Ein (fast) leeres Dorf

Es ist ein gutes Jahr her, dass die Rettung von Keyenberg, Kuckum und den anderen Orten bei Erkelenz beschlossen wurde

(c) Bistum Aachen/Andreas Steindl
Datum:
17. Okt. 2024
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 42/2024 | Garnet Manecke

Mit der Leitentscheidung im September 2023 war klar, dass die Dörfer Keyenberg, Kuckum, Oberwestrich, Unterwestrich und Berverath doch nicht abgebaggert werden. Da war aber ein Großteil der Bewohner schon umgesiedelt oder saß auf gepackten Umzugskisten. Wie geht es den Dörfern nun gut ein Jahr nach der Entscheidung? Ein Besuch.

Die Sonne geht hinter dem Kirchturm von Keyenberg auf. Die Landstraße zu dem Dorf ist umsäumt von Feldern, auf denen sich der Nebel langsam lichtet. Alles ist friedlich und ruhig. Zu ruhig. Denn auf dem Schulhof fehlen die Kinder, die sich hier zur ersten Stunde treffen. In der Turnhalle turnt niemand mehr, und auch der Bolzplatz ist dauerhaft verwaist. In Keyenberg ist die Welt schon lange nicht mehr in Ordnung.

Das wird gleich mit dem ersten Blick auf die Vorgärten klar: Der Schmetterlingsflieder hat sich über den Gehweg ausgebreitet, weil niemand mehr da ist, der ihn schneidet. In den Gärten wuchert das Unkraut, die Einfahrten zu Garagen sind vermoost und Gartenhäuschen verfallen. An vielen Fenstern sind die Rollläden heruntergelassen. Efeu rankt inzwischen dort hoch. Die meisten Bewohner von Keyenberg sind weggezogen – umgesiedelt in das neue Keyenberg, das auf der anderen Seite von Erkelenz gebaut wurde und hier mit den anderen umgesiedelten Dörfern Kuckum, Berverath, Oberwestrich und Unterwestrich zu einem Ort verschmilzt. Aber auch im alten, direkt am Tagebau liegenden Keyenberg leben noch Menschen. Jene, die nicht wegziehen wollten, ausharrten und weiter kämpfen wollten.

Mit der Leitentscheidung zum Kohleausstieg im September 2023 war klar, dass die Dörfer doch stehenbleiben. Wo noch jemand wohnt, ist an den oft dekorierten Türen und den gepflegten Gärten zu erkennen. „Ich komme jetzt langsam zur Ruhe“, sagt eine Keyenbergerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. „Mein Körper und meine Seele merken jetzt, dass wir wirklich bleiben können.“ Erst jetzt werde ihr bewusst, unter welcher Anspannung sie die vergangenen Jahre gelebt habe. Aber nun kommen die Fragen: Was soll mit dem Dorf geschehen? Wie wird es sich entwickeln?

Denjenigen, die in das neue Dorf umgesiedelt sind, ist angeboten worden, ihre früheren Häuser zurückzukaufen. Voraussetzung: Sie müssen es dann auch wieder selbst bewohnen. Aber was geschieht mit den Häusern, die nicht mehr bewohnbar sind? Und dann sind da noch die Folgen des Investitionsstaus. „Weil ja immer im Raum stand, dass wir weg müssen, haben wir natürlich nicht in Renovierungen investiert“, sagt die Keyenbergerin. Jetzt sind die Holzfenster in ihrem historischen Haus morsch, es ziehen sich Risse durch Wände, weil jahrelang die großen Lastwagen durch das Dorf gefahren sind. 
Heute fahren hin und wieder Landmaschinen über die Hauptstraße, die früher zur L12 und weiter nach Lützerath und Holzweiler führte. Das letzte Haus in Lützerath ist im Januar 2023 abgerissen worden. Dass Holzweiler bleibt, ist 2014 entschieden worden. Mit dem Abriss der L12 ist auch die direkte Verbindung nach Holzweiler gekappt.

Keyenberg ist trostlos und idyllisch zugleich. Rund um Haus Keyenberg geben die Bäume mit ihrer herbstlichen Farbenpracht ein malerisches Bild ab. Von dem ehemaligen Rittersitz sind es nur ein paar Schritte zur Kirche Heilig Kreuz, die im November 2021 entwidmet wurde. Ihre Glocken klingen nun im Turm von St. Petrus, der Kirche in den neuen Dörfern. Seitdem ist die Kirche geschlossen, Gottesdienste finden nicht mehr statt.

Aus dem Bodengitter vor der Kirchentür wächst eine Pflanze. Direkt gegenüber ist die Bäckerei Laumanns, in der noch Brot, Brötchen und in dieser Jahreszeit auch Weckmänner verkauft werden. Von den Kunden aus Keyenberg können Wolfgang Laumanns und seine Schwester Elke Effertz schon lange nicht mehr leben. Nur ein kleiner Teil dessen, was in der Backstube produziert wird, wird hier im Laden verkauft. Das meiste geht im Verkaufswagen über die Theke, mit dem das Team mittlerweile 14 Dörfer in der Region anfährt.

Wie es weitergeht, sei noch ungewiss, erfährt man im Geschäft. Ursprünglich war der Plan, dass Effertz’ Sohn das Geschäft eines Tages übernimmt. Dass das nun nicht mehr so sicher ist, liegt nicht nur an der Umsiedlung. Inzwischen gibt es viele neue Vorschriften, die bei einer Übernahme umgesetzt werden müssten und mit hohen Kosten verbunden sind. Aber solange es geht, soll der süße Duft der Backwaren den Verkaufsraum und den Platz vor der Bäckerei erfüllen und den muffigen Geruch der leerstehenden Häuser verdrängen.

Eindrücke aus den Dörfern, die jetzt doch bleiben

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