Ein besonderer Ort

Eine Tagung beleuchtete anlässlich des Neubaus der Genezareth-Kirche die Bedeutung des Kirchenraums

Schlicht und trotzdem sakral: Ein Blick in den Kirchenraum der neu erbauten Genezareth-Kirche in Aachen. (c) Kathrin Albrecht
Schlicht und trotzdem sakral: Ein Blick in den Kirchenraum der neu erbauten Genezareth-Kirche in Aachen.
Datum:
16. Okt. 2018
Von:
Aus der KirchenZeitung, ausgabe 42/2018 | Kathrin Albrecht
Heute noch Kirchen bauen? Eigentlich lesen wir eher vom Gegenteil: Weil Gemeinden schrumpfen, werden Kirchengebäude nicht mehr gebraucht, entwidmet, umgenutzt oder gar abgerissen.
Weihbischof Johannes Bündgens entzündet Weihrauch auf den fünf Weihekreuzen des Altars. (c) Eva Weingärtner
Weihbischof Johannes Bündgens entzündet Weihrauch auf den fünf Weihekreuzen des Altars.

Im Mai dieses Jahres jedoch weihte die evangelische Kirchengemeinde Aachen die Genezareth- Kirche im Aachener Westen ein. Wie baut man Kirchen im 21. Jahrhundert? Wie wirken Liturgie und Raum zusammen? Eine Tagung beleuchtete die Fragen aus evangelischer und katholischer Sicht.

Schlicht wirkt der Kirchenraum der evangelischen Genezareth-Kirche beim Ein-treten. Schlicht, doch zugleich hell und freundlich. Durch die Oberlichter fällt natürliches Licht. Helles Holz nimmt dem Raum die Schwere. Der Raum wirkt genauso, wie es sich die Gemeinde bei der Planung gewünscht hat. „Es sollte ein sakraler Raum sein, einladend, und er sollte signalisieren: Hier ist eine Kirche“, sagt Pfarrer Mario Meyer, der gemeinsam mit Pfarrerin Bettina Donath-Kreß für die Genezareth-Kirche zuständig ist. Den Kirchenneubau hatte die Gemeinde beschlossen, um Kosten für bestehende Gemeindehäuser einzusparen. Verschiedene Modelle wurden im Vorfeld des Baus diskutiert, auch eine ökumenische Nutzung stand im Raum. Sicher war von Anfang an: Man wollte sich nicht nur von der Not diktieren lassen, wie der Bau auszusehen hatte. „Wir haben auch überlegt, was wir brauchen. Es sollte ein Sakralbau sein, mit Kirchturm und auch mit Glocken. Er sollte einladen, als ein besonderer Raum zur Begegnung mit Gott und mit neuen Nutzungskonzepten. Das ist für Protestanten nicht selbstverständlich“, meint Pfarrer Meyer. Auch wenn den meisten beim Betreten eines Kirchenraums vieles vertraut ist – ein langgestrecktes Kirchenschiff, in dem die Gemeinde meist in Bänken oder Stühlen Platz nimmt, die Bestuhlung, die nach vorne auf den Altarraum mit anschließender Apsis ausgerichtet ist – gibt es doch Unterschiede in der Auffassung dessen, was einen Kirchenraum ausmacht.

Die katholische Sicht stellte der Kirchenhistoriker Bernward Schmidt, jetzt Professor an der Universität Eichstätt, in seinem Vortrag heraus. Bezugsrahmen für die Gestaltung des Kirchenraums ist das Zweite Vatikanische Konzil. Dort wurde auch eine Reform der bestehenden Liturgie beschlossen. Zuvor bestand eine klare Trennung zwischen den Handlungen des Priesters und der Mitzelebranten vorne und der Gemeinde hinten. Die Liturgie-reform des Konzils brach diese Ordnung auf. Die Handlungen des Priesters und der Gemeinde sollten in der Feier des Gottesdienstes zusammenkommen. Der Altar rückte mehr in die Mitte des Raums, der Ambo als Ort der Wortverkündigungen, kam als neues Element hinzu.

 

Sehnsucht nach dem Heiligen

Doch ein zentrales Problem blieb: Wer spricht in welche Richtung? Die Gemeinde ist häufig nach vorn zum Altar hin ausgerichtet. Zwar wendet der Priester sich der Gemeinde nun zu, allerdings wird diese Form oft als „Frontalunterricht“ empfunden. Lösen runde oder halbrunde Sitzordnungen, wie in der Kirche Christus unsere Einheit in Lichtenbusch, das Problem? Jeder Akt der Messhandlungen im Raum muss für sich betrachtet werden, zitiert Schmidt den Liturgiewissenschaftler Albert Gerhards. Danach richte sich auch, wie Gemeinde und Priester miteinander in der Messe wirken.

Was macht einen Kirchenraum zu einem besonderen Ort? Diese Frage klärte unter anderem Erik Demel, Dozent an der Universität Halle-Wittenberg. Zu Beginn fanden protestantische Gottesdienste, ähnlich wie in der urchristlichen Kirche, in Privaträumen statt. Nach protestantischem Verständnis ist die Versammlung der Gemeinde die Kirche. Ein besonderer oder gar heiliger Raum ist dafür nicht notwendig. Anders ist das im katholischen Verständnis. Dort verbindet sich Christus in den Elementen der Eucharistie mit der Gemeinde. Dafür braucht es einen geweihten Raum. Die Vorstellung von Kirche als einem besonderen Ort ist bereits im Alten Testament zu finden. In Buch Genesis, Kap. 28,1022, träumt Jakob von einer Himmelsleiter. Am Morgen weiht er die Stelle mit Öl und weist sie als Ort aus, an dem er Gott begegnet ist. Auch in der protestantischen Kirche habe sich in der Wahrnehmung des Kirchenraums eine Wandlung vollzogen. Nicht zuletzt wird das auch im Neubau der Genezareth-Kirche deutlich. Mit dem evangelischen Theologen Manfred Josuttis macht Demel eine Sehnsucht nach einem heiligen Raum aus. Ein Bereich, der fundamental anders ist als der Alltag.