Eine Frage des Gleichgewichts

Was macht gute Führung aus? Der Aachener Priester und Professor Elmar Nass hat darüber geschrieben

Das Wort Gottes weitergeben, indem man es glaubwürdig lebt: Elmar Nass sieht dies als Herausfordung für kirchliche Führungskräfte. (c) Thomas Hohenschue
Das Wort Gottes weitergeben, indem man es glaubwürdig lebt: Elmar Nass sieht dies als Herausfordung für kirchliche Führungskräfte.
Datum:
30. Jan. 2018
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 05/2018

An der Wilhelm-Löhe-Hochschule in Fürth bildet Elmar Nass Nachwuchs für Führungspositionen im Sozial- und Gesundheitswesen aus. Im Zuge dessen hat der Aachener Priester und Professor systematisch über Führungsfragen geforscht. Die sind auch in Kirche und Caritas aktuell und dringlich. Die Ergebnisse seiner Studien stellt Nass in einem frisch vorgelegten „Handbuch Führungsethik“ vor – und hier in der KirchenZeitung für das Bistum Aachen.

Warum ist es in Ihren Augen wichtig, sich etwas intensiver als bisher mit der Ethik der Führung von Organisationen, Institutionen, Unternehmen zu beschäftigen?

Wie eine Führungskraft die Welt sieht, die Aufgabe ihres Arbeitgebers versteht und ihre persönliche Rolle annimmt, hat ganz unmittelbare Folgen für Menschen. Frauen und Männer verbringen einen Großteil ihrer Lebenszeit im Beruf. Wie sie diese Zeit erfüllt und fordert, ist von hoher Bedeutung. Führungskräfte sollten sich dieser Verantwortung bewusst sein. Ihr Verständnis von Führung nimmt Einfluss auf ganz viele, ganz praktische Fragen. Wie wird im Unternehmen kommuniziert, wieviel Vertrauen ist möglich, wieviel Kontrolle nötig? Wie motiviere ich? Welchen Raum gebe ich der bewussten Weiterentwicklung von Mitarbeitern? Ratgeber dazu gibt es wie Sand am Meer. Sie gehen aber wissenschaftlich an das Thema. Was sind Ihre Quellen?

Tatsächlich ist die Beratung von Führungskräften etwas, womit sich viel Geld verdienen lässt. Deshalb sind viele Kollegen aus der wissenschaftlichen Zunft zurückgeschreckt vor dem Thema, es kommt ihnen etwas halbseiden vor. Ich sehe das anders und habe erst einmal Ethik von Führung definiert. Dann habe ich mir unterschiedliche Modelle dazu angeschaut. Das reichte vom Ideal des Führungsgurus über ökonomisch dominierte Ansätze bis hin zu anthroposophischen Leitungsphilosophien. Sogar bei einer Denkfabrik, die für das US-Militär arbeitet, habe ich bedenkenswerte Gedanken gefunden.

 

Und wie sah es im Bereich der christlichen Literatur und Wissenschaft aus?

Da gibt es eher wenig bisher. Ich möchte mit meinem Buch Kollegen aus der Theologie ermutigen, sich dem Thema zu stellen. Als Christen sind wir nicht weniger wissenschaftlich unterwegs als andere. Ich sehe uns christliche Wissenschaftler in einer Verantwortung, Position zu beziehen. Denn nur, wenn wir hier einen Beitrag als Christen leisten, können wir auch Einfluss darauf nehmen, wie in Organisationen, Institutionen und Unternehmen gehandelt wird.

 

Gehört es nicht zum Selbstverständnis eines jeden Wissenschaftlers, wertfrei zu arbeiten?

In der Analyse ja, aber in der Interpretation braucht es natürlich immer eine Perspektive. Wissenschaftliche Arbeit dient der bewussten Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit. Wie wir das tun, muss klar strukturiert und überprüfbar sein. Auf der Basis können wir in einem zweiten Schritt unsere Werte und Vorstellungen formulieren. Kantische Wissenschaftler sagen dann etwa, dass sie kantisch argumentieren. Christliche Wissenschaftler sollen ebenso sagen, dass sie christlich argumentieren. So diskutieren wir auf Augenhöhe, und ich bleibe durch und durch wissenschaftlich in meiner Methodik, bringe aber zugleich meine Überzeugungen und meinen Glauben als Christ ein.

 

Was heißt das auf Führung gewendet?

Für mich gibt es zwei Pole, zwischen denen sich Unternehmen und Organisationen bewegen und an denen sich alles ausrichten muss. Der eine Pol ist die Wirtschaftlichkeit, der andere die Menschendienlichkeit. Alle Ansätze, die sich einseitig nur an einem der beiden Ziele ausrichten, sind keine Führungsethik. Für den Bereich von Kirche und Caritas sehe ich die Herausforderung für Führungskräfte, die Wirtschaftlichkeit ihrer Einrichtungen mit dem christlichen Auftrag in Übereinstimmung zu bringen.

 

Können Sie das bitte etwas konkretisieren?

Ich nehme mal das Beispiel Krankenhaus. Die Kapelle alleine reicht genauso wenig aus wie Kreuze in den Zimmern. Wenn in einem christlichen Haus genauso mit Patienten und Mitarbeitern umgegangen wird wie in anderen Häusern, dann ist das Etikettenschwindel. Dann brauche ich das nicht. Wir Christen müssen in der Gesellschaft erkennbar sein. Christliche Führung bedeutet hier: Wie kann ich die berufliche Erfüllung eines jeden Mitarbeiters gewährleisten und seine Entwicklung auf Jahre hin fördern? Dieser Gedanke der Menschendienlichkeit darf nicht der Gewinnmaximierung geopfert werden. Die Mitarbeiter, von der Putzfrau bis zum Chef, sind aus christlicher Sicht nicht bloß Humanressourcen, die es für den maximalen Profit auszupressen gilt. Vielmehr hat jeder von ihnen seine eigene Würde, weil wir das Ebenbild Gottes darstellen. Die zu gewährleisten, ist Teil unseres missionarischen Auftrags in der Welt. Zugleich muss es auch wirtschaftlich sein, ansonsten droht die Pleite, die keinem dient außer der Konkurrenz.

 

Wenn aber das Geld vorne und hinten nicht reicht, wie im unterfinanzierten Gesundheitswesen?

Wo ein Kreuz draufsteht, muss christliche Kultur drin sind. Ist das finanziell nicht mehr tragbar, sollte man besser zumachen. Die biblischen Werke der Barmherzigkeit sind aber zuerst ein Appell an eine erfolgreiche Zukunft von Caritas und Diakonie.

 

Sie predigen jetzt also nicht den Rückzug der Kirche aus dem Feld der tätigen Nächstenliebe?

Im Gegenteil! Zunächst beschreibe ich nur ganz nüchtern die Quadratur des Kreises, der christlichen Führungskräften in diesem Feld abverlangt wird und sie an Grenzen führt. Wirtschaftlichkeit und Menschendienlichkeit in der Leitung eines Unternehmens gelungen in ein Gleichgewicht zu bringen, ist für mich gute Führung. Tätige Nächstenliebe aber gehört ganz eindeutig zum Grundauftrag des Glaubens. Sich daraus zurückzuziehen, wäre ein Verrat am Auftrag Jesu.

 

Das Gespräch führte Thomas Hohenschue.