Eine Tür, die für alle offen ist

Beispiel HOT Herzogenrath: Vom Wert offener Kinder- und Jugendarbeit und, was fehlt, wenn sie wegbricht.

Mit Freunden kickern oder abhängen, offene  Jugendzentren sind für viele ein zweites Zuhause. (c) Colourbox
Mit Freunden kickern oder abhängen, offene Jugendzentren sind für viele ein zweites Zuhause.
Datum:
14. Mai 2024
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 20/2024 | Andrea Thomas

Für viele Kinder und Jugendlichen sind die offenen Jugendzentren ein zweites Zuhause: der Ort, wo sie nach der Schule hingehen können, wo die Tür für sie offen ist, wo jemand ist, der sie so nimmt, wie sie dort ankommen, der zuhört und ihre Sorgen und Nöte ernst nimmt. Ein wichtiges Angebot für junge Menschen, in das sich daher auch das Bistum Aachen mit hohem Engagement einbringt.

Graue Wolken über dem HOT von St. Gertrud: Zum Jahresende sollen hier die Lichter ausgehen. (c) Andrea Thomas
Graue Wolken über dem HOT von St. Gertrud: Zum Jahresende sollen hier die Lichter ausgehen.

Umso schmerzlicher, wenn eine solche Einrichtung schließen muss, wie in Herzogenrath-Mitte. Zum Jahresende sollen nach 57 Jahren im Jugendzentrum „HOT“ (Herzogenrather Offene Tür) St. Gertrud die Lichter ausgehen. Nicht, weil die Kinder und Jugendlichen ausbleiben, sondern weil es unter anderem an Fachkräften aus Sozialarbeit und Sozialpädagogik fehlt und eine Leitungsstelle bislang nicht neu besetzt werden konnte. Dazu kommt ein massiver energetischer Sanierungsbedarf des über 60 Jahre alten Gebäudekomplexes: neue Fenster, Dämmung, die Sanierung des Dachs, eine neue Heizung (zurzeit wird das Gebäude über eine Notheizung versorgt, nachdem Ende des vergangenen Jahres das Nachbargebäude, in dem die Heizungsanlage untergebracht war, verkauft wurde) …

Die Liste ließe sich noch fortführen. Geschätzt müssten mindestens 1,52 Millionen Euro investiert werden. Davon würde das Bistum Aachen zwar mit 80 Prozent den Löwenanteil übernehmen, doch sind die verbleibenden 20 Prozent immer noch eine Summe, die der Träger, der Kirchengemeindeverband Herzogenrath-Merkstein, nicht stemmen kann. Hinzu kommt, dass die Stadt Herzogenrath zur Konsolidierung ihrer Finanzen ihren jährlichen Zuschuss um 35.000 Euro kürzen will. An diesem Punkt haben sich Träger und Kommune entschieden, ihren Kooperationsvertrag über die offene Jugendarbeit in Herzogenrath-Mitte aufzulösen.

Die Stadt sucht nunmehr nach einer zeitnahen Lösung, die Arbeit im Stadtteil fortzuführen. Auch die Pfarrei St. Gertrud, zu der das HOT gehört, und das Bistum wollen sich weiter einbringen, um ein Angebot, das so wichtig für die Kinder und Jugendlichen ist, zu erhalten. Bei einem Runden Tisch mit Vertretern der Einrichtung, der Stadt, des Trägers und des Bistums hat man kürzlich diskutiert, wie es weitergehen kann mit der offenen Jugendarbeit in Herzogenrath-Mitte. Zunächst sei ein entsprechender Auftrag des Jugendhilfeausschusses notwendig, erklärte Sozialdezernentin Renate Wallraff. Dann werde man schauen, ob es interessierte Träger gibt und mit welchen Konzepten und welchem Personal diese sich auf Basis des Geldes, das die Stadt zur Verfügung stellt, bewerben oder ob die Stadt selbst als Trägerin tätig wird, wie schon in den Stadtteilen Kohlscheid und Merkstein.

Bistum will sich weiter engagieren

Bei einem Runden Tisch, u.a. mit Vertretern von Stadt und Träger, ging es um die Zukunft der offenene Jugendarbeit in Herzogenrath. (c) Andrea Thomas
Bei einem Runden Tisch, u.a. mit Vertretern von Stadt und Träger, ging es um die Zukunft der offenene Jugendarbeit in Herzogenrath.

Für Wilfried Cüsters, beim Bistum Aachen für die offene Jugendarbeit verantwortlich, zumindest ein Hoffnungsschimmer. Denn „eine endgültige Schließung und Einstellung eines Angebotes, wie es das HOT seit 1967 macht, ist eine Katastrophe für die Kinder und Jugendlichen“. Gemeinsam mit seinem Kollegen Udo Breuer, Referent für kirchliche Jugendarbeit in Aachen-Stadt und Aachen-Land und für Fachberatung und Fachaufsicht für die offenen Jugendeinrichtungen zuständig, hatte er fürs Bistum am Runden Tisch zum HOT teilgenommen, und beiden hatten hier auch noch einmal bekräftigt, dass das Bistum die offene Jugendarbeit vor Ort auch weiter unterstützen werde. Das Bistum habe in der Vergangenheit zusammen mit der Gemeinde erhebliche finanzielle Mittel, Know-how und Herzblut investiert und alleine seit 2014 fast 800 000 Euro für die Aufrechterhaltung des Betriebs und weitere 312 000 Euro für die Gebäudesanierung in 2009 aufgebracht.

 

„Das Bistum steht mit seinem Engagement auch weiter zur Verfügung, wenn ein katholischer Träger mit am Start ist.“ Es bestehe aber die Sorge, erklärt Wilfried Cüsters, dass es „trotz gutgemeinter Willenserklärung zu keinem gleichwertigen Angebot im unmittelbaren Anschluss zur Schließung des HOT kommen wird“. Was die Stadt nicht garantieren kann. „Klar ist, es muss etwas Neues her. Ich kann aber nicht versprechen, dass es zum 1. Januar 2025 direkt ein Anschlussprojekt gibt“, sagt Renate Wallraff.

Was verloren gehen würde, wenn die Zeitspanne zwischen Schließung und Fortsetzung des Angebotes unter neuem Träger zu groß wird oder (was niemand hoffen möchte) kein neues Angebot der offenen Jugendarbeit mit festen Räumlichkeiten zustande kommt, wurde deutlich, als beim Runden Tisch die beiden festen pädagogischen Mitarbeiterinnen des HOT das Mikrofon in die Hand nahmen. Sichtlich bewegt beschrieben Angelika Heidemüller und Stascha Löffler die entsetzten und traurigen Reaktionen der Kinder, Jugendlichen und Eltern auf das Aus „ihres“ HOT. Manche Träne sei da geflossen. Das HOT war und ist für Generationen ein Stück Heimat, der Ort, an den sie jederzeit gehen konnten, egal mit welchem Problem, eine im wahrsten Sinne des Wortes „offene Tür“. „Sie dürfen sich hier ausprobieren, dürfen Fehler machen und zu uns kommen in allen Lebenslagen“, sagt Angelika Heidemüller.

Auch sie selbst und das Team der Ehrenamtlichen hatte das voraussichtliche Ende „kalt erwischt“. Mit einer Petition an Herzogenraths Bürgermeister Benjamin Fadavian, die bereits über 1000 Unterschriften zählt, setzen sie sich für eine Fortführung des Angebotes ein, das so wichtig für junge Menschen im Stadtteil sei. Welchen Stellenwert das hat, zeigt sich auch in den Anmeldezahlen für die voraussichtlich letzten Ferienspiele. „Aus geplant 80 Kindern sind inzwischen 120 geworden. Viele ehemalige Ehrenamtliche und auch neue wollen unbedingt dabei sein“, berichtet Angelika Heidemüller.

Den Stellenwert offener Jugendarbeit, besonders auch in kirchlicher Trägerschaft, zeigt auch Wilfried Cüsters noch einmal auf: Für viele Jugendliche sei die „Offene Tür“ oft die einzige Anlaufstelle, „das einzige, bessere Zuhause“, wie es sein Kollege Udo Breuer beim Runden Tisch umschrieben hat. In einer schwierigen gesellschaften Situation mit Krisen, die auch junge Menschen belasten, seien solche Orte wichtiger denn je. Sie lernten, mit Konflikten und Grenzverletzungen umzugehen, weil man ihnen die Augen öffne für Fehlverhalten und, was das mit dem anderen mache, ihnen aber immer wieder auch eine zweite Chance gebe. Anspruch kirchlicher offener Jugendarbeit sei es, Kinder und Jugendlichen unabhängig von Religion und Herkunft zu unterstützen, ihre Wege zu gehen. Viele inzwischen Erwachsene sagen im Rückblick, ohne diese Erfahrungen seien sie heute ein anderer Mensch. 

Feld nicht rechtsextremen Gruppen überlassen

Ein solches Angebot flächendeckend aufrecht zu erhalten, sei nur möglich durch die gute Partnerschaft von Kommunen, Bistum und katholischen Trägern, sagt Wilfried Cüsters. Weshalb sich Kirche hier auch nicht zurückziehen dürfe. Zumal die berechtigte Sorge bestehe, dass da, wo Jugendzentren schließen, rechtsextremen Gruppen in die Lücke drängten und das Feld besetzten. „Das dürfen wir nicht zulassen.“ Das könne auch mobile Jugendarbeit, wie die Stadt Herzogenrath sie im Stadtteil Mitte unabhängig von der Entscheidung über das HOT anbieten wird, nicht auffangen. Die habe einen anderen Ansatz, sei aber eben kein fester Ort mit offener Tür.