Einmal ist kein Mal

Der Aachener Chor „Aix Muusika“ hat sich zum zweiten Mal fürs Sängerfest in Tallinn qualifiziert

Unter der muschelförmigen Kuppel der Bühne versammeln sich 28000 Sängerinnen und Sänger. (c) A. Palu/wikimedia commons
Unter der muschelförmigen Kuppel der Bühne versammeln sich 28000 Sängerinnen und Sänger.
Datum:
29. Apr. 2019
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 18/2019 | Andrea Thomas
Vor fünf Jahren wurde dem Aachener Chorprojekt „Aix Muusika“ unter Leitung von Elo Tammsalu-Schmitz die Ehre zuteil, am 26. großen Sänger- und Tanzfest im estnischen Tallinn teilnehmen zu dürfen.
Mit Strenge und großer Begeisterungsfähigkeit bringt Elo Tammsalu-Schmitz ihrem Chor die Lieder ihrer estnischen Heimat bei. (c) Andrea Thomas
Mit Strenge und großer Begeisterungsfähigkeit bringt Elo Tammsalu-Schmitz ihrem Chor die Lieder ihrer estnischen Heimat bei.

Ein ganz besonderes Erlebnis, das in den Köpfen und Herzen der Sängerinnen und Sänger auf immer einen Ehrenplatz einnehmen wird. – Doch, was sind schon Erinnerungen, mögen sie noch so unvergesslich sein, gegen die Chance, das noch einmal wiederholen zu dürfen? Das fanden viele der Teilnehmer von 2014, einige Neue, die sie mit ihrer Begeisterung angesteckt hatten, sowie Chorleiterin Elo Tammsalu-Schmitz auch und warfen ihren Hut für 2019 erneut in den Ring. „Wir haben sogar überlegt, für eine zweite Chance unseren Namen noch einmal zu ändern“, erzählt Elo Tammsalu-Schmitz. Für nicht-estnische Chöre gibt es nämlich nur sehr wenige Plätze, so dass die Teilnahme heiß begehrt ist und andere Chöre können schließlich auch singen. Die Namensänderung war dann aber doch nicht nötig, obwohl oder gerade weil sie der Jury nicht unbekannt waren. Ihre „Trumpfkarte“ war ihre Chorleiterin, die in Estland geboren und aufgewachsen ist. „Das hat sicherlich geholfen“, ist Elo Tammsalu-Schmitz sich sicher. Vor allem aber auch, dass der Chor sich richtig reingehängt hat, um den strengen Auswahlkriterien zu genügen und die Jury zu überzeugen. Mit Erfolg: „Aix Muusika“ ist vom 5. bis 7. Juli beim 27. estnischen Sängerfest in Tallinn, bei dem gleichzeitig das Jubiläum 150 Jahre Sängerfest gefeiert wird, erneut dabei.

 

Singend ihre Unabhängigkeit erkämpft

Das Fest, das nur alle fünf Jahre stattfindet, ist ein nationales Großereignis in dem kleinen baltischen Land. Wer nicht selbst auf der Sängerfestwiese dabei sein kann, als Sänger oder im Publikum, der verfolgt es am Fernsehen. Allein 2014 standen rund 28000 Menschen auf der wie eine Muschel geformten Bühne, weitere gut 150000 davor. „Was hier in Deutschland Fußballvereine, sind in Estland die Chöre“, erklärt Elo Tammsalu-Schmitz, warum das Fest einen so besonderen Stellenwert in ihrer Heimat hat. Zumal Esten eigentlich lieber für sich blieben und ihre Privatsphäre hoch schätzten. „Aber alle fünf Jahre tun wir das, stehen dicht an dicht, um das gemeinsam zu erleben. Das eint als Ereignis das estnische Volk, alle zusammen sind wir mehr als die Summe.“ In ihrer Geschichte sind die Esten immer wieder von anderen Nationen unterjocht worden. Weshalb die Behauptung ihrer nationalen Identität und Kultur so wichtig für das estnische Volk war. Seit 1991 ist das Land unabhängig, wozu die Esten auch mit Gesang beigetragen haben. Sie versammelten sich auf dem Liederfestgelände um mit patriotischen Liedern ihrem Wunsch nach Selbständigkeit und Loslösung von der Sowjetunion Nachdruck zu verleihen. Ihre friedliche Revolution ging daher als „singende Revolution“ in die Geschichte ein.

 

Moderne Sprache mit 14 Fällen

„Wir haben ein großes Heimatgefühl, aber auf eine gesunde Weise“, sagt Elo Tammsalu-Schmitz. Was sich auch in den Liedern wiederspiegelt die beim Sängerfest gesungen werden und die auch „Aix Muusika“ derzeit eifrig probt. Gesungen wird hier nämlich ausschließlich in estnisch. Eine Herausforderung, die sie aber dank ihrer guten (und strengen) Lehrerin gut meisterten, wie die Chormitglieder versichern. „Klavier klingt weltweit gleich, aber Sänger bekommen immer wieder auch mal merkwürdige Sprachen auf den Teller“, fasst die das lakonisch zusammen. Und so schwer sei das nun auch wieder nicht: „Wir sprechen jeden Buchstaben so wie er ist“, stellt Elo Tammsalu-Schmitz fest. Estnisch sei eine sehr moderne Sprache, die keine Geschlechter kenne, dafür aber wohl 14 Fälle … Ihre 46 Sängerinnen und Sänger nehmen das gerne in Kauf, werden sie doch mit einem in jeder Hinsicht besonderen klanglichen Erlebnis belohnt. „Man spürt in den estnischen Liedern viel mehr Verbindung zwischen dem was wir singen und dem wie es klingt“, beschreibt es Ulla Mayer. Kollegin Konstanze Schneider ergänzt: „In Deutsch gibt es nicht viele so poetische Lieder. Es geht um Heimat und Erde und alles ist sehr atmosphärisch beschreibend.“

Elo übersetze ihnen alle Texte, sodass sie verstehen, was sie singen. Peter Bollermann faszinieren unabhängig von der Sprache der Klang und die Harmonien, die die Musik so reizvoll machten. 2014 sei das Motto des Sängerfestes „Berührung“ gewesen, was sehr passend gewesen sei. 2019 steht die „Heimatliebe“ im Mittelpunkt. Besonders macht das Fest, an dem Frauenchöre, Männerchöre, gemischte Chöre und Kinderchöre teilnehmen, für die deutschen Sänger schon seine schiere Größe. „Mit einer so riesigen Menge an Menschen gemeinsam auf einer Bühne zu stehen und zu singen ist ein Wahnsinnserlebnis“, schildert Almuth Grüner ihre Eindrücke von 2014. Sie sei im Vorfeld skeptisch gewesen, ob das klappt, wenn 28000 Menschen gemeinsam singen. Vor allem, weil die teilnehmenden Chöre in ihrer gewohnten Formation aufgelöst werden und alle Sängerinnen und Sänger nach Stimmen gruppiert werden. „Man versucht mit denen, die man kennt, zusammenzubleiben, geht aber doch in der Menge auf ­– und es funktioniert“, sagt Almuth Grüner. Alle seien unheimlich nett und freundlich gewesen. Vorbehalte gegenüber ihnen als Deutsche hätten sie an keiner Stelle gespürt, eher im Gegenteil. Für ihre gute Aussprache seien sie immer wieder gelobt worden. Am Eröffnungstag ziehen alle Teilnehmer, gekleidet in landestypische Trachten, zunächst gemeinsam aus der Innenstadt Tallinns zur Sängerfestwiese. „Entlang des Weges, etwa sechs Kilometer, standen Zuschauer und jubelten den Chören zu. Und wir mittendrin“, erzählt Andreas Jakobs. Auch das ein Gänsehauterlebnis für die Teilnehmer. Vor fünf Jahren hätten sie außerdem unheimliches Glück mit dem Wetter gehabt. Wobei auch Regenwetter der Stimmung keinen Abbruch tue, wie Elo Tammsalu-Schmitz versichert.

 

Konzert Ende Mai in der Citykirche

Bei „Aix Muusika“ steigt mit jedem Tag die Vorfreude auf „Tallinn 2.0“. Die blauen T-Shirts, schon 2014 mangels Tracht ihr Sängerfest-Outfit, mit dem aktuellen Logo für 2019 sind da und mit jeder Probe werden ihnen die Lieder vertrauter. Am 3. Juli geht es los, Rückkehr ist am 10. Juli. Neben dem Sängerfest will die Gruppe auch noch etwas mehr von Land und Leuten kennenlernen, sehen wo ihre Chorleiterin aufgewachsen ist. Zuvor haben sie aber noch einen anderen wichtigen Termin. Am 25. Mai präsentieren sie ab 19 Uhr bei einem Konzert in der Aachener Citykirche ihr musikalisches Programm für Tallinn.

Von Probe zu Probe werden die Lieder vertrauter und steigt die Vorfreude. (c) Andrea Thomas