 25 Leute“, berichtet Thies-Diekamp. An dem Abend habe es eine rege Diskussion gegeben. Eine Frau habe sich geäußert, dass sie mit dem festen Vorsatz gekommen sei, die Kirche zu verlassen. Aber nach dem Abend mit den offenen Gesprächen habe sie es doch nicht getan. Als schließlich das kirchliche Verbot der Segnungen für gleichgeschlechtliche Paare ausgesprochen wurde, waren nicht nur die Klartext-Frauen empört.

„Wir haben beschlossen, Gesprächsabende zu Themen anzubieten, die die Menschen bewegen“, sagt Thies-Diekamp. Im Prinzip geht es den Frauen darum, der Kirche vor der Haustür neues Leben einzuhauchen. Denn Veränderungen haben ihren Anfang immer im Kleinen. „Wir möchten vor Ort lebendig sein“, sagt Gabriele Vogt. Drei bis vier Gesprächsabende pro Jahr wollen die Frauen anbieten. Eingeladen ist jeder, der Interesse am Gemeindeleben hat. Da sehen die fünf Frauen viel Potenzial.

„Wir haben Zweifel daran, dass die Leute keinen Bezug mehr zu Gott haben“, sagt Vogt. „Sie haben eher keinen Bezug mehr zur Institution Kirche. Es wird ja immer unterstellt, dass diejenigen, die sich engagieren, immer alles so hinnehmen.“ Themen, die in Angriff genommen werden müssen, gibt es reichlich.

Die Forderungen von Maria 2.0 zum Beispiel. Oder die Frage, wie mit geschiedenen und wiederverheirateten Menschen umgegangen wird. Auch die Ökumene wirft Fragen auf, die vielerorts schon anders gelöst und gelebt werden, als es sich Vertreter der Amtskirche vorstellen. Und dann sind da die gesellschaftlichen Fragen, die auch in der Kirche relevant sind: Gewalt gegen Frauen oder Diskriminierung verschiedener Gruppen. Die Klartext-Frauen sehen in ihrem Engagement die Chance, verkrustete Strukturen aufzubrechen und aktiv einen Beitrag zur Entwicklung des Quartierslebens in Venn zu leisten.

Mit diesem Ansinnen stehen sie in ihrem Viertel nicht alleine da. Der Umbau der Kirche, der neue Anbau an das alte Pfarrhaus und die Öffnung des Kirchplatzes zum Marktplatz wurden so geplant, dass Menschen, die in dem Stadtteil wohnen, einen leichteren Zugang zur Kirche bekommen. Die Kirche soll Teil des öffentlichen Lebens sein, keine Insel. Die kleine parkähnliche Grünanlage zum Marktplatz wird von den Besuchern sehr gut angenommen. Menschen flanieren hier, sitzen auf den Bänken und unterhalten sich – immer mit Blick auf die Kirche und bald auch auf das neue Gemeindehaus. Mit den neuen Räumen wird es auch neue Möglichkeiten geben.

Die Aufbruchstimmung erinnert ein wenig an die Stimmung nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Auch damals glaubten viele an einen Aufbruch in der katholischen Kirche. Rückblickend ist vielerorts Ernüchterung eingetreten. Was macht die Frauen so sicher, dass sich nun etwas ändert? „Ich glaube, das mutige Outing gibt Zuversicht, dass nun auch andere Gruppen ihre Themen offen ansprechen“, sagt Vogt. Dass sich Bischof Helmut Dieser als einziger Bischof vor die Kamera gestellt hat und öffentlich zugegeben hat, er habe sich in seiner Einstellung zu queeren Menschen geirrt, hat die Frauen beeindruckt.

Nun ist es an ihnen, die Kirche weiter zu entwickeln und zu verändern. Vor ihrer Haustür, mit den Menschen, mit denen sie in ihrem Stadtteil leben.