Das Buch „Zeitenlauf in Natur und Kunst“ ist als Geschenk gedacht. Ein Präsent für die Künstlerin selbst sollte es sein. Maria Lehnen hat sich damit einen Bildband geschenkt, der voller Erinnerungen und voller Geschichten ist. Den Lesenden, die eigentlich Betrachtende sind, legt sie damit ein sehr persönliches Kunstbuch vor.
Um es gleich zu sagen: Es gibt nicht viel Text in diesem Buch. Genau genommen findet sich Text nur auf 15 der 112 Seiten: zwei Aufsätze, die die Kunstkritikerin Christiane Vielhaber und der Priester Albert Damblon geschrieben haben und ein zweiseitiges Redemanuskript der Künstlerin Maria Lehnen zur Aktion zu einem Reiterdenkmal im Oktober 1984. Das war’s.
Trotzdem beginnt das Buch mit einer Entstehungsgeschichte. Gleich das erste Bild heißt „Genesis VI“, der Blick ins Nichts, aus dem alles entsteht. Die „Sterne VII“ auf der nächsten Seite, die „Sterne III“ auf der übernächsten, die Menschen, Religion und Glauben, der Planet. Und dann ist es da: das Leben in Gestalt eines Kindes, das mit einem Ball spielt. Auf einer Schwarz-Weiß-Fotografie.
Maria Lehnens Kunstbuch ist keines im herkömmlichen Sinne. Sie erzählt ihre Geschichte(n) nicht nur durch ihre Werke. Sie erzählt sie auch mit Erinnerungen aus ihrem Leben. Sie stellt ihren Werken Bilder aus ihrem privaten Fotoalbum an die Seite. Öffentlichen Arbeiten, die in Ausstellungen gezeigt wurden, stehen die eigentlich nicht-öffentlichen Aufnahmen gegenüber, die bisher nur einem privaten Kreis zugänglich waren. Das gibt dem Buch eine sehr persönliche Note. Man sieht die Werke etwas anders, weil einem die Künstlerin näher kommt.
In Mönchengladbach gehört die Kunst von Maria Lehnen in das Stadtbild. Ihre Bronze-Arbeit „Mensch mit ausgestreckten Armen“ wendet ihr Gesicht seit 2007 vor dem Westportal der Münsterbasilika der untergehenden Sonne zu. Den Rücken der Kirche zugewandt, die sie in ihrer Kunst durchaus kritisiert. So zeigen die Bilder „Wolfsgefolge XIV“ und „Wolfsgefolge XV“ Wesen mit Schafsköpfen in Talaren.
Solche Arbeiten hat Lehnen schon vor einigen Jahren in Ausstellungen in der Krypta der Münsterbasilika gezeigt. Als ob die Werke die derzeitige Situation der Kirche aufgreifen – obwohl sie schon 2017 entstanden sind. Sie machen deutlich, was schon lange zu spüren war, bei dem aber niemand so richtig hinsehen wollte. Nun schauen wir auf die Bilder und können nicht mehr wegsehen. Die Realität hat uns eingeholt.
Manche Skulpturen Lehnens wirken starr und eng, wie gefesselt. Dann wieder begegnet man ein paar Seiten weiter ihren Tuschezeichnungen. Darauf tanzen die Figuren – leicht und sphärisch. Ihre Arbeiten in einer dunklen Scheune wirken, als ob sie dort Schutz suchen. Auf der gegenüberliegenden Seite der Kontrast: Die Figur ist dem Fenster zugewandt, dem Licht und der Natur.
Der Zeitenlauf verändert die Situation, den eigenen Blick, die Natur um einen herum. Das erzählen die Bilder in diesem Buch. Es handelt von Unbefangenheit und Zerrissenheit, von der Vergangenheit, die die Basis der Zukunft ist und selbst mal Zukunft war. Das Geschenk Lehnens an sich selbst ist ein Geschichtenbuch, in dem sich die Geschichten im Lauf der Zeit verändern. Auch wenn die Bilder, die sie erzählen, die gleichen geblieben sind. Im Zeitenlauf verändert sich die Sicht darauf.
Maria Lehnen: Zeitenlauf in Natur und Kunst, 112 S., 21 x 28 cm, Hardcover mit Fadenheftung, B.-Kühlen-Verlag, Mönchengladbach 2021, Preis: 29,80 Euro