„Dritte“ im Bunde sein

Katholische Elternschaft Deutschlands diskutierte Bildungsgerechtigkeit beim Bundeskongress in Aachen

(c) Dorothée Schenk
Datum:
12. Okt. 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 41/2022 | Dorothée Schenk

„Es kann auf jeden Fall kein Zufall sein, dass wir uns gerade zum Thema Bildungsgerechtigkeit in Aachen treffen! War doch Bildung für Karl den Großen sehr wichtig.“ So begrüßte Anne Embser als „Gastgeberin“ im Bistum Aachen zum Bundeskongress der Katholischen Elternschaft Deutschlands (KED). Kaiser Karl habe viele Schulen in seinem Reich gegründet, damit alle Kinder zur Schule gehen konnten. Die Tagung widmete sich der Frage: Bildungsgerechtigkeit – Utopie oder erreichbares Ziel?

Muss sich eine katholische Schule per se nicht schon die Frage stellen, ob sie durch ihr besonderes Profil Kinder und Jugendliche benachteiligt? Durchaus den kritischen Blick nach innen forderte der Hauptimpulsgeber der Jahrestagung der KED, Michael N. Ebertz, Professor an der Katholischen Hochschule Freiburg. Gerechte Bildung müsse sich daran messen lassen, wie sie mit bildungsarmen Kindern umgehe und ob sie die Triebkräfte und Hürden zu identifizieren verstehe. „Bildung, so verstehe ich sie, vermittelt Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen einen Zugang zu unterschiedlichen Modi der Welterfahrung und eröffnet unterschiedliche Horizonte“, stellte der Religionssoziologe und Theologe vorweg, denn: „Bildung soll helfen, zu Individuen zu werden, selbst zu denken und zu urteilen – zu autonomen Menschen zu werden.“

Von grundlegenden Prinzipien und sozialen Hebammen

Anne Embser sprach als Vorsitzende der KED im Bistum Aachen. (c) BIstum Aachen/Andreas Steindl
Anne Embser sprach als Vorsitzende der KED im Bistum Aachen.

Wenn es darum gehe, allen Kindern und Jugendlichen Bildung zukommen zu lassen – im Sinne der Gerechtigkeit, dann wäre ein Mix der vier Grundprinzipien zugrunde zu legen: das Gleichheitsprinzip, das Leistungsprinzip, das Bedarfsprinzip, das grundlegende Bedürfnisse deckt, und das Anrechtsprinzip, bei dem etwa in einem patriarchalischen System dem Ranghöchsten „das beste Stück“ zusteht. Durchaus als Befürworter einer Ganztagsschule positionierte sich der Religionssoziologe. Sie eigne sich dazu, Defizite im Elternhaus wettzumachen. Kritisch dagegen sieht er die – im europä- ischen Vergleich – sehr frühe Festlegung auf eine „Bildungskarriere“, nämlich nach der vierten Klasse. Noch viel zu häufig bestimme der soziale Status der Eltern die Schulwahl, und schließlich sei die soziale und finanzielle Ausstattung von Familien für das Ausnutzen von Bildungschancen von Bedeutung. Aber es gebe eben auch die menschliche Komponente.

Ebertz zitierte eine Statistik, derzufolge 55 Prozent glauben, dass die Zukunft des Einzelnen „von Ereignissen abhängt, die wir nicht beeinflussen können“. Was vonnöten sei, wenn Kinder und Jugendliche trotz des „fehlenden Bildungskapitals“ aufsteigen wollten, sei einerseits die eigene und persönliche Entscheidung – „ich will nicht so werden wie…“ die eigenen Eltern etwa –, vor allem aber sei ein „Dritter“, ein Vorbild und Bestärker, der wichtigste Faktor. „Der oder die Dritte taucht auf – die spendet Anerkennung, fördert statt fordert, ist soziale Hebamme oder Patin, die weder aus dem Kreis der Familie oder Verwandtschaft noch aus dem Herkunftsmilieu kommt und nicht aus dem Bildungspersonal.“ Hier sieht Referent Ebertz großes Potenzial für die KED. Wem wie der KED der solidarische Einsatz für die Schwächsten wichtig sei und wer sich auf das christliche Menschenbild berufe, müsse alle Kinder und Jugendlichen in den Blick nehmen. Er entwickelte das Modell der Bildungspatenschaften. „Wäre das nicht ein tolles Projekt für die nächsten Jahre der KED?“, fragte Professor Ebertz etwas provokant.

Der Auftrag, Bildung die nötige  Aufmerksamkeit zu verschaffen

Den Grundsatzimpuls setzte Michael N. Ebertz von der Katholischen Hochschule Freiburg. (c) Bistum Aachen/Andreas Steindl
Den Grundsatzimpuls setzte Michael N. Ebertz von der Katholischen Hochschule Freiburg.

Abschließend schrieb er seiner Zuhörerschaft eine wichtige Aufgabe ins Aufgabenheft: Damit das Thema der Bildungsgerechtigkeit nicht Gefahr liefe, unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle zu kommen, sei es die Aufgabe von Verbänden wie der KED, es immer wieder auf die Agenda zu bringen, und zwar „über attraktive Projekte andere für sich einzunehmen und als zivilgesellschaftliche Aufmerksamkeit zu aktivieren“. 
Dass es nicht notwendig ist, für Bildungsgerechtigkeit auf Veränderungen zu warten, stellte in gelebten Beispielen Sandra Krump, Ordinariatsdirektorin im Ressort Bildung im Erzbistum München und Freising, vor. Als Träger von Bildungseinrichtungen stellte sie sehr überzeugend dar, wie Schularten zusammengeführt werden können, um individuelle Chancen zu ermöglichen. Im Pullacher Schulzentrum etwa werden Kinder von der Krippe bis zum Gymnasium begleitet. Durch eine sogenannte „Gelenkklasse“ kann die Entscheidung für die Bildungszukunft vertagt werden.

In Garmisch ist vor allem die Durchlässigkeit zwischen Realschule, Gymnasium und Fachoberschule Prinzip. Es müssten Räume im Sinne der Kinder und auch für Lehrpersonal so gut wie möglich genutzt werden.

Als persönliches Fazit zum Abschluss des Bundeskongresses der KED formulierte Marie-Theres Kastner als Bundesvorsitzende: „Es braucht kleinere Klassen und mehr Lehrer an den Schulen in Deutschland. Damit jedes Kind seine Chancen nutzen kann, braucht es Zuwendung. Diese Zuwendung kann nur gelingen, wenn die Klassengrößen nicht ausufern und es überhaupt genügend Pädagogen an den Schulen gibt“, sagte Kastner. „Bildung ist teuer. Keine Bildung ist noch teurer. Wir haben kein anderes Kapital als die Bildung in den Köpfen unserer Kinder.“

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