Ende der Obdachlosigkeit

Dank des Modellprojekts „Housing First“ erhalten Obdachlose in Mönchengladbach wieder eine Wohnung

Nach drei Jahren ohne eigene Wohnung ist es für Yusuf ein Gefühl wie ein Lottogewinn, seine Wohnungstür aufzuschließen. (c) Caritas Mönchengladbach
Nach drei Jahren ohne eigene Wohnung ist es für Yusuf ein Gefühl wie ein Lottogewinn, seine Wohnungstür aufzuschließen.
Datum:
4. Feb. 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 06/2020 | Garnet Manecke

In dem Modellprojekt „Housing First“ kaufen Träger der Wohnungslosenhilfe Wohnungen an, die sie an Obdachlose vermieten. Damit ermöglichen sie den Menschen eine Basis für ein Leben mit Perspektive. Was das für die Wohnungslosen bedeutet und wie das funktioniert, zeigen zwei Beispiele aus Mönchengladbach.

Das Gefühl, als er das erste Mal die Wohnungstür aufgeschlossen hat, sei unbeschreiblich gewesen, sagt Yusuf. Eine eigene Wohnung, in die er sich zurückziehen kann, wo er vor Wind und Wetter geschützt ist, wo er ein eigenes Bett hat, sich in einem Bad pflegen und in der Küche etwas zu essen zubereiten kann: Das hat der 48-Jährige seit drei Jahren vermisst. In dieser Zeit hat er bei seinem ältesten Sohn auf dem Sofa im Wohnzimmer übernachtet oder bei Freunden – immer mit der Sorge, dass eines Tages Schluss ist, ihn niemand mehr aufnimmt und er auf der Straße sitzt. „Für mich ist das hier wie ein Lottogewinn“, freut sich Yusuf. Möbel fehlen noch: Nur in der Küche steht eine Zeile mit Kühlschrank, Spüle und Herd. In seinem Schlafzimmer liegt eine Matratze auf dem Boden. „Aber das kommt noch, nach und nach“, ist Yusuf zuversichtlich. Für ihn sind die 50 Quadratmeter mit Balkon sein persönliches Schloss.

Das Geld für den Housing-First-Fonds stammt aus dem Verkauf von Kunst

Dass der dreifache Vater jetzt wieder ein Dach über dem Kopf hat, hat das Modellprojekt „Housing First“ ermöglicht. Der Caritasverband Mönchengladbach und der Verein Wohlfahrt haben im Rahmen dieses Projekts die Wohnung für Yusuf gekauft und an ihn vermietet. Das Geld dafür stammt aus dem Housing-First-Fonds, einem Gemeinschaftsprojekt des Paritätischen NRW und des Düsseldorfer Vereins Fiftyfifty/Asphalt e. V. Dieser Fonds erhält sein Geld durch den Verkauf von Kunstwerken hochkarätiger Künstler wie Heinz Mack, Gerhard Richter, Bernd und Hilla Becher, Jörg Immendorff oder Ai Weiwei. Die Künstler stiften ihre Arbeiten für diesen Zweck.

Die Idee dazu hatte vor über 20 Jahren Hubert Ostendorf, Gründer und Geschäftsführer der Obdachlosenzeitung Fiftyfifty, deren Hauptsitz in Düsseldorf liegt. Er liebt Kunst und hat seit vielen Jahren die Kontakte zu namhaften Künstlern aufgebaut. Den 2007 verstorbenen Künstler Jörg Immendorff konnte er als ersten überzeugen, eine Arbeit zu stiften, um mit dem Erlös aus deren Verkauf Langzeitobdachlose zu unterstützen.

„Damals haben wir eine Armbanduhr mit seinem Maleraffen als kleines Kunstwerk herausgegeben“, berichtet Ostendorf. „Aber unser Affe hielt einen Stein.“ Die auf 1999 Stück limitierte Auflage war innerhalb von zwei Monaten verkauft. Mit seinem Engagement öffnete Immendorff die Türen für die „Housing First“-Initiative, deren Ursprungsidee aus den USA stammt: Andere Künstler engagierten sich ebenfalls. Heute werden die Arbeiten über verschiedene Ausstellungen unter dem Titel „Die Kunst zu helfen“ und über die Fiftyfifty-Online-Galerie verkauft.

Wie das Engagement hilft, zeigen die Zahlen eindrucksvoll: Innerhalb von drei Jahren haben die Partner von Fiftyfifty an 61 Langzeitobdachlose eine Wohnung vermittelt, berichtete Ostendorf am Rande einer Ausstellung im Oktober vergangenen Jahres in Mönchengladbach. 58 von ihnen hätten es geschafft, sich ein neues Leben und eine Perspektive aufzubauen.

Die Wohnung ist erst der Anfang: Nach dem Einzug beginnt die Suche nach Arbeit

Yusuf wird auch in seiner neuen Wohnung weiter von Sozialarbeitern unterstützt, wenn er das möchte. Denn mit dem Einzug ist zwar eine Basis geschaffen, aber im Alltag müssen sich die ehemaligen Wohnungslosen um viele Dinge  kümmern: Miete und Nebenkosten müssen pünktlich bezahlt werden, Besuche bei Ämtern und die Suche nach einer Arbeit stehen an. Das erfordert Eigeninitiative. Yusuf hat die schon gezeigt, als er von dem Projekt gehört hat. Sofort hat er sein Interesse bei Martin Dalz, Geschäftsführer des Anna-Schiller-Hauses, einer Einrichtung für Wohnungslose in Mönchengladbach, bekundet. Bei den Vermietern auf dem freien Wohnungsmarkt hatte er nach einer einjährigen Gefängnisstrafe keine Chance mehr, einen Mietvertrag zu bekommen.

„Es sind viele Faktoren, warum Langzeitwohnungslose keine geeignete Wohnung finden“, sagt Astrid Thiess, Sozialarbeiterin beim Katholischen Verein für Soziale Dienste in Rheydt (SKM). Ihr Klient Max wird in Kürze in seine eigene Wohnung ziehen. Der 39-Jährige war etwa drei Jahre obdachlos und hat an allen möglichen Orten geschlafen: bei Freunden, bei seiner Mutter, im Zelt, auch unter freiem Himmel in einem Park oder Hauseingang. Für ihn sei das Wichtigste, dass er mit der Wohnung auch wieder eine feste Tagesstruktur etablieren könne, sagt Thiess. Der gelernte Dachdecker möchte sich wieder eine Arbeit suchen. „Er ist sehr kontaktfreudig und kennt die halbe Stadt“, beobachtet Thiess immer wieder, wenn sie mit ihrem Klienten unterwegs ist. Dass er obdachlos ist, sehe man ihm nicht an. „Das gilt für viele Obdachlose“, sagt die Sozialarbeiterin.

Zwei Gründe sieht sie, warum es mit der Wohnungssuche oft nicht klappt: „Zum einen können Obdachlose oft aus verschiedenen Gründen die Besichtigungstermine mit Vermietern nicht einhalten“, sagt sie. „Obdachlosigkeit ist richtig anstrengend. Wenn man nachts überfallen wird oder etwas anderes passiert, schaffen es die Klienten nicht zu den Terminen.“ Zum anderen sei der Wohnungsmarkt leergefegt. Denn die Wohnungen für das Projekt müssen die Kriterien für Hartz-IV-Empfänger erfüllen. Das bedeutet, für Singles dürfe die Wohnung eine maximale Größe von 50 Quadratmetern haben. Das macht es auch schwer, geeignete Objekte zu kaufen.

Es werden weiter Wohnungen und Häuser zum Kauf für das Projekt gesucht

„Wir suchen in Mönchengladbach Wohnungen und auch gerne Häuser, die noch renoviert werden müssen“, sagt Thiess. Der SKM ist wie der Caritasverband Kooperationspartner von Fiftyfifty. Die Wohnungen für Max und Yusuf sollen erst der Anfang sein.

 

Info

Kooperation
Die Kooperation mit fityfity geht für den SKM über die Unterstützung des Wohnungskaufs hinaus. Der SKM wird Verteilerstation für die Obdachlosenzeitschrift Fiftyfifty. Bisher müssen die Verkäufer immer nach Düsseldorf fahren. Zudem treffen sich Sozialarbeiter verschiedener Städte regelmäßig zum Austausch.

Wohnungskäufe
Der Caritasverband hat inzwischen zwei weitere Wohnungen gekauft. Wie der SKM sucht er noch geeigneten Wohnraum in Mönchengladbach zum Kauf.