Ein Stück Heimat geht verloren

Die letzten Ferienspiele im HOT St. Gertrud in Herzogenrath. Jugendzentrum muss Ende des Jahres schließen

Tanz zum Abschied: Betreuer und Kinder feierten zum letzten Mal am Ende der Sommerferienspiele des Jugendzentrums HOT St. Gertrud in Herzogenrath. Die Einrichtung muss Ende des Jahres schließen. (c) Karl Stüber
Tanz zum Abschied: Betreuer und Kinder feierten zum letzten Mal am Ende der Sommerferienspiele des Jugendzentrums HOT St. Gertrud in Herzogenrath. Die Einrichtung muss Ende des Jahres schließen.
Datum:
30. Juli 2024
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 31-32/2024 | Karl Stüber

„Wer friert uns diesen Moment ein – besser kann es nicht sein …“ Gerade bei den Älteren schwingt eine große Portion Wehmut mit, als bei der traditionellen Abschlussfeier der Sommerferienspiele im HOT der Pfarrei St. Gertrud in Herzogenrath Kinder und Betreuer zum Hit von Andreas Bourani tanzen. 

War seit 57 Jahren eine Anlaufstelle für Heranwachsende in Herzogenrath-Mitte: das Jugendzentrum HOT St. Gertrud. (c) Karl Stüber
War seit 57 Jahren eine Anlaufstelle für Heranwachsende in Herzogenrath-Mitte: das Jugendzentrum HOT St. Gertrud.

Viele Erziehungsberechtigte und Großeltern wippen im Innenhof des Jugendzentrums an der Schütz-von-Rode-Straße mit. Es sind die letzten Ferienspiele, die das Jugendzentrum „im Auftrag“ der Stadt Herzogenrath organisiert hat, wie der ehemalige Leiter Ernst Vanhorn sagt. Er arbeitet immer noch viele Stunden im Team mit. Das HOT wird definitiv zum Jahresende schließen. Bauliche Mängel, die nur für viel Geld zu beseitigen wären, und nicht zu lösende Probleme bei der Gewinnung von Fachpersonal, einhergehend mit schwindender finanzieller Unterstützung durch die Stadt, sind die Gründe dafür.

Der Stadtrat hat zwar einhellig beschlossen, dass die Stadtverwaltung an einer anderen Stelle für einen angemessenen Ersatz für die offene Jugendarbeit in Herzogenrath-Mitte sorgen soll, die sich vor allem um die Heranwachsenden kümmert, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Auch das Bistum Aachen sowie die Pfarrei wollen sich grundsätzlich weiter engagieren; Gespräche dazu laufen derzeit. „Alle Beteiligten sprechen intensiv miteinander“, sagt Vanhorn. 

Das alles spielt jetzt beim Ende der Ferienspiele keine Rolle. Gerade Kinder leben im Moment. Zwei Wochen lang haben 117 Heranwachsende und 21 Betreuer viel miteinander erlebt. Das hat Tradition. 1989 wurden erstmals Ferienspiele organisiert, wie Vanhorn in Erinnerung ruft, der damals kurz zuvor die Leitung der Einrichtung übernommen hatte. Seitdem haben über 3600 Kinder zwischen 6 und 14 Jahren teilgenommen. Insgesamt 605 Betreuer wurden dabei eingesetzt, hat Vanhorn ausgerechnet. Die meisten Betreuerinnen und Betreuer waren und sind – bis zuletzt – „Eigengewächse“. „Wer bei den Ferienspielen im Sommer regelmäßig teilgenommen hat, ist dann auch oft Betreuender geworden“, sagt Ernst Vanhorn.

Viele Anekdoten bleiben in Erinnerung

Auf der Bühne im HOT St. Gertrud: Die pädagogischen Mitarbeiterinnen Angelika Heidemüller (l.) und Stascha Löffler moderierten die Abschlussveranstaltung der letzten Ferienspiele dort. (c) Karl Stüber
Auf der Bühne im HOT St. Gertrud: Die pädagogischen Mitarbeiterinnen Angelika Heidemüller (l.) und Stascha Löffler moderierten die Abschlussveranstaltung der letzten Ferienspiele dort.

Kümmert sich das HOT St. Gertrud ansonsten schwerpunktmäßig um Kinder und Jugendliche, die es im Leben nicht so einfach haben, so ist die Zusammensetzung der Teilnehmer bei Ferienspielen eine andere. Da sind auch zum Beispiel Kinder von Architekten und Rechtsanwälten dabei, wie die beiden hauptamtlichen pädagogischen Mitarbeiterinnen Angelika Heidemüller und Stascha Löffler bestätigen.

Natürlich sind Anekdoten in Erinnerung geblieben, so von der ihren Enkel begleitenden Großmutter, deren Brille beim Minigolf zu Bruch ging, weil der Kleine wohl allzu genau zielte. Die Dame wollte, dass das HOT für den Glasbruch aufkam… naja, das war wohl doch eher eine innerfamiliäre Angelegenheit. Die Erwartungshaltung von Erziehungsberechtigten hat sich über die Jahre geändert, wie Heidemüller sagt. Ging es früher darum, dass die Kinder in den Sommerferien eine gute Zeit mit anderen verbrachten, ist mittlerweile die zeitlich gesicherte Betreuung an die erste Stelle getreten – vom Morgen bis in die Nachmittagsstunden, eben analog zur Schule und der anschließenden Ganztagsschule. Da reicht für immer mehr berufstätige Eltern der Zeitraum von 10 bis 15 Uhr nicht mehr aus. Deshalb bot das HOT zuletzt eine ergänzende „Randbetreuung“ von 8 bis 10 und von 15 bis 17 Uhr an. Da war das Kontingent allerdings auf 40 Kinder begrenzt.

Und welche Rolle spielt das Handy, das auch bei vielen Jüngeren schon fest mit den Händen verwachsen zu sein scheint? Vanhorn hat festgestellt, dass Basteln zwar immer noch gut ankommt. Aber was früher tagelang für Beschäftigung sorgte, reicht nun nur noch für kurze Stunden. Die Kinder sind aber weiterhin für „action“ und Programm begeisterungsfähig.

Davon hatten die letzten Ferienspiele im HOT St. Gertrud, die unter dem Motto „Highlights der letzten 35 Jahre“ standen, einiges zu bieten. Mit einer Zeitmaschine wurden mühelos Epochen und imaginäre Orte gewechselt – dabei wurden Wikinger, Wilder Westen, die Zauberwelt des Harry Potter, Pippi Langstrumpf, Olympische Spiele, Märchen, das sagenhafte Atlantis, Mittelalter und Sherlock Holmes angesteuert. Die Reise durch Zeit und Raum war mit vielen Aufgaben gespickt, in denen sich die in sechs Gruppen aufgeteilten Kinder messen konnten, Chaoselfen, Giftzwerge, Astronauten, Asphaltcowboys, Takkatukken und Sabberhexen erfuhren so ein ausgewogenes Verhältnis von Zusammengehörigkeitsgefühl und Konkurrenz.

Stascha Löffler sieht nicht zuletzt deshalb in den Ferienspielen einen hohen pädagogischen Wert, der einen nachhaltigen positiven Einfluss ausübt. Das können als Beispiele für viele andere Betreuer Andreas Dieck, Alexander Nell und Jan Wark nur bestätigen. Der 24-Jährige ist den Ferienspielen insgesamt seit 18 Jahren treu geblieben. Die dort gemachten Erfahrungen waren entscheidend für seine Berufswahl. Er studiert in Aachen Soziale Arbeit und arbeitet in Broichweiden an einer Schule im Bereich OGS. Er hat mit seinem Arbeitgeber eine Sonderregelung ausgemacht, um zum Abschluss noch einmal als Betreuer in „seiner Heimat“ HOT St. Gertrud mitmachen zu können.

Das hat sich auch Andreas Dieck nicht nehmen lassen. Der Veranstaltungstechniker gehört seit zehn Jahren zur „HOT-Gemeinde“. Seit seiner Kindheit gehört der Vollzeitprogrammierer Alexander Nell dazu: 22 Jahre! Alle sprechen davon, dass das Jugendzentrum HOT St. Gertrud – und nicht nur durch die Ferienspiele – für sie persönlich eine Bereicherung ist. „Da konnte ich immer hin, habe viel Ermutigung und Zuwendung gefunden“, sagt Nell. Und was wird von HOT und der Tradition der Ferienspiele bleiben? Für „Urgestein“ Vanhorn ist klar: „Das HOT ist das HOT. Da wurden über Jahre viele persönliche Bindungen aufgebaut. Mit dem HOT wird diese Gemeinschaft auseinanderfallen.“

Bis zum Jahresende will das Team versuchen, die „normalen“ Aktivitäten aufrecht zu erhalten. Dazu gehört zum Beispiel die Aktionsreihe „Biergarten & Livemusik“. Ob aber das HOT wirklich uneingeschränkt Anlaufpunkt für Heranwachsende mit ihren Bedürfnissen und Problemen bleiben kann, hängt auch von der beruflichen Neuorientierung der festangestellten Kräfte und dem Einsatz von Ehrenamtlern ab.

Weitere Informationen: hot-herzogenrath.de

Gesichter des HOT St. Gertrud Herzogenrath

(c) Karl Stüber

Ernst Vanhorn wurde 1989 Leiter des Jugendzentrums HOT St. Gertrud und unterstützt auch im Ruhestand das Team bis zuletzt: „Die über Jahrzehnte gewachsene Gemeinschaft wird nicht in eine andere Einrichtung hinübergerettet werden können. Wer auch immer Träger einer Nachfolgeeinrichtung an einer anderen Stelle ist, steht vor der großen Aufgabe, ein neues Team aus Festangestellten und Ehrenamtlern aufzubauen.“

(c) Karl Stüber

Alexander Nell ist seit 22 Jahren dem HOT St. Gertrud verbunden: „Nach dem ersten Schuljahr habe ich hier meine ersten Ferienspiele erlebt. Das HOT ist Teil meines Lebens geworden. Nach all dem Guten, das ich hier erlebt habe, habe ich gerne als Betreuer soziale Verantwortung übernommen.“ 

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Jan Wark hat sich wegen seiner positiven Erfahrungen im HOT St. Gertrud entschlossen, Soziale Arbeit zu seinem Beruf zu machen: „Ich bin praktisch im HOT aufgewachsen und wurde hier vom Kind zum Betreuer. Ich finde es sehr traurig, dass die Einrichtung geschlossen wird. Ich befürchte, da werden viele Heranwachsende auf der Strecke bleiben.“ 

(c) Karl Stüber

Betreuer Andreas Dieck ist „erst“ seit zehn Jahren dabei, ist aber von der großen Bedeutung des HOT für die offene Jugendarbeit überzeugt: „Mich hat zum Beispiel beeindruckt, wie selbst kleine Rabauken durch die Gemeinschaftsaktionen und die Gruppenarbeit bei den Ferienspielen integriert werden können.“