Eine Familie für eine Woche

Heavy Metal und Glaube – auch das passt zusammen: Das „Wacken Open Air“ in Schleswig-Holstein hat Kult-Status. Das liegt auch am Umgang miteinander.

(c) Dennis Rokitta
Datum:
7. Jan. 2025
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 02/2025 | Kathrin Albrecht

Jedes Jahr, zwischen Ende Juli und Anfang August, wird das 2000-Seelen Dorf Wacken zum Wallfahrtsort tausender Metal-Fans aus aller Welt. 85 000 Tickets wurden 2024 in viereinhalb Stunden verkauft. Zwei davon gingen an Pfarrer Dennis Rokitta und Kaplan Marco Lennartz aus dem Bistum Aachen. Sie erzählen, was den Reiz dieses Festivals ausmacht. 

„Es ist eine besondere Atmosphäre. Trotz der rund 80 000 Besucher hat Wacken etwas Familiäres, man begegnet sich auf Augenhöhe“, beschreibt es Dennis Rokitta. Wie Marco Lennartz hat er das Festival schon mehrmals besucht.

„Wacken“ oder „Wacken Open Air“, wie das Festival offiziell heißt, wurde 1990 gegründet. Zum ersten Konzert in einer dem Dorf Wacken nahegelegenen Kiesgrube kamen 800 Besucher. Seitdem ist das Festival kontinuierlich gewachsen. Bands wie die Scorpions, Slayer, Motörhead oder zuletzt Korn gehörten zu den Headlinern. Musikalisch deckt das Festival die gesamte Palette des Rock und Heavy-Metal ab. Verschiedene Themenwelten, wie das Wackinger-Dorf, das sich an Mittelalter- und Wikinger-Fans wendet, oder das Wasteland, das die dystopische Endzeit-Welt der „Mad-Max“-Filme aufgreift, bieten Fans die Möglichkeit, ihre Fantasien auszuleben. Man treffe auf alles, erzählen die beiden: „Steam Punks, Kuttenträger, Goths, aber auch Fans in Jeans und T-Shirt. Alle kommen miteinander aus.“

Auch die Einwohner Wackens arrangieren sich gut mit den temporären Neu-Bewohnern. Jedes Mal spielt die örtliche Kapelle der Freiwilligen Feuerwehr, die „Wacken Firefighters“, zur Eröffnung. Die Kriminalitätsrate auf dem Festival bleibt überschaubar. „Jede Kirmes ist hektischer als dieses Festival. Die Besucherzahl in Wacken entspricht einer Kleinstadt. Trotzdem hat die Polizei nur unter 110 Einsätze gezählt“, erzählt Marco Lennartz.

Der Umgang der Menschen untereinander sei insgesamt sehr respektvoll. Dennis Rokitta erinnert sich an einen früheren Besuch: „Da schob ein älterer Mann seinen Rollator quer über das Feld, um zur Bühne zu kommen. Es entstand etwas Unruhe – aber nur, um den Mann durchzulassen, so lange, bis er in der ersten Reihe stand. Niemand hat sich beschwert oder in Frage gestellt, das er das gemacht hat.“ Mit „Wheels of Steel“ stellt das Festival einen barrierearmen Bereich zur Verfügung. Besucher, die auf Pflege angewiesen sind, dürfen bis zu fünf Begleitpersonen mitbringen. 

Beim Wacken Open Air ist eine Festival-Seelsorge unterwegs

Auch im Moshpit – dem Bereich, in dem wild getanzt wird, gehe man achtsam miteinander um, hat Marco Lennartz beobachtet. Warum das funktioniert? Dennis Rokitta sieht das so: „Wenn ich weiß, ich kann sein, wie ich will, kann ich meinem Gegenüber mit Respekt begegnen.“ Schlage man den Bogen zur Religion, sei das gelebte christliche Botschaft – ganz im Gegensatz zum Alltag: „Dort erdreisten wir uns, dem anderen vorzuhalten, was ihm oder ihr fehlt.“

In Wacken ist eine eigene Festival-Seelsorge unterwegs, seit 2010 organisiert vom Landesjugendamt der evangelisch-lutherischen Nordkirche. Die begleitet die Festival-Besucher ökumenisch und religionsoffen. Der Bedarf ist da, beobachten beide: „Musik setzt Emotionen frei, manche möchten sich dann jemandem anvertrauen.“ Allein 2023 führte die Seelsorge über 200 Gespräche durch. Auch die beiden Priester aus dem Bistum Aachen führten viele Gespräche zum Thema Glauben. „Ich bin durch den Kollar erkennbar“, sagt Dennis Rokitta. Das wecke erstmal Neugierde, aus der Gespräche erwachsen, ob mit einer evangelischen Kollegin, die in Münster Theologie studiert oder mit einem atheistisch eingestelltem Brüderpaar.

Vielleicht wird den beiden auch die Frage begegnet sein, ob es okay ist, als Christ Heavy Metal zu hören – tatsächlich beschäftigen sich die Fragen-Sektion bei evangelisch.de oder der Podcast „Ist es Sünde?“ des Bistums Osnabrück mit dieser Frage. Dennis Rokitta und Marco Lennartz weisen darauf hin, dass Metal, wie andere Genres auch, christliche Symbolik aufgreift, zum einen bewusst als Provokation, zum anderen aber auch, um sich, wie die Band Slayer, kritisch damit auseinanderzusetzen. Ein verschwindend geringer Teil innerhalb dieses Genres habe tatsächlich antichristliche Tendenzen. „Die Szene ist, wie jede Szene auch, ein Spiegel der Gesellschaft“, unterstreicht Marco Lennartz.

Wer sich mit der Musik und mit den Texten auseinandersetze, stelle fest, dass es eine anspruchsvolle Musikrichtung ist: Da sind JBO, die sich und die Szene ein wenig auf die Schippe nehmen, „Blind Guardian“, die über das Mittelerde-Universum singen, das J. R. R. Tolkien erschaffen hat. „Fersengold“ erzählen gereimte Geschichten.

Viele Bands nehmen in ihren Texten Stellung zum aktuellen Weltgeschehen, wie die Band Scorpions 1991 mit „Wind of change“. Und spätestens, seit die finnische Band Lordi mit „Hard Rock Hallelujah“ 2006 den Eurovision Song Contest gewonnen hat, könne man schon sagen, dass auch Metal in der Popkultur angekommen ist, findet Dennis Rokitta.

Für die Pfarrei St. Marien Baesweiler haben die beiden eine Instagram-Story über ihren Festival-Besuch erstellt. „Die Resonanz darauf war überwiegend positiv“, berichten beide. 
Wacken – das sei mehr als Musik, es sei ein Mikrokosmos, eine Art Utopia. Doch beide glauben auch: das funktioniert nur für diese bestimmte Zeit. Aber sie werden wieder hinfahren. Die Tickets für 2025 sind gebucht. Und sie haben Glück gehabt, das Festival war innerhalb von 57 Tagen ausverkauft. 

Die Instagram-Story unter 
https//:instagram.com.pfarreist.marien/

Eindrücke vom Wacken-Festival

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