Ein Ohr für den guten Klang

Einmalig im Bistum: Glockensachverständiger Norbert Jachtmann ist Herr über 4500 Glockentürme

Norbert Jachtmann ist Glockensachverständiger für die Bistümer Aachen und Essen sowie für das Erzbistum Köln. (c) Ann-Katrin Roscheck
Norbert Jachtmann ist Glockensachverständiger für die Bistümer Aachen und Essen sowie für das Erzbistum Köln.
Datum:
11. Aug. 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 32/2021 | Ann-Katrin Roscheck

11,5 Tonnen Gewicht, mehr als 2,60 Meter Höhe, genauso einen großen Durchmesser und dabei mehr als 500 Jahre Geschichte. Müsste sich Norbert Jachtmann eine einzige Lieblingsglocke in Deutschland aussuchen, wäre es wohl die Gloriosa aus dem Mittelturm des Erfurter Doms.

Im Jahr 1497 von Gerhard van Wou gegossen, vermittelt die Königin aller Glocken herausragenden Klang, besondere Geschichte und außergewöhnliche Handwerkskunst. Beginnt der Glockensachverständige von seinen Lieblingsglocken zu erzählen, gerät er ins Schwärmen: „Für mich ist es die schönste Glocke des Abendlandes.“

Aber auch von den rund 4500 Glockentürmen im Bistum Aachen, im Bistum Essen und im Erzbistum Köln weiß der Krefelder allerhand Geschichten zu erzählen. So war er zum Beispiel dabei, als der 800 Kilogramm schwere Klöppel des „Dicken Pitter“ im Kölner Dom am Dreikönigstag im Jahr 2011 abstürzte. Nicht nur den Absturz erlebte er mit, sondern auch den anschließenden Prozess der Reparatur. Denn seit 1998 ist Jachtmann freiberuflicher Glockensachverständiger des Bistums und übernimmt inzwischen in Alleinfunktion auch die beiden Nachbarsbistümer.

„Ich kann mich noch genau daran erinnern, als 1995 der Referent für Kirchenmusiker in einer Runde verkündete, dass ein neuer Glockensachverständiger gesucht werde“, erklärt Jachtmann. „Ich kündigte spontan mein Interesse an und habe diesen Schritt nie bereut. Noch heute reizt mich die besondere Historik des Handwerks, die Einzigartigkeit jeder einzelnen Glocke, aber auch die Exotik des Berufes.“ Als Glockensachverständiger ausgebildet sind in Deutschland nämlich nur rund 40 bis 50 Menschen. Sie alle haben eine Weiterbildung absolviert, in der die für Glockentürme wichtige DIN 4178 verwendet wird. Nur wenige Schulen bieten diesen Abschluss an. Jachtmann zum Beispiel besuchte für die Ausbildung Heidelberg, Halle und Regensburg.

 

>>Musiklalität gehört zu unserem Handwerk.<<

Norbert Jachtmann

 

Dabei ist der Schaffensbereich der Glockensachverständigen vielfältig. Sie ziehen nicht nur von Turm zu Turm, um die Glocke, den Klöppel, die Motoren oder den Läutewinkel zu prüfen sowie die Aufhängung zu kontrollieren, sondern sie nehmen auch den Klang von neugegossenen sowie umgezogenen Glocken ab. „Dafür bedarf es einen hohen Grad an Musikalität“, erklärt der Fachmann. „Eine Glocke kann so unterschiedlich klingen. Das können wir prüfen und beurteilen.“ Für die praktische Prüfung gibt es unterschiedliche Hilfsmittel wie Stimmgabeln, Aufnahmegeräte und Softwareprogramme, die die Qualität des Tones physikalisch ermitteln können. Für die abschließende Beurteilung aber braucht es ein besonders geschultes Gehör, das die unterschiedlichen Charaktereigenschaften der Glocke, die Teiltöne und den Schlagton erkennen kann. Schon immer war das Gehör von Norbert Jachtmann besonders gut. Der studierte Kirchenmusiker widmete sich schon im Kindesalter Noten, Melodien und Klängen. „Mir ist die Musikalität in die Wiege gelegt worden“, sagt er schmunzelnd.

Für seinen Beruf als Glockensachverständiger reist Jachtmann durch das Bistum Aachen bis hin zur belgischen Grenze, durch das gesamte Ruhrgebiet und das Bistum Essen sowie links und rechts vom Rhein entlang durch das Erzbistum Köln. Meistens unternimmt er diese Reisen montags. Dann nämlich hat er seinen freien Tag als Kirchenmusiker in der Krefelder Gemeinde St. Christophorus, in der er hauptamtlich als Kantor angestellt ist. „Alleine als Glockensachverständiger könnte ich nicht leben“, bemerkt er. „Leider gibt es keine hauptberufliche Rheinische Glockeninspektion wie zum Beispiel im Erzbistum Freiburg. Und so entscheiden die Kirchenvorstände über meine kostenpflichtige Beauftragung.“ Diese Vorstände, so erklärt der Glockensachverständige weiter, seien oft ehrenamtlich tätig und im Bereich der Glocke Laien. „Viele Vorstände machen sich keine Gedanken darüber, dass sie auch Verantwortung für die Geläute übernommen haben“, schildert Jachtmann. „Wenn die Glocke abstürzt oder der Glockenturm brandschutztechnisch nicht erforderlich gesichert wird, haftet unter Umständen der Kirchenvorstand als Privatpersonen.“ Jachtmann bietet deswegen Fortbildungen an. Dabei erklärt er nicht nur Sicherheitsmaßnahmen, sondern auch Einsatzmöglichkeiten. Kennen wir als Anwohner häufig den gewohnten Klang unseres Kirchturms, bleiben viele Gemeinden in der Regel unter ihren Möglichkeiten. „Das liegt daran, dass die Verantwortlichen gar nicht wissen, wie sich die Glocken abwechslungsreich läuten lassen“, erklärt der Krefelder. „Das zeige ich auch. Die Glocken sollten nicht nur an einem Feiertag außergewöhnlich klingen.“

Aber auch beim Umzug von Glocken unterstützt Jachtmann. Das sei vor allem im rheinischen Braunkohlerevier immer wieder ein Thema. Kirchen werden hier abgerissen und bestenfalls an andere Standorte verlagert. Manchmal aber auch werden nur die Glocken beim Abriss verwahrt und ziehen in eine neue Gemeinde um. So war es zum Beispiel in der Pfarrkirche St. Lambertus im Ortsteil Immerath der Stadt Erkelenz. Als man sich trotz Protesten entschied, die unter Baudenkmal und Denkmalschutz stehende Kirche 2018 zugunsten des Braunkohle-Tagebaues Garzweiler abzureißen, begleitete Jachtmann den Umzug der besonderen vier Bronzeglocken, die teilweise mehr als 500 Jahre alt waren. „Wie bei einem Backrezept der Oma hat jede Gießerei ihr eigenes Geheimrezept, eine Glocke anzufertigen“, erzählt Jachtmann. „Keine Glocke ist wie die andere, und es ist unfassbar spannend, die unterschiedlichen Glocken kennenzulernen.“

Die Faszination für das geschichtsträchtige Handwerk würden deswegen viele teilen. Suchen Gemeinden immer wieder nach internen Experten, warnt Jachtmann vor Trittbrettfahrern. „Leider ist die Glocke aufgrund ihrer Besonderheit auch ein Anziehungspunkt für Spinner“, erklärt er. „Es ist mir wichtig, hier zu sensibilisieren: Gemeinden sollten nur einem zertifizierten Gutachter vertrauen.“ Da Jachtmann aktuell keinen Nachwuchs hier in der Region finden kann, ist er auf den langen Strecken immer alleine unterwegs. Einmal im Jahr besucht er beispielsweise zur Inspektion den Kölner Dom, informiert hier über mögliche Wartungsarbeiten und leitet Monteure an. Alle zwei Jahre ist er auch im Aachener Dom zu Besuch. „Alle Kirchtürme in meinem Verantwortungsgebiet aber werde ich zu Lebzeiten nicht mehr sehen“, sagt er schmunzelnd und fragt: „Was glauben Sie, was bei 4500 Kirchtürmen für eine Glockenzahl zusammenkommt?“ 

Die Arbeit eines Glockensachverständigen

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