Ein Ort der Hoffnung

Wie die Weihnachtsgeschichte von einem Wunder erzählt, hat Holzweiler sein eigenes erlebt.

Maria und Josef haben den Stall schon mit Ochs und Esel bezogen. Auch die Hirten und die Schafe sind schon da. Alle warten auf das Kind. (c) Garnet Manecke
Maria und Josef haben den Stall schon mit Ochs und Esel bezogen. Auch die Hirten und die Schafe sind schon da. Alle warten auf das Kind.
Datum:
18. Dez. 2025
Von:
Aus der Kirchenzeitung, Ausgabe 33/2025 | Garnet Manecke

Es ist jedes Jahr von Neuem eine kleine Überraschung. Welche Figur steckt unter welcher Tüte? Ein Jahr lagerten die Krippenfiguren von St. Cosmas und Damian in Holzweiler auf dem Dachboden der Sakristei. Nun holen Peter-Heinz Henkes und Heinz-Willi Portz sie hervor und bringen sie in den Kirchenraum. In der Seitenkapelle rechts neben dem Altarraum verteilen Hubert Väßen und Hermann-Josef Hurtz gerade das Stroh auf dem Boden des Stalls. Seit gut einer Stunde baut die Gruppe die Krippe für Weihnachten auf.

Eigentlich sollte es Holzweiler heute gar nicht mehr an dem Ort geben, an dem das Dorf steht. Wer dorthin will, muss über Erkelenz fahren oder kommt in einem großen Bogen von der Autobahn 61 über die Umgehungsstraße. Neben der offiziellen Zufahrt gibt es auch eine inoffizielle über einen Wirtschaftsweg, die die Einwohner von Holzweiler nehmen. Die direkte Straße von der Autobahn wurde abgeschnitten, kurz bevor Lützerath abgebaggert wurde. Früher führte diese Straße zu einigen Dörfern, die dem Tagebau zum Opfer gefallen sind. Auch Holzweiler sollte ihm weichen.

Im März 2014 kam die Nachricht, dass Holzweiler bleibt. Auf die erste Freude folgte die Ernüchterung. Jahrelang war in den Ort nicht mehr investiert worden, weil er ja irgendwann umgesiedelt werden würde. Manche Bewohner hatten sich damals damit abgefunden, andere nie die Hoffnung aufgegeben, dass vielleicht doch noch ein Wunder geschehen würde. Als es dann kam, mussten die Bewohner neu denken.

Heute hat Holzweiler wieder eine Zukunft. Die Dorfmitte soll neu gestaltet werden und im Ort soll ein Dokumentationszentrum über den Tagebau entstehen. Wo Einwohner und Besucher heute noch den freien Blick in das Baggerloch haben, soll in einigen Jahren ein See sein.

Die Männer, die heute die Krippe aufbauen, sind damit aufgewachsen, dass es ihr Dorf eines Tages so nicht mehr geben wird. Bei all der Unsicherheit rund um das Schicksal des Dorfes war die Krippe in St. Cosmas und Damian immer eine Konstante. 
Die Älteren kennen noch die Kirche mit den beiden steinernen Kanzeln an den Säulen im Mittelschiff. Die Kanzeln wurden in den 1950er Jahren abgebaut, als auch viele Heiligenfiguren aus der Kirche entfernt wurden. „Einige der Platten von der Kanzel wurden vor einiger Zeit beim Aufräumen gefunden", sagt Hubert Hurtz und zeigt auf die Steinplatten, die biblische Szenen zeigen. Jetzt lehnen die vier Platten an der Wand. Während der Weihnachtszeit werden sie kaum zu sehen sein, weil einige von Tannenbäumen verdeckt sind.

Hinter einer dunkelbraunen Holztür lagern die Holzelemente, die Hubert Väßen, Peter-Heinz Henkes und Peter Mülfarth jetzt hervorholen und in der Seitenkapelle rechts neben dem Altar aufbauen. Der Lagerraum war früher die Sakristei. Heute werden hier neben der Krippe auch Heiligenfiguren aufbewahrt. Eine leichte Staubschicht überzieht die Figuren, die auch die eine oder andere beschädigte Stelle haben.

Während Henkes und Mülfahrt die Holzwände des Stalls festhalten, greift Väßen nach dem Akku-Schrauber und treibt die Schrauben an den Streben in das Holz. Mit der Strohmatte für das Dach ist das Grundgerüst fertig. Bevor der Stall für die Figuren bereit ist, bringen die Männer noch die Lichterketten in die Weihnachtsbäume, die die Szenerie später wie ein Wald umgeben.

Im Altarraum ist Hermann-Josef Hurtz schon weiter. Auf der drei Meter hohen Leiter stehend, versucht er die frisch aufgebauten Vier-Meter-Tannen zu beleuchten. Die Lichterketten haben sich verknotet. Hurtz muss sie zuerst wieder auseinanderziehen. Das gelingt ihm und er schafft es, sich von oben nach unten zu arbeiten, sodass der gesamte Baum erleuchtet ist. Vier hohe Tannen schmücken den Altarraum, der am Heiligen Abend und zu den Weihnachtsgottesdiensten in festliches Licht getaucht sein wird.

Am zweiten Advent hat auf dem Platz zwischen Kirche und Stift der Weihnachtsmarkt „Allerlei Weihnacht im Seilerdorf“ stattgefunden. An den Buden gab es Glühwein, Kakao und Bratwurst, weihnachtliche Plätzchen und andere Leckereien, Deko- und Geschenkartikel. Auf der Bühne sind die Kinder des Dorfes als Chor aufgetreten und haben später Weihnachtsbäume geschmückt. Seit 2018 gibt es den Weihnachtsmarkt, bei dem die Dorfgemeinschaft zusammenkommt. Der Markt wurde ins Leben gerufen, um etwas für die Gemeinschaft und deren Zusammenhalt zu tun.

Wie in den anderen betroffenen Dörfern hat der Tagebau auch in Holzweiler Unruhe in die Gemeinschaft gebracht. Die einen hatten sich mit den Umsiedlungsplänen irgendwann abgefunden und wollten nach vielen Jahren der Auseinandersetzungen endlich nach vorne schauen. Andere wollten weiter kämpfen. Und dann waren da auch jene, die zum einen zur Dorfgemeinschaft gehörten, aber auch gleichzeitig beim Tagebau arbeiteten. „Es war nicht ganz einfach“, sagt einer der Männer von der Krippen-Aufbaugruppe, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Nicht nur die Erwachsenen, auch die Kinder haben diese Atmosphäre gespürt und waren verunsichert. Seine eigene Tochter habe nicht groß werden wollen, weil sie dann aus Holzweiler wegziehen müsste.

Heute macht Holzweiler einen friedlichen Eindruck, auch die Krippen-Aufbaugruppe versteht sich gut. Vor der Kirchentür werden gerade die Sägespäne zusammengekehrt, die noch von dem Zuschnitt der Bäume für die Ständer zeugen. Drinnen ist das Stroh im Stall verteilt und aus einem blauen Tuch ist der Teich geworden, auf dem nun eine Entenfamilie „schwimmt“.

Mülfarth setzt die Begrenzungssteine, die gleichzeitig das Fundament des Zaunes aus dickeren Ästen sind. Der kleine Zaun ist nötig, damit später niemand die Krippen-Szenerie betritt. Zu sehr fasziniert das Bild jedes Jahr, dass eine Umzäunung nötig ist. Damit die Krippe auch weiterhin Weihnachten hier stehen kann, wird auch der alte Opferstock aufgestellt. „Opfer für die Krippe“ steht in sauber gezeichneten Buchstaben auf dem Schild. Hin und wieder müssen Figuren ausgebessert oder ausgewechselt werden. Ein Schaf zum Beispiel kann nicht mehr allein stehen. Ein Bein ist kaputt, aber Väßen weiß sich zu helfen und lehnt es an einen Holzpfeiler des Stalls.

Nach gut drei Stunden ist der Stall eingerichtet, die Hirten haben ihr Lager aufgeschlagen, die Könige sind auf dem Weg. Alle warten auf das Kind. 

Krippe in den 1940er Jahren

(c) privat

Früher wurde die Krippe hinter dem Altar im Chorraum von St. Cosmas und Damian in Holzweiler aufgebaut. Dafür wurde ein dreistufiges, etwa drei Meter hohes Podest gebaut. Während unten die Hirten und Schafe ihren Platz hatten, stand der Stall auf einer höheren Ebene an der Seite. Vor dem Stall kamen die Heiligen Drei Könige an. Die Besucher der Kirche konnten die Szenerie nur von weitem betrachten.

Die Krippe in St. Cosmas und Damian – ein kleines Wunder

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