Vom 22. bis zum 30. September steht der Dom selbst im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses: Dann feiern die Aachener den Umstand, dass dieses Gotteshaus seit 40 Jahren Weltkulturerbe der Unesco ist. Warum die damalige Entscheidung schlüssig war und welcher Auftrag sich damit bis heute verbindet, skizziert Dompropst Manfred von Holtum im Gespräch mit der KirchenZeitung.
Der Aachener Dom war das erste deutsche Bauwerk, das zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Was entnehmen Sie der damaligen Begründung der Unesco?
Mir wird noch einmal bewusst, welche Kostbarkeit wir mit dieser Kirche haben. Es hat 1978 im Gegensatz zu späteren Kandidaten keine kontroverse Diskussion gegeben. Vielmehr würdigt die Unesco den Aachener Dom als „Meisterwerk menschlicher Schöpfungskraft“. Zum Zuge kommen dabei architektonische, kulturelle und zeitgeschichtliche Argumente, die bis heute tragen und uns auch Verpflichtung für die Zukunft sind.
Welche Argumente überzeugen Sie persönlich im Besonderen?
Ich beginne bei der Grundidee, die im Bauwerk verwirklicht ist. Das Bildprogramm speist sich aus der Offenbarung des Johannes. Das himmlische Jerusalem, das uns verheißen ist, finden Sie durchgängig, als Ikonografie, als Zahlenwerk, als architektonisches Prinzip, im karolingischen Teil, im Barbarossaleuchter, in der Choralle, in der das Licht von oben auf die Erde trifft. Die Unesco würdigt diese Einheitlichkeit und Geschlossenheit des Raumes, die sich trotz Kapellenanbauten über 1200 Jahre erhalten haben. Dies umfasst ausdrücklich auch die innere Ausstattung des Doms, nicht nur die äußere Architektur. Sogar die Orgel in der Disposition von 1847 und die Mosaikgestaltung aus dem 19. Jahrhundert tragen zu dieser Integrität des Raums bei.
Wie nehmen Sie wahr, wie Menschen auf diesen ganz besonderen Raum reagieren?
Ich bin überzeugt, dass Menschen die biblische Botschaft vom himmlischen Jerusalem spüren, dass also Architektur und Ausgestaltung des Raumes auf sie wirken, auch ohne dass sie deren Details und Hintergründe kennen. Diese Kraft, welche die Unesco bei ihrer Entscheidung vor 40 Jahren würdigte, ist für mich unverkennbar. Besucher verlassen den Dom anders, als sie eingetreten sind. Es ist unglaublich wertvoll, einen solchen Kirchenraum innerhalb einer Stadt zu haben, wo Menschen noch einmal tief durchatmen können, ganz persönlich, aber auch religiös.
Die Unesco spricht mit Blick auf den Dom von einem „Schnittpunkt menschlicher Werte in Bezug auf die Entwicklung menschlicher Kultur“. Was verbinden Sie mit dieser Würdigung?
Sie ist ein Verweis auf die geschichtliche Bedeutung, die der Kathedrale zukommt, und auf den zivilisatorischen Auftrag, der sich damit verknüpft. Der Dom berichtet über 600 Jahre deutsche Geschichte. 32 Könige und zehn Königinnen wurden dort gekrönt. Aachen war somit ein Ort, in dem die Einheit des Reiches vorangetrieben wurde. Der Dom symbolisierte die geistige, christlich geprägte Mitte dieses Reiches. Diese Bedeutung behielt er auch später als wichtigste Wallfahrtsstätte nördlich der Alpen, wie die Unesco ebenfalls heraushebt. Und sie resümiert in ihrer Entscheidung, der Dom versinnbildliche einen bedeutsamen Abschnitt der Geschichte der Menschheit.
Was sagt uns dieser Blick zurück heute?
Die Frage ist berechtigt, denn vielen von uns ist heute wenig bewusst, welche Botschaft vom Aachener Dom ausgeht für politisch Verantwortliche, die Kirche, die europäischen Gesellschaften, uns alle. Was früher der Dienst an der Einheit des deutschen Reiches war, ist aus heutiger Sicht die Verpflichtung, an der Einheit Europas mitzuwirken. Angesichts wachsender Nationalismen und Egoismen bei uns und in Nachbarländern ist dieser Auftrag aus der Geschichte aktuell wie lange nicht. Das spüren auch die Politiker, die den Dom besuchen, wie ich immer wieder den Gesprächen mit ihnen entnehme. Der Dom eröffnet eine Dimension der Weite und Offenheit gegenüber anderen Nationen, die heute dringend neu benötigt wird. Das gilt auch im Verhältnis zwischen West- und Osteuropa, wie es Papst Johannes Paul II. im Bild der zwei Lungenflügel sagte, mit denen Europa atmen müsse. Insofern ist für mich der Dom auch ein bedeutsamer Ort kirchlicher Ökumene.
Die Sorge um die Zukunft gilt auch dem Dom selbst. Wie sieht es damit aus?
Als die Unesco 1978 den Aachener Dom zum Weltkulturerbe erklärte, sprach sie damit auch dem damaligen Domkapitel das Vertrauen aus, sich in nachhaltiger Weise um das Bauwerk und seine Integrität zu kümmern. Dieses Vertrauen ist in den 40 Jahren nicht enttäuscht worden. Ich glaube, man kann durchaus sagen, dass der Dom als Ganzes noch nie in einem so guten Zustand gewesen ist wie zurzeit. Dies ist dem Engagement vieler geschuldet, wie der Förderer, der Dombauhütte, der Fachleute, der Kooperationspartner im Denkmalschutz, der zahllosen Spender. Da ist etwas gewachsen, das dem Auftrag der Unesco nachhaltig gerecht wird. Natürlich bleibt dieses Netzwerk stets gefordert, denn bei einem solchen historischen und komplexen Bauwerk gibt es immer wieder etwas zu tun.
Was verbinden Sie mit den Jubiläumstagen im September 2018?
Wir feiern das 40-jährige Jubiläum des Weltkulturerbes Aachener Dom aus der Verpflichtung, das 1200-jährige Erbe zu bewahren. Wir haben den Auftrag, diese Kathedrale als Bauwerk zu pflegen und für kommende Generationen zu erhalten. Und darüber hinaus meine ich, dass wir ebenfalls verpflichtet sind, dies auch für ihr geistiges, religiöses und politisches Vermächtnis zu tun. Der Dom soll seine Bedeutung bewahren als Ort des Gebets und der Liturgie, der Kultur und der Kirchenmusik, als Wallfahrtsstätte, als Ort der Geschichte und als Botschafter des europäischen Gedankens. Das geschieht nicht von alleine, sondern bedarf des bewussten Mittuns vieler. Das ist für mich ein wichtiges Anliegen, das sich mit dem Jubiläum im September verbindet. Wir wollen feiern und in die Zukunft schauen.
Das Gespräch führte Thomas Hohenschue.