Als Organist und Chorleiter Ludwig Hellenthal aus Dürwiß den 13-jährigen Erwin Martinett unter seine Fittiche nahm, erwies er bei dem Jungen Weitblick. Zusätzlich zum Klavierunterricht sollte Erwin Orgelstunden gleich mit belegen. „Da kannste mich dann vertreten“, habe Hellenthal gesagt. Tatsächlich ist Martinett nach über 60 Jahren immer noch als Organist in Inden/Altdorf und der GdG Eschweiler unterwegs.
Bereits mit 17 Jahren übernahm er 1963 seine erste Stelle als Organist in St. Josef Eschweiler-Fronhoven. Mit neun Jahren hatte er angefangen, Akkordeon zu spielen. Zuvor hatte ein Musikalienvertreter in Dürwiß die Häuser abgeklappert. Erwins Mutter, die im Kirchenchor aktiv war, sagte vorausschauend zu ihrem Sprössling: „Das wäre was für Dich!“ Als er dann mit 13 die ersten Klavier- und Orgelstunden nahm, hatte er bereits
Vertretungen für den Küsterdienst übernommen. Mit 15 Jahren folgten erste Vertretungen als Organist für Ludwig Hellenthal und mit 17 der erste offizielle Dienst in St. Josef. Diese Stelle hatte er für acht Jahre inne.
Bald zeigte sich, dass sein künftiges Privatleben und die kirchliche Arbeit stets Hand in Hand gingen. „Von meiner ersten Stelle habe ich meine Frau mitgebracht.“ Seine Frau Rita stammt aus Fronhoven. Sie hatte er über die Kirche zu Karneval kennengelernt. Als die Kirche wegen des Tagebaus abgerissen wurde, war es nach acht Jahren mit der Stelle zu Ende. Dafür ging der Indener Organist fort. Also ging Erwin Martinett 1971 dorthin. Da der darauffolgende Sonntag ein Palmsonntag war, bat der damalige Pastor Leo Schweiß Martinett, zur Orgel zu gehen und den „Singt dem König Freude“-Psalm anzustimmen. Gesagt, getan. Als Martinett spontan loslegte, winkte der Pastor ab und meinte: „Is jut, kommen Se runter, Se können am Sonntag anfangen.“ Damit begann am 1. April 1971 seine Organistentätigkeit in Alt-Inden.
Bis 1998 wirkte Erwin Martinett dort, bis den Ort ein ähnliches Schicksal ereilte wie Fronhoven. Nachdem die neue Kirche in Inden/Altdorf eingeweiht wurde, übernahm er auch dort den Job. Parallel dazu spielte er ab dem Jahr 2000 auch fest in Neu-Lohn bis 2021. Seitdem hilft er dort weiterhin regelmäßig alle 14 Tage bei der Wochenmesse und bei Beerdigungen aus. Als Aushilfe steht er zudem in der gesamten GdG Eschweiler-Nord auf Anfrage zur Verfügung: von Hehlrath über Kinzweiler, St. Jöris, Weisweiler bis Hücheln. Von Anfang an habe ihm Ludwig Hellenthal, Leiter des Indener Kirchenchores, zudem die Chorarbeit ans Herz gelegt. Und so dirigierte Martinett auch von etwa 1985 bis 2004 den Kirchenchor, wenn der eigentliche Leiter nicht konnte.
Beeindruckend ist, dass Erwin Martinett dies stets nebenberuflich betrieben hat. Hauptberuflich war er bei Rheinbraun angestellt. Als gelernter Schlosser war er aber vor allem in der Fahrbereitschaft tätig, fuhr LKW und Busse. „An einem Tag hatte ich Hemd und Krawatte an, am anderen Tag Blaumann.“ Seinen Job habe er sehr geliebt, bis im Jahr 2000 der Vorruhestand kam. Dafür hatte er nun mehr Zeit für die Kirche. So kam direkt das Angebot aus Neu-Lohn. In der Karwoche 2000 wurde er für Ostern angefragt, am liebsten bereits Gründonnerstag. Kein Problem für Martinett. Es musste halt nur mit den Plänen von Inden/Altdorf passen.
Zu seinen schönsten Momenten gehört, dass er auch auf den Hochzeiten seiner Kinder gespielt hat. Zwei Kinder und vier Enkel hat er mittlerweile. Die Familie kennt kein anderes Leben. Die Tochter meinte einst: „Unsere Wochenenden fingen sonntagmittags an.“ An Heiligabend hatte er jedes Jahr drei Dienste: zwei nachmittags und den dritten am Abend. „Ich hoffe, dass ich dieses Jahr mit zwei hinkomme“, meint er, um etwas mehr Zeit für die Familie zu haben.
Selbst im Urlaub lässt er die Finger nicht von dem Kircheninstrument. Seit etwa 30 Jahren geht es nach Golling an der Salzach. Im ersten Jahr ist er direkt zur Kirche gegangen. Weil im Gottesdienst niemand auf der Orgel spielte, begab er sich anschließend in die Sakristei und sagte: „Ich bin Organist. Ich hätte spielen können.“ „Kommen Sie morgen früh noch mal? Da habe ich auch niemanden zum Spielen…“ Seither habe er jedes Jahr zwei Samstage dort in Österreich gespielt. Und abends spiele er auch schon mal spontan in der Kirche ein kleines Konzert für Eingeweihte.
Wenn der Ehemann in der Kirche ist, verbringt Rita ihre Zeit im Schrebergarten. Wenn es die Zeit erlaubt, ist Erwin auch gerne dort zum Entspannen. Auch bei schweren Arbeiten wie Umgraben, das er noch immer per Hand erledigt. Erwin Martinett ist jetzt 77. Wie lange möchte er diese Organistenaufgabe noch übernehmen? Er ist sich nicht sicher. Der Pfarrer habe ihn auch bereits gefragt. Bis 80? „Damit müsste es eigentlich gut sein“, habe er ihm geantwortet. Ehefrau Rita mochte sich dazu nicht äußern: „Ich lass’ mich überraschen.“
Am 15. Juli wurde sein 60-jähriges Organistenjubiläum mit Gottesdienst und anschließendem Empfang im Jugendheim in Neu-Lohn gefeiert. 200 Beteiligte ließen sich dieses Ereignis nicht entgehen, darunter eine Abordnung der Matthäus-Schützenbruderschaft Neu-Pattern aus Aldenhoven, für die er drei Mal im Jahr tätig ist. Neben den Zelebrierenden Pastor Michael Datené von Eschweiler Peter und Paul und Diakon Günter Schiffeler gab es auch Glückwünsche von Matthias Schmitz und Willy Thelen vom Kirchenvorstand der Pfarrei St. Silvester Lohn sowie von Pfarrerin Ulrike Sommer und Pfarrer Thomas Richter von der Evangelischen Kirchengemeinde Eschweiler. Auch dort hilft er seit 20 Jahren aus. „Es war ein richtig toller Gottesdienst“, freut sich der Organist immer noch.
Ein wenig enttäuscht zeigt sich das Ehepaar Martinett allerdings vom Bistum, das sich nicht zum Jubiläum äußerte, keine Urkunde, nicht einmal eine Glückwunschkarte. Die Verwaltung hätte verlauten lassen, dass es dieses Jubiläum offiziell nicht gäbe. Das Äußerste wäre ein goldenes Jubiläum für 50 Jahre Mitarbeit. Angesichts der wenigen Mitarbeitenden in der Kirchenmusik wäre eine kleine Aufmerksamkeit sicher nicht das Verkehrteste. Immerhin ist Erwin der einzige, der dieses Amt so lange getätigt hat.