Ein Balanceakt mit Zukunft

Wie werden pastorale Räume geleitet? Es gibt Alternativen zum Priester. Beispiel Heinsberg-Oberbruch

Die Chemie stimmt zwischen Anni Hilgers,  Johannes Eschweiler (M.) und Markus Bruns. (c) Thomas Hohenschue
Die Chemie stimmt zwischen Anni Hilgers, Johannes Eschweiler (M.) und Markus Bruns.
Datum:
28. Okt. 2019
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 44/2019 | Thomas Hohenschue

Fast genau zehn Jahre ist es her, da entstanden 71 große pastorale Räume im Bistum Aachen. Sie heißen bis zum heutigen Tag Gemeinschaften der Gemeinden. Die meisten Beobachter erwarten, dass der Bistumsprozess diese Struktur verändern wird. So oder so stellt sich schon heute, vielfach in dramatischer Form, die Frage, wer diese großen pastoralen Räume leitet. Muss es immer ein Priester sein? Eine Spurensuche in der GdG Heinsberg-Oberbruch.

Markus Bruns hat alle Hände voll zu tun. Er ist Propst an St. Gangolfus Heinsberg und leitet zunächst einmal die GdG Heinsberg-Waldfeucht. Außerdem ist der Priester nicht-residierender Domkapitular am Hohen Dom zu Aachen. Und seit einem Jahr drittens Regionalvikar für die Bistumsregion Heinsberg. Da muss man schon gut organisiert sein und auch loslassen und delegieren können. Diese Eigenschaften bündelt Markus Bruns in sich. Und so war klar, dass er sich nicht mit einem vierten großen Job überfordert.

Nach dem Kirchenrecht hätte er theoretisch bei einer Pfarrer-Vakanz die Nachbar-GdG Oberbruch übernehmen müssen. Hat er aber nicht getan. Schließlich geht es in dieser kleinen, aber feinen Gemeinschaft auch ganz gut ohne priesterlichen Vorsitz, wie die letzten Jahre bestens gezeigt haben. Und dies hat ganz viel mit einem anderen charakterstarken Mann zu tun: mit Johannes Eschweiler.

Das halbe Bistum kennt den Pastoralreferenten nur unter den Namen „Eschi“. Wo er ist, muss man ihn nicht lange suchen – sein kräftiges, herzliches Lachen weist jedem den Weg. Eschweiler ist seit vielen Jahren ein leidenschaftlicher Kämpfer für die kleinen Leute, lange an der Seite des inzwischen verstorbenen Edmund „Eddi“ Erlemann, eines weiteren Priesters, der sich als Geistlicher nicht zu wichtig nahm, sondern gemeinsam mit nicht geweihten Frauen und Männern Kirche ein soziales, ein menschliches Gesicht gab. Auch Johannes Eschweiler lebt dieses Selbstverständnis einer konsequenten Nachfolge Jesu Christi in allen Grundvollzügen der Kirche: Verkündigung, Liturgie und Diakonie.

Mit vielen Ehrenamtlichen baute er mit langem Atem die Genossenschaft Amos auf, die wichtige soziale Arbeit leistet für Arbeitslose, für Sozialhilfeempfänger, für Alleinerziehende, für Flüchtlinge. Und war zugleich immer auch für die anderen in der GdG da: für die Leitungen von Kindertagesstätten, für Religionslehrerinnen, für Angestellte der Pfarrei, von Hausmeister und Putzfrau bis zu den Koordinatoren – in Kooperation mit dem Kirchengemeindeverband, allen voran dem Vize Klemens Watermeyer. Es hat sicherlich mit der natürlichen Autorität von Johannes Eschweiler zu tun, dass er als Vorgesetzter akzeptiert wird. Darüber hinaus verleihen ihm aber auch sehr konkrete, verbindlich ausformulierte Vereinbarungen die rechtliche Autorität, die 90 Mitarbeiter in der GdG nicht nur fachlich, sondern auch dienstlich zu führen. Ausgehandelt wurde diese Vereinbarung mit der zuständigen Personalabteilung. Markus Bruns war dabei und unterstützt diese vollständige Delegation von Leitungsaufgaben umfassend.

 

Es braucht ganz unbedingt Klarheit

Auch mit den Gremien und dem Pastoralteam stimmt die Chemie, berichten Bruns und Eschweiler. Der Pastoralreferent versieht seine Aufgabe mit dem Verständnis, Moderator zu sein. Wie überall, wo Menschen miteinander leben und arbeiten, knirscht es mal hier und dort. Die Dinge offen zu besprechen und konstruktiv zu lösen, das ist der Anspruch. Wenn es kein Ende findet, ist es dann meistens Johannes Eschweiler, dem das Machtwort zufällt, die Entscheidung in einem strittigen Fall, auch die Verantwortung für die Folgen. Das gehört dann zur Leitungsaufgabe hinzu, auch im komplexen Gebilde eines großen pastoralen Raums. Formal geregelt ist das alles in den einschlägigen Satzungen anders, das wissen alle Beteiligten. Zum Beispiel wird Johannes Eschweiler nicht müde, darauf hinzuweisen, dass der GdG-Rat in pastoralen Fragen den Ton angibt. Der verabschiedet zum Beispiel auch ein Pastoralkonzept, das alle in der Gemeinschaft orientiert und bindet.

Aber im Alltag ist es doch so, dass im Zweifel alle auf den Leiter schielen. Auch bei Anni Hilgers, der GdG-Ratsvorsitzenden, ist das nicht anders. Im angeregten Austausch über das Miteinander in der GdG rutscht ihr immer wieder das Wort „der Chef“ heraus, und damit meint sie weder selbstironisch sich selbst noch den Priester in der Runde, Markus Bruns. „Eschi“ ist die Leitungspersönlichkeit, die in der GdG Heinsberg-Oberbruch ganz selbstverständlich das Sagen hat. Die Mitarbeitenden haben damit Klarheit. Wie wichtig das ist, haben Bruns und Eschweiler im Zusammenspiel lernen müssen. So sehr Markus Bruns auch von seinem priesterlichen Vorrang loslassen wollte, so schwer konnte er zu Beginn manchmal nein sagen, wenn ihn jemand ansprach, etwas anders wollte als entschieden, ihn einlud als Vertreter der Kirche. Es ist nämlich nur der eine Teil, dass es von der Souveränität und Bescheidenheit eines Geistlichen abhängt, ob er sich zurücknehmen kann.

Der andere Teil ist, dass auch Gläubige und sogar das weltliche Umfeld wie Verwaltung und Politik weiterhin priesterzentriert sind. Hilgers, Bruns und Eschweiler begreifen das, wie sie kirchliches Leben in der GdG Heinsberg-Oberbruch gestalten,  als Zukunftsmodell von Kirche. Und  das ist nicht nur als Antwort auf den dramatischen Priestermangel gemeint, sondern als richtige Antwort auf die Zeichen der Zeit. Die Leitung in die Hände von nicht geweihten Frauen und Männern zu legen, entspricht auch der kirchlichen Realität vor Ort. Und das gilt jenseits der Besonderheiten, die eine solch kollegiale Moderation von Kirche am Ort in Oberbruch begünstigen: Die GdG ist recht überschaubar, die Chemie stimmt zwischen den Beteiligten, es gibt eine lebensnahe diakonische Pastoral, eine enge  Verbindung zu den Menschen im Sozialraum.