Dritte Dimension fehlt

Wie digitales Lernen an der Marienschule in Krefeld gelingt. Eine Bilanz aus der Coronazeit

Zwei Wochen blieben viele Stühle in der Klasse der Marienschule leer – 22 von 27 Schülern mussten in Quarantäne. (c) www.pixabay.com
Zwei Wochen blieben viele Stühle in der Klasse der Marienschule leer – 22 von 27 Schülern mussten in Quarantäne.
Datum:
5. Jan. 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 01/2021 | Ann-Katrin Roscheck

An einem Sonntagnachmittag öffnet Natalia aus der 8a der Marienschule in Krefeld ihr E-Mail-Postfach und traut ihren Augen kaum: 300 ungelesene Nachrichten haben sich in den letzten Stunden in ihrem Briefkasten angesammelt. „Es war tatsächlich das passiert, wovor wir all die Monate Respekt hatten“, beschreibt Klassenlehrerin Lioba Schreiner. „Ein Mädchen aus der Klasse war positiv auf Corona getestet worden.“ 

Für 22 Schülerinnen der Mädchenklasse bedeutet das, dass sie sich unmittelbar für zwei Wochen in Quarantäne begeben müssen. Nur fünf Schülerinnen dürfen weiterhin den Unterricht im Gymnasium besuchen. „Gemeinsam mit dem Gesundheitsamt werden bei einer Covid-Erkrankung die Sitzpläne im Klassenraum und den Fachräumen überprüft“, erläutert Schulleiter Ralf Juntermanns. „Alle Schüler und Lehrkräfte, die sich im Unterricht im Umkreis von eineinhalb Metern befanden, sind von der Quarantäne betroffen.“ 

Schon viele Monate hat Schreiner mit ihren Schülerinnen den Ernstfall besprochen. Genau wissen Natalia, Alana, Mara und Klassenkameradinnen, was nun passiert. „Es war direkt klar, dass wir am nächsten Morgen um acht Uhr Onlineunterricht haben würden“, beschreibt Mara. „Natürlich waren wir trotzdem verunsichert, aber die Abläufe sind wir oft genug durchgegangen.“ Die Schülerinnen sind geschult im Umgang mit den neuen Medien. Schon seit einigen Jahren nimmt die Schule an einem besonderen Projekt rund um die Digitalisierung an Schulen der Bezirksregierung Düsseldorf teil.

Nicht nur die Klassenräume sind gut ausgestattet, sondern auch das Kollegium, und die Schüler beherrschen den Umgang mit Videoprogrammen, digitalem Datenaustausch oder der Abwicklung von gesicherter Kommunikation über Smart-phone und Computer. Während fünf Schülerinnen nun also weiter den Unterricht besuchen, sitzt der Rest der Klasse zu Hause und folgt dem Geschehen auf den Bildschirmen. „Wir haben die Sommerferien genutzt, um gemeinsam mit den Lehrkräften noch einmal neu zu überlegen, wie Unterricht in Zeiten der Pandemie stattfinden kann“, erklärt der Schulleiter weiter. „Dabei sind auch neue Methoden besprochen worden. Die kommen uns jetzt im Hybridunterricht zu Hilfe.“

Im Klassenraum wird für die Online-Schülerinnen nicht nur eine Kamera aufgebaut, sondern auch zwei Mikrofone: Das eine nimmt die Stimme des Lehrers auf, das andere Gerät ermöglicht den Schülerinnen zu Hause, den Antworten ihrer Klassenkameraden im Unterricht zu folgen. So wird die Unterrichtssituation bestmöglich über die digitalen Medien nachgebildet. Auch Gruppenarbeiten und Austauschsituationen können über das digitale Tool ermöglicht werden. „In der Schule würde man sich ja für eine Zusammenarbeit immer eine Freundin aussuchen, aber jetzt war das anders“, erzählt Alana. „Ich hatte das Gefühl, dass ich durch Corona auf einmal Zugang zu Mädchen bekommen habe, zu denen ich sonst keinen Kontakt hatte.“ Und auch die Klassenlehrerin beobachtet Veränderungen: Schülerinnen, die im Unterricht sonst still sind, blühen auf einmal im Online-Unterricht auf. Leistungen werden sichtbarer. 


„Zwischen-Tür-und-Angel-Gespräche“ nach dem Unterricht fallen weg

Aber die Resonanz auf den Hybridunterricht ist nicht durchweg positiv. Ralf Juntermanns gibt energisch zu bedenken: „Die dritte Dimension fehlt. Gerade für die Marienschule mit christlicher Orientierung ist diese unheimlich wichtig.“ Der Schulleiter meint damit nicht nur die physischen Angebote zum Beispiel zum Advent, sondern auch die seelsorgerische Komponente. Zwar richtet Klassenlehrerin Lioba Schreiner Online-Präsenz-Zeiten ein, um für die Mädchen da zu sein, und bietet auch Gesprächsmöglichkeit in der Gruppe, aber die so wichtigen „Zwischen-Tür-und-Angel-Gespräche“ nach dem Unterricht fallen weg. „Wenn wir vor Ort sind, erleben wir im Unterricht ganz anders, ob es einem Kind oder Jugendlichen nicht gut geht“, beschreibt Juntermanns.

„Die Maske macht es tatsächlich seit Monaten schwerer, die Stimmung der Schüler zu deuten, aber im persönlichen Kontakt gibt es dennoch andere Möglichkeiten.“ Und gerade in der Quarantäne wirken Probleme und Ängste oft größer als im Schulalltag, das beschreibt auch Schülerin Alana: „Ich habe mir schon große Sorgen gemacht, was jetzt passiert, wenn ich erkrankt bin. Ob ich meine Eltern oder meine Familie anstecke, und auch, was Corona mit mir machen würde.“ Über den Computer als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen, ist möglich, schildert der Schulleiter, aber aus seelsorgerischer Perspektive schwieriger.

Auch die digitale Ausstattung bereitet an mancher Stelle noch große Sorgen. Während die meisten Kinder an der Marienschule mit Geräten ausgestattet sind, gibt es auch Mitschüler, die zu Hause nicht über die notwendigen Voraussetzungen für den Hybridunterricht verfügen. Schon vor einigen Monaten hat die Marienschule Gelder des Landes abgerufen, um für diese Schüler Geräte anzuschaffen. Rund drei pro Klasse werden benötigt, die Geräte sind aber bislang nicht eingetroffen. „Wenn sie denn dann da sind, bleibt das Problem, dass die Schüler, die bisher nicht über einen Rechner oder ein Tablet verfügen, zu Hause auch keinen Zugang zum Internet haben“, schildert Juntermanns weiter. „Dafür muss eine Lösung gefunden werden.“

Auch schulintern kommt das Gymnasium dabei strukturell an seine Grenzen: Denn es sind zwar Mikrofone, Kameras und Smartboards vorhanden, in nur wenigen Klassenräumen aber ist die Internetverbindung so gut, dass von hier der Online-Unterricht gestreamt werden kann. „Ich glaube, dass hybrides Lernen ein Gewinn ist, der auch zukünftig unser Schulleben gestalten wird“, schließt der Schulleiter. „Aber der persönliche Kontakt darf nicht unterschätzt werden: Am Ende brauchen wir die Kinder in der Schule.“