Sein neuester Stolz wiegt über eine Tonne und hat Maße von 3 x 2,2 Metern. Zu Jahresbeginn hat sich Simon Jörres eine avantgardistische Orgel ins Haus geholt – seither besitzt er zwei. Auf beiden übt der promovierte Mathematiker bis zu vier Stunden täglich. Ein neuer Teil unserer Serie zum „Instrument des Jahres“.
Wer sich für Orgeln begeistert, mag davon träumen, sich ein Instrument für daheim anzuschaffen – Simon Jörres hat sich den Traum gleich doppelt erfüllt. Eine neobarocke Klais-Orgel aus den Sechzigerjahren steht im Keller des Hauses in Drove, sein Prunkstück ließ er zu Jahresbeginn als Maßanfertigung unters Dach liefern, wo der 41-jährige Mathematiker gleichzeitig sein Büro hat: eine avantgardistische Haus- und Studienorgel, basierend auf einem Forschungsprojekt der Berner Hochschule der Künste.
Es ist gegenwärtig eines der modernsten Modelle der Welt, gebaut im Bodenseeraum. Nur wenige Exemplare gibt es davon. Das Besondere des Projekts lag darin, dass beim Spiel Dynamik und Klangfarben beeinflussbar sein sollten und nicht wie bis dahin nur über Voreinstellungen via gewählte Register. Für Laien erklärt Jörres das Kernziel so verständlich wie möglich: „Dem Organisten die aktive Steuerung des Spielwindes während des Spiels an die Hand zu geben.“ Das Resultat begeistert ihn restlos: „Durch die neuen spieltechnischen Möglichkeiten erhält man Inspirationen und Anstöße für die Interpretation von Orgelwerken aller Epochen.“
Jörres pflegt die Liebe zur Musik seit seinen Kindertagen. Zu Beginn der Grundschulzeit fing er mit Trompete an und „rutschte mit zunehmender Körpergröße von der Instrumentenlage immer tiefer“, bis er mit 14 Jahren bei der Tuba ankam. Dem Blechblasinstrument blieb er über Jahre eng verbunden, ob im Drover Musikverein oder im Landesjugendorchester. Er trug sich sogar mit dem Gedanken, Tuba an der Kölner Musikhochschule zu studieren, doch letztlich entschied er sich für Mathematik. Eine besondere „Klangfaszination“ ging für Jörres allerdings von der Orgel aus. „Wenn ich in Kirchen kam, ging mein erster Blick immer zur Orgel“, erinnert er sich. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Mit Mitte zwanzig, als er in Erlangen zu promovieren begann, sagte er sich: „Wenn ich jetzt nicht mit der Orgel anfange, fange ich nie an.“ Er nahm sich ein Herz – und als Spätberufener den ersten Orgelunterricht. Dabei war er sich „vollkommen unsicher, wie weit man in dem Alter mit einem neuen Instrument kommen kann“. So startete er voll motiviert sein „persönliches Experiment“. In Jugendzeiten habe er Klavier gespielt und brachte eine gewisse Basis mit, sei aber „damit nie weit gekommen“. Bei der ersten Orgelstunde wurde er sich „der Riesendimension von so einem Instrument bewusst“ und bemerkte leicht befremdet, dass „meterweit entfernt irgendwelche Pfeifen“ ansprachen. Jörres: „Die Orgel machte Eindruck auf mich. Wenn eine Orgel vibriert, flößt das Respekt ein.“
Zurück in der Kreisdürener Altheimat, nahm er Orgelunterricht bei Regionalkantor Hans-Josef Loevenich und absolvierte eine C-Ausbildung für nebenamtliche Kirchenmusiker. In der Dürener Annakirche spielt er heute in Gottesdiensten schon mal das Abschiedsstück oder zur Kommunion. Seit vergangenem Jahr ist er zudem Vorsitzender des Vereins zur Förderung der Kinder- und Jugendmusik und der Kirchenmusik der Gemeinde St. Anna. Hauptberuflich arbeitet er bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Bonn als Fachreferent im Bereich Ingenieurwissenschaften.
„Ambitionierter Hobbyorganist“ nennt sich Jörres, doch sein Pensum liegt über dem Schnitt. „Glühende Faszination“ treibt ihn täglich an beide Orgeln zwischen Keller und Dachgeschoss, manchmal zwei Stunden, mitunter vier. „Das gibt mir Entspannung“, unterstreicht er. Dann fühle er sich „wohl wie in einer anderen Welt“. Ebenso praktiziere er Sport, Laufen und Schwimmen, „aber da kann ich nicht so abschalten wie bei der Orgel“. Für das Spiel zieht er sich „Orgelschuhe“ mit Absatz und einer Sohle mit Veloursleder an, das gebe ihm „ein sicheres Spielgefühl“. Dröhnend laut sind die Klänge nicht. Nur bei dem älteren Modell im Keller setzt er gelegentlich einen Gehörschutz auf. Die neue Orgel sei „leise bis sehr leise“, da könne er theoretisch selbst „nachts um drei“ noch aktiv sein, ohne die Nachbarschaft zu stören.
Orgelspielen hält er für einen „faszinierenden kognitiven Prozess“. Es brauche Hände und Füße, die es zu koordinieren gelte. Oft funktioniere am Anfang gar nichts. Der Prozess finde auch im Gehirn statt, bis man merke: „Plötzlich fängt es an zu laufen.“
Obgleich er Barock und französische Symphonik von gestern bis heute mag, pflegt Jörres keine speziellen Vorlieben. „Mich fasziniert Orgelmusik aller Epochen bis hin zur Avantgarde“, sagt er. Gerne schaut er in alten Quellen nach, schätzt die eher unentdeckte niederländisch-belgische Orgelmusik.
Und wo sieht er Berührungspunkte zwischen dem Orgelspiel, seiner Passion, und der Mathematik, seiner ureigenen Ausbildung? Da muss Jörres nicht lange nachdenken: „Als Mathematiker liebe ich Komplexität, das Lösen komplexer Probleme. Genauso ist für mich das Orgelspiel. Man muss probieren, wie das gehen kann, komplexe Probleme zu lösen.“