Einsatz mit Wasserschlauch

Kunsthistorikerin Anna Wellding greift zur Rettung von Kunstschätzen auch zu ungewöhnlichen Mitteln

Die Fenster von Wilhelm Buschulte in der Krypta von St. Kornelius in Kornelimünster waren zerstört. (c) privat
Die Fenster von Wilhelm Buschulte in der Krypta von St. Kornelius in Kornelimünster waren zerstört.
Datum:
19. Apr. 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 16/2022 | Dorothée Schenk

Es ist eine Mammutaufgabe. Wieviel Zeit notwendig ist, sie zu bewältigen, ist nicht zu sagen. Anna Wellding, Referentin für Kunst und Denkmalpflege im Generalvikariat, ist zuständig für jedwedes bewegliches und unbewegliches Inventar von Kirchen im Bistum Aachen – auch für jenes, das Opfer der Hochwasserfluten im Juli 2021 geworden ist.  

Vor anderthalb Jahren trat die promovierte Kunstgeschichtlerin im Bistum Aachen die neu geschaffene Stelle an. Sie ist die erste ihrer Art. Die Aufgabe lautet, die Kirchenkunstschätze in den acht Regionen und rund 850 liturgisch genutzten Kapellen und Kirchen zu inventarisieren und zu dokumentieren. Zwischen 100 und 300 Objekte von Wert gibt es, so schätzt Anna Wellding über den Daumen, in jeder Kirche. Die Faustregel ist logischerweise: je älter, desto mehr. Vom großen Orgelprospekt und Hochaltar über Paramente bis zur kleinsten Reliquie unter dem Altarstein oder einem Reliquiar fällt alles in ihre Zuständigkeit. Natürlich gab es schon vor dem Amtsantritt von Wellding Inventarisierungen – meist auf Karteikarten. Hier ist also großer Nachholbedarf. Aber ehe die Arbeit richtig Fahrt aufnehmen konnte, kam das Hochwasser. Wie hoch die Schäden sind, ist noch nicht abzusehen.

Gibt es Kirchenschätze, von denen man jetzt schon weiß, dass man sie nicht wird retten können?
„Das ist hauptsächlich bei den Paramenten so“, sagt Anna Wellding. „Wir haben nur die historischen aufgenommen, und man muss sehen, ob sie die Reinigung überstehen.“ Unrettbar verloren ist eine neugotische Pietà in Kornelimünster, die blockverleimt war und vollständig auseinandergefallen ist. Dazwischen gibt es aber auch einige Überraschungen: „In Zweifall, das war ein schöner Moment“, erinnert sich die Kunst- historikerin lächelnd. Mit zwei Kirchenvorständlern und dem evangelischen Seelsorger entdeckte sie einen Holzrahmen, der ein völlig mit Schlamm bedecktes Bild barg. Mit einer Ahnung und Erfahrung versehen machte sie sich mit einem Wasserschlauch und einem weichen Tuch daran, das Bild freizulegen. „Ich habe mir gedacht, schlimmer kann es nicht werden.“ Freigelegt wurde das Bildnis einer „Maria der immerwährenden Hilfe“. Hocherfreut brachten die Männer das Bild in der zerstörten Kirche an seinen angestammten Platz. Ein Moment von großer Symbolkraft.

Anna M. Wellding, Referentin für Kunst und Denkmalpflege im Bistum Aachen (c) Bistum Aachen/Andreas Steindl
Anna M. Wellding, Referentin für Kunst und Denkmalpflege im Bistum Aachen

Neun Monate nach der Flutkatastrophe kommt die Kunsthistorikerin mit der Wiederherstellung der Kirchenschätze voran: Die Fenster in der Krypta in Kornelimünster waren durch den Druck der Wassermassen zerstört worden. Es waren Fenster nach den Entwürfen des bekannten Glaskünstlers Wilhelm Buschulte. Ein Glücksfall wollte es, dass bei der Glasmalerei-Werkstatt Oidtmann in Linnich noch die Originalentwürfe vorlagen. So konnten die fehlenden Scheiben neu angefertigt und jüngst auch eingebaut werden. Anderorts wie in Zweifall behalf man sich mit einer Notverglasung.

„Vier Kirchen hat es sehr schwer getroffen: in Zweifall, Kornelimünster, Gemünd und St. Mariä Himmelfahrt Stolberg. Es gibt noch kleinere Schäden wie in Hellenthal oder Blumenthal, wo der Altar, ein Holzobjekt, nass geworden ist. In Rötgen war das Archiv betroffen, die Kapelle in Vicht… Es gibt viele kleinere“, zählt die Kunsthistorikerin auf. Immer wieder seien Gutachter vom Landschaftsverband vor Ort gewesen, um die Schadensfälle aufzunehmen. Hilfreich sei die Handreichung „Bergung und Umgang von Kunst- und Kulturgut im Notfall“ gewesen, die nur fünf Tage nach der Flutkatastrophe verfügbar gemacht wurde. Die meisten Objekte, wenn sie auf irgendeine Weise beweglich sind, werden in die Werkstätten der Restauratoren geschafft, die weiterhin Hochkonjunktur haben. Was in den Kirchen verbleiben muss, wird einfallsreich „versorgt“. So wurde die frisch restaurierte Orgel in Kornelimünster völlig „eingehaust“, um ein eigenes Raumklima zu schaffen und sie vor Schimmelbefall zu schützen.

Das Problem ist vielfach, dass erst einmal die Räume wiederhergestellt werden müssen, ehe die geretteten Kult- und Kulturobjekte an ihren angestammten Platz zurückkehren können. „Wenn schon der Neubau eines Einfamilienhauses Monate zum Durchtrocknen braucht – unvergleichlich mehr Zeit benötigt ein altes Kirchengebäude mit seinen dicken Mauern“, erklärt Wellding plastisch. Dennoch ist sie zuversichtlich: „Ich hoffe, dass wir Kornelimünster bis zur Heiligtumsfahrt im Juni 2023 wieder hergerichtet haben.“  

Beschädigte Kirchenschätze nach der Flut

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