Eine Frau geht ihren Weg

Um ein selbstbestimmtes Leben zu führen, musste Farzane Ashourzada viele Widerstände überwinden

Als sie nach Deutschland kam, hat Farzane Ashourzada beim Verein „Türöffner“ viel Hilfe erfahren. Heute engagiert sie sich in dem Verein ehrenamtlich. (c) Garnet Manecke
Als sie nach Deutschland kam, hat Farzane Ashourzada beim Verein „Türöffner“ viel Hilfe erfahren. Heute engagiert sie sich in dem Verein ehrenamtlich.
Datum:
6. März 2024
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 10/2024 | Garnet Manecke

Flucht, Heimatlosigkeit, Neuanfang in einem fremden Land, der Kampf um Bildung und Selbstständigkeit: Farzane Ashourzada hat in ihren 30 Lebensjahren schon viel erlebt. Die Geschichte einer Frau, die sich aus traditionellen Rollen befreit und es dennoch schafft, ihre Familie zusammenzuhalten.

Sie ist eine moderne, selbstbewusste Frau: Schwarzer Pulli kombiniert mit Jeans, die dunklen Haare fallen ihr offen über die Schulter, ihr Händedruck ist fest. Wenn sie von ihrem Leben und von ihren Zukunftsträumen erzählt, wird schnell klar: Farzane Ashourzada weiß, was sie will. Bei jedem Widerstand, der sich ihr auf dem Weg zu ihrem Ziel auftut, sucht und findet sie eine Lösung – auch dann, wenn sie dafür all ihren Mut zusammenbringen muss.

Der Kurs „Starke Frau, starke Mutter“ des Vereins „Türöffner Würselen/ Aachen“ habe für sie die Wende bedeutet, sagt Ashourzada. „Da habe ich mich gefragt: Warum lasse ich mich klein machen? Warum habe ich alles gemacht, wie andere es wollten? Es ist doch mein Leben und daraus will ich was machen.“

Ein Kurs bedeutete für sie die Wende: Sie wollte etwas aus ihrem Leben machen
Geboren wurde Ashourzada im Iran als Tochter afghanischer Eltern. Die Eltern waren vor ihrer Geburt in den Iran gezogen, das Land ihrer Eltern hat sie nie kennengelernt. Als sie zwölf Jahre alt war, starb ihr Vater, im Alter von 15 Jahren verlor sie auch ihre Mutter. Zusammen mit ihrer Schwester lebte sie bei der Familie ihres Bruders. „Aber mit seiner Frau war es schwierig“, berichtet Ashourzada. Die junge Frau floh mit 16 Jahren in eine Ehe. „Ich dachte, das wäre der einzige Weg, frei zu sein“, sagt sie dazu. Sie hatte vor, weiter zur Schule zu gehen und etwas zu lernen. Später wollte sie einen Beruf ergreifen. Friseurin wäre sie gerne geworden.

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Aber daraus wurde nichts: Ihr Mann erlaubte ihr den Schulbesuch nicht und ohne seine Zustimmung durfte sie nicht. „Ich habe das akzeptiert, weil ich das so gewohnt war“, sagt sie. Mit 18 Jahren bekam sie ihr erstes Kind. Ein Leben als Mutter und Hausfrau lag vor ihr. Doch dann kam eine Hiobsbotschaft, die ihr Leben grundlegend ändern sollte: „Unsere Aufenthaltserlaubnis im Iran wurde nicht mehr verlängert. Wir sollten zurück nach Afghanistan gehen. Aber da kannten wir überhaupt niemanden. Auch die Eltern meines Mannes waren schon gestorben.“ Dazu kam die unsichere politische Lage im Heimatland ihrer Eltern.

Weil afghanische Bürger im Iran wie Menschen zweiter Klasse behandelt wurden, entschloss sich die Familie auszuwandern. Die Türkei war ihr Ziel, ein anderes islamisches Land. Der Weg war beschwerlich. Zu Fuß ging es über die Berge bei Schnee und Hagel. „Aber als wir in der Türkei ankamen, wurden wir direkt von der Polizei festgenommen“, erinnert sich Ashourzada. „Zusammen mit anderen Familien wurden wir ins Gefängnis gesteckt. Zusammen mit echt gefährlichen Menschen.“ Nach einer Woche kam die Nachricht, dass sie die Türkei verlassen mussten. Wieder stand die kleine Familie vor der Frage: wohin?

Sie kauften sich Plätze auf einem Boot, dass sie über das Meer nach Griechenland bringen sollte. Für 40 Personen sei das Boot ausgelegt gewesen, sagt Ashourzada. „Aber da waren 80 Personen drauf. Wir haben gedacht, dass wir entweder sterben oder irgendwo ankommen.“ Auf ihrer Reise über das Meer mussten sie ihr gesamtes Hab und Gut ins Meer werfen, um weniger Ballast zu haben. Sie schafften es und ihre Odyssee führte sie per Bus, zu Fuß und im Zug über Mazedonien, Serbien und Österreich schließlich nach Deutschland.

Nach neun Monaten in einer Turnhalle in Broichweiden kam die Familie schließlich nach Würselen. Sie habe direkt versucht, die neue Sprache zu lernen: „Anfangs durften wir noch keinen Sprachkurs besuchen, da habe ich versucht, sie mit Youtube-Videos zu lernen.“ Als die Aufenthaltserlaubnis erteilt wurde, hat sich Ashourzada gleich um einen Kurs bemüht.
Ihr Plan war es, die Sprache zu lernen und sich dann eine Arbeit zu suchen. Den Sprachkurs mit dem dafür erforderlichen Sprachniveau hat sie schnell geschafft. „Aber dann habe ich festgestellt, dass ich ohne Schulabschluss keine Ausbildung machen kann“, sagt sie. Also hat sie die Abendschule besucht, um ihren Hauptabschluss gemacht.

Ihr Mann sei damit nicht einverstanden gewesen, sagt Ashourzada. Immer wieder kommt es zum Streit. Durch die Geburten ihrer beiden jüngeren Kinder wird die Familie größer. „Ich hatte so viel Stress, dass ich gar nicht mehr lernen konnte“, sagt die 30-Jährige. „Schule, Haushalt, Kinder: Das war alles zu viel.“ Sie war nah dran, alles aufzugeben. Zwei Monate nahm sie sich eine Auszeit und machte vor allem das, was ihr Spaß machte: Morgens in Ruhe ihren Kaffee trinken und zum Sport gehen zum Beispiel. Sogar ihre Lehrer von der Abendschule riefen bei ihr an, um sie zu ermuntern, weiter zur Schule zu gehen.

Den Verein „Türöffner“ besuchte sie in dieser Zeit regelmäßig und machte dort den Kurs, der ihr den Mut gab, weiter zu machen. Sie entdeckte ihre Stärken und lernte, dass sie nicht allein ist. „Ich war nah dran, mich von meinem Mann zu trennen“, sagt Ashourzada. „Das hat er anfangs gar nicht ernst genommen.“ Aber als sie eine Wohnung für sich und die Kinder suchte und auch fand, merkte auch er, dass seine Frau nicht aufzuhalten war.
Heute arbeitet sie als Alltagshelferin in einem Inklusionskindergarten. „Es ist schön, mein eigenes Geld zu verdienen“, sagt Farzane Ashourzada. Ihr Weg ist noch nicht zu Ende: Die dreifache Mutter will als nächstes eine Ausbildung zur Kinderpflegerin machen und später vielleicht auch die Ausbildung zur Erzieherin. Ihre Ehe hat gehalten. Ihr Mann hat ihren Weg akzeptiert. „Jetzt hilft er auch viel im Haushalt“, berichtet die 30-Jährige.

Besonders stolz ist sie darauf, dass sie ihren drei Söhnen ein anderes Frauenbild vorlebt, als sie es in ihrer Kindheit gelernt hat. Manchmal kämen in Gesprächen bei ihrem Mann noch die traditionellen Rollenvorstellungen, was eine Frau dürfe oder nicht, zum Vorschein. „Aber dann sagt mein Ältester schon: ,Nein, Frauen und Männer sind gleichberechtigt,“, erzählt die Mutter stolz. „Ich freue mich, dass meine Kinder das besser verstehen.“