Dieses Paradies ist nicht echt

Das Theaterstück „Fake Paradise“ setzt sich kritisch mit dem Umgang in sozialen Netzwerken auseinander

Alles für ein „Like“? – Was in der Anonymität der virtuellen Welt witzig scheint, kann in der realen Welt grausame Folgen haben. (c) Andrea Thomas
Alles für ein „Like“? – Was in der Anonymität der virtuellen Welt witzig scheint, kann in der realen Welt grausame Folgen haben.
Datum:
10. Apr. 2018
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 15/2018 | Andrea Thomas
Für viele Menschen gehört das Teilen ihres Alltags, das Bewerten („liken“) und Kommentieren in den sozialen Medien fast so selbstverständlich dazu wie das Atmen.

Ob das immer alles wahr und ist oder schöner Schein? Ob ich damit möglicherweise jemanden verletze oder ihm schade? Egal, was zählt sind erst einmal Klicks, Likes und Follower. Sie sind die Einheit, in der gemessen wird, wer ich bin und was ich bin. Vor anderthalb Jahren hatten die Jugendeinrichtungen D-Hof (Aachen) und die Kleinen Offenen Türen St. Castor (Alsdorf) und St. Josef (Stolberg) die Theaterproduktion „Jungfrau ohne Paradies“ zum Thema „Extremismus“ in die Städteregion Aachen geholt.

Das Stück, das für den Deutschen Engagementpreis nominiert und vom Bündnis für Demokratie und Toleranz als vorbildliches Projekt ausgezeichnet wurde, hatte für regen Diskussionsstoff bei Schulklassen und Jugendgruppen gesorgt. Grund genug für die drei Einrichtungen, auch das neue interaktive Stück „Fake Paradise“ zu sich einzuladen. Damit wollen die Autorinnen Gerburg Maria Müller und Alessandra Ehrlich eine (Medien-) Welt entlarven, in der es nicht nur um Selbstdarstellung geht, sondern in der Fakten in den Nachrichten verdreht und Hassreden, rassistische Parolen und Populismus salonfähig werden. Zielgruppe sind Jugendliche ab 13 Jahren, aber auch die Erwachsenen, die ihnen einen verantwortungsvollen Umgang mit Wahrheit in den Medien vorleben sollten, sich damit aber auch oft schwer tun, weil auch für sie die Grenzen verschwimmen.

 

Grausame Konsequenzen

Drei fröhlich dauergrinsende und „Selfies“ (Selbstbildnisse) machende Trainer begrüßen die Besucher des Stückes als Rekruten im „Fake Paradise“, dem scheinbaren Paradies. Hier sollen sie fit gemacht werden „für die schöne Welt, in der alles geht und jeder zählt – oder als Follower gezählt wird“. Wahrheit und Behauptung sind hier nur Mittel zum Zweck – vom inszenierten Video über das falsche Profil in einem sozialen Netzwerk bis zum Mobbing von Mitschülern oder der Verbreitung von schlechten, aber verführerisch klingenden Argumenten zum populistischen Stimmenfang. Das Publikum ist schnell mittendrin und spielt mit, beispielsweise beim „Streich“ für eine neue Lehrerin oder es verfolgt, wie Luke beim Chatten Lisa Verständnis und Interesse vorgaukelt, um sich über sie und ihre Gefühle lustig zu machen. Was oft wie ein Spiel beginnt, nimmt im Stück schnell böse und unangenehme Züge an, wenn die neue Lehrerin mit einem Video im Netz bloßgestellt wird, wenn Fakten und Aussagen verdreht und aus dem Zusammenhang gerissen werden, wenn Argumente abwertend und rassistisch werden, wenn die Demü-tigung in der virtuellen Welt mit Lisas Selbstmord in der realen Welt endet. In diesen Momenten wird es plötzlich ganz still im jungen Publikum oder es regt sich – endlich – lauter Widerstand. Rassistische Sprüche kommen nicht gut an.

Der Kniff des Stückes ist: Es setzt auf die eigenen Erfahrungen seines Publikums, auf emotionale Momente, die provozieren und wachrütteln. Es nimmt die Jugendlichen ernst, führt sie nicht vor sondern zeigt wie schmal der Grat ist, selbst zum (Mit-)Täter zu werden oder wie schnell man zum Opfer werden kann in diese vermeintlich paradiesischen Welt. „Die gespielten und gezeigten Beispiele sind schon heftig, aber wirklich heftig ist, dass die Realität oft noch schlimmer ist“, sagt eine erwachsene Zuschauerin in der sich anschließenden Diskussion. Kinder und Jugendliche stark zu machen, damit sie dem widerstehen können, sei eine Herausforderung, aber, wie eine andere Zuschauerin sagt: „Viele Tropfen werden zu einem Ozean“.

Infos: www.facebook.com/NewLimesFakeParadise