Warum wird der Wohlstand einer Gesellschaft eigentlich alleine an wirtschaftlichen Zahlen gemessen? Warum ist das Wohlbefinden der Bevölkerung kein Kriterium, das einfließt? Und wie könnte man das ändern? Diese Fragen stellt das Ministerium für Glück und Wohlbefinden. Seit 2012 hilft es Menschen unterschiedlichen Alters, ihre persönlichen Antworten darauf zu finden.
Fast sieht es aus, wie das Logo eines richtigen, offiziellen Ministeriums. Aber bei näherem Hinsehen hat der Adler volle, runde Flügel. Er sieht viel besser genährt aus als der Bundesadler. Auch der schwarz-rot-goldene Streifen ist anders als in den Logos der echten Ministerien. Das Ministerium für Glück und Wohlbefinden gibt es nämlich eigentlich gar nicht. Uneigentlich gibt es das Institut aber doch. Denn Gina Schöler hat das Kunstprojekt gestartet, um den Themen Glück, Zufriedenheit, Wohlbefinden und ein gelingendes Miteinander in der Gesellschaft eine Bühne zu geben.
Anders als die offiziellen Ministerien erlässt sie dafür keine Gesetze und Verordnungen. Als Glückministerin stiftet sie zum Glück an. In Workshops und mit Kampagnen, in Vorträgen und mit dem Buch „Das kleine Glück möchte abgeholt werden“, das Schöler schon 2016 auf den Markt gebracht hat.
Darin findet sich keine Anleitung, was man tun sollte oder nicht, sondern kleine Geschichten, die alle in einen Vorschlag münden. Zum Beispiel die Geschichte von einem Besuch in Rom. Die Autorin erzählt darin, wie sie den Abend in einem kleinen Restaurant ausklingen lässt und mit einem älteren Herrn ins Gespräch kommt. Es wird ein Abend, an dem viel gelacht wird. Ihr Tipp: „Beginne mit einem fremden Menschen ein positives Gespräch.“
Aber zugegeben das Buch wurde weit vor der Pandemie geschrieben, bevor in Europa ein neuer Krieg ausbrach und in den USA die Demokratie zerlegt wurde. Auch in Deutschland wird viel und heftig gestritten, ein konstruktiver Meinungsaustausch scheint kaum noch möglich. Geht der moderne Mensch dem Glück aus dem Weg? „Ich kann da nur mutmaßen“, sagt Gina Schöler. „Da kommt viel zusammen und vielen Menschen mangelt es an einer Grundsicherheit. Aber die braucht es.“
Wer seinen Job verliert und in wirtschaftliche Nöte rutscht, wer in einem angespannten Wohnungsmarkt nach einer Eigenbedarfskündigung nach einer neuen Bleibe für die Familie sucht, wer Angst vor einem Kriegsausbruch hat oder angesichts der steigenden Kosten mit einem immer knapper werdenden Budget auskommen muss, spürt, wie langsam die Angst hochkriecht. Wo sich Angst breit macht, hat das Glück kaum noch Platz.
Deshalb ist es wichtig, sich Inseln zu schaffen, auf denen man einmal zur Ruhe kommt. Das kann eine Pause bei einer Tasse Kaffee sein, in der man Schluck für Schluck das Glück über die Zunge laufen lässt oder etwas im Alltag, an das man mit einem Lächeln zurückdenkt. Dem Vogelzwitschern zuzuhören zum Beispiel, mit den Fingern zu essen oder in eine Kirche zu gehen und die Ruhe im Raum zu genießen.
Wer Menschen nach ihren glücklichsten Momenten fragt, dem fällt auf, dass sie meist von eher stillen Begebenheiten erzählen. Kann es sein, dass diese Welt zu laut ist, um das Glück wahrzunehmen? „Absolut“, sagt Schöler. „Es ist alles viel zu viel.“ Wer dann die kleinen Glücksmomente finden will, muss aufmerksam sein. Wem alles zu viel wird, für den können sie kleine Fluchten sein. Das Glücksministerium wirbt dafür, dass sich Menschen diesen kleinen Fluchten öffnen und sie entdecken. Die Basis dafür ist die Frage, wie man leben möchte und was für einen selbst im Leben zählt. Die Antwort auf diese Frage kann sich im Lauf des Lebens durchaus verändern. Eine Achjährige hat da andere Vorstellungen als eine 16-Jährige; mit 25 Jahren ist etwas anderes wichtig als mit Mitte 40 oder mit 80 Jahren.
Aber viele stellen sich diese Frage überhaupt nicht. „Wenn ich in die Schulen gehe, treffe ich dort auf Jugendliche, die alle denken, sie müssten ein dickes Auto und Geld haben“, sagt Schöler. „Die kommen gar nicht auf die Idee, sich zu fragen, was sie zufrieden macht und was Glück für sie bedeutet.“ Aber auch Erwachsene stellen sich immer häufiger die Frage, ob sie sich angesichts vielfältiger Krisen überhaupt noch über irgendetwas freuen dürfen.
Auch für Gina Schöler hat sich im Laufe der Jahre der Blick auf das Glück verändert. Bevor sie „Glücksministerin“ wurde, studierte sie in Mannheim Kommunikationsdesign. 2012 bekamen die Studierenden die Aufgabe, eine Kampagne zum guten Leben zu entwerfen, die in der Gesellschaft einen Wertewandel herbeiführen sollte. Dabei sollte die Frage nach einem guten Leben gestellt und Diskussionen auf breiter Basis moderiert werden. Dazu gehörte eine Plattform, um Ideen und Konzepte zu entwickeln. So entstand das Ministerium für Glück und Wohlbefinden.
Bei ihrer Arbeit stießen die Studentinnen und Studenten auf das Land Buthan. Die kleine Monarchie im Himalaya misst seinen Wohlstand nicht nur in wirtschaftlichen Zahlen, sondern auch mit dem Bruttonationalglück. In Befragungen stellte das Land fest, wie glücklich seine Bewohner sind. Ein Konzept für das auch Schöler mit ihrem Ministerium für Glück und Wohbefinden wirbt. „Bruttonationalglück für alle“ ist eines seiner Ziele.
Schöler ist für einen spielerischen Umgang mit dem Glück. „Ich finde bedenklich, wie sich die Glücksbranche entwickelt“, sagt sie mit Blick auf die große Zahl von Ratgebern mit dem Versprechen, dass jeder glücklich werden könne, wenn er sich nur richtig anstrenge. „Es gibt jetzt fast einen Glückszwang“, fällt ihr auf. Ihr Vorschlag: „Einfach mal genießen, was da ist, ohne dabei zu denken und die Glücks-To-Do-Liste abzuarbeiten.“
Zum Weltglückstag am 20. März bietet das Ministerium für Glück und Wohlbefinden eine Aktion. In diesem Jahr sind es bunte Glücksperlen. Jeden Tag soll etwas getan werden, das gute Gefühle auslöst. Zur Belohnung wird eine Perle auf ein Band gezogen. So entsteht mit der Zeit eine Kette, die an die guten Gefühle erinnert. Wer auf diese Wiese das Glück übt, entwickelt eine Routine und vielleicht eine Haltung, die auch trägt, wenn die Zeiten nicht so glücklich sind.
„Das kleine Glück möchte abgeholt werden“, 256 Seiten, Campus Verlag, kostet 18,95 Euro. Es bietet 222 Anstiftungen für das Glück im Alltag. Neben der Autorin Gina Schöler haben auch Prominente wie Heiko Maas und Raul Krauthausen Geschichten beigesteuert.