Vom Hochwasser 2021 gibt es im Kreis Heinsberg kaum noch sichtbare Spuren. Die Fassaden der Gebäude sind getrocknet, Rur und Wurm fließen wieder in ihren Flussbetten gemütlich vor sich hin. Aber auch hier gab es Schäden in Millionenhöhe – und das seltsame Gefühl, dass man unter seinem eigenen Schock angesichts der Zerstörungen im Ahrtal nicht leiden darf.
Ein perfekter Sommertag, wie er im Buche steht: Sonne satt, das ideale Wetter für eine Fahrradtour. Die Radler nehmen gerne den Weg, der neben dem Bischöflichen Gymnasium St. Ursula in Geilenkirchen direkt an die Wurm führt. Die Kurve rechts über die hölzerne Brücke und dann gleich links am Sportplatz vorbei nehmen die Freizeitradler mit gutem Tempo. Es fährt sich gut hier, und niemals würde man meinen, dass dieser Weg vor genau zwei Jahren nicht mehr zu sehen war. Genau wie der Sportplatz. Als das Wasser kam, wurde der Fluss, der nun geschätzt drei Meter tiefer liegt, zur Seenplatte,
die sich von hier über die ganze Innenstadt zog: vor der Kirche St. Mariä Himmelfahrt und bis zum Bahnhof.
Heute ist davon gar nichts mehr zu sehen. Der Sportplatz glänzt grün und glatt in der Sonne. Als das Wasser sich wieder zurückzog, hatte es hier einen Platz hinterlassen, dessen Kunstrasenfläche Wellen schlug. Das Beet am Kreisverkehr ist neu angelegt. In der Konditorei gegenüber der Kirche sitzen wieder Gäste auf der Terrasse, die Böden vor der Kuchentheke sind neu. Sie hatten sich durch das Wasser angehoben. Alles ist schick und propper, wie man es sich bei einer Kleinstadt vorstellt.
Auch in Ophoven, gute 20 Kilometer entfernt, ist das dörfliche Idyll so, wie es sein sollte. Obwohl der Spielplatz im Schatten liegt, findet sich heute kein Kind hier ein. Es ist zu heiß. Die Wallfahrtskirche, die ebenfalls St. Mariä Himmelfahrt heißt, ist geöffnet und bietet an diesem heißen Tag Kühle. Es war Glück, dass das Wasser in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli kurz vor dem Tor zum Friedhof stehenblieb. Die Gräber rund um die Kirche wurden nicht zerstört und auch das Gotteshaus, das auf die Zeit um 1200 datiert wird, blieb verschont. Der Spielplatz und der runde Holztisch unter den Bäumen auf dem Dorfplatz aber versanken in den Fluten.
Die äußere Idylle täuscht. „Das Hochwasser hat schon Nachwirkungen“, sagt Stefanie Schweitzer vom Fluthilfebüro der Caritas für den Kreis Heinsberg. In den Gesprächen, die sie führt, kommen immer wieder die Spätfolgen zur Sprache: die Nervosität, wenn es regnet. Die Sorge, dass das Wasser wiederkommen könnte. Wer hätte vor zwei Jahren gedacht, dass die Rur den Ort Ophoven fluten würde?
Der kleine Fluss, der sich durch den Kreis Heinsberg in Richtung Niederlande zieht, ist bei Ausflüglern sehr beliebt. Mehrere Felder liegen zwischen dem Fließgewässer und den ersten Häusern des Ortes. Aber irgendwann konnten die Felder das Wasser nicht mehr aufnehmen. Die neue Siedlung „Am Ringofen“ hat kaum Gärten, in denen Wasser versickern könnte. Schottergärten und mit Platten versiegelte Vorgärten zeichnen die Siedlung aus. Die Flut hat daran offensichtlich nichts geändert.
Aber nicht bei allen ist das so. Wenn sie mit den Menschen rede, gebe es schon den einen oder anderen, der sich wieder einen Garten anlegt. Schon allein als einen gewissen Hochwasserschutz. „Das Hochwasserkompetenz-Zentrum empfiehlt, Gärten als Hochwasserschutz anzulegen“, sagt Schweitzer. Was Wasser anrichten kann, erfährt sie jeden Tag bei ihrer Arbeit. Denn die Schäden sind noch nicht beseitigt. „Von außen sieht man nichts mehr, aber jetzt kommen die Folgeschäden“, sagt sie. Nur in Randerath (Heinsberg) sei eine Straße noch gelblich, weil der Schlick nicht ganz wegzubekommen sei.
Wenn der Keller geflutet ist, stehen die Wände komplett unter Wasser. In den von der Flut betroffenen Orten im Kreis Heinsberg wurden sie so mehrere Tage umspült. So mancher Hausbesitzer stellt nun fest, dass schon geringere Regenmengen reichen, um aus einem vormals trockenen Keller ein Feuchtbiotop zu machen. „Es gibt Häuser, die waren schon wieder fertig, und nun tritt bei Regen Wasser ein“, sagt Schweitzer. „Die Versicherungen bestreiten, dass das mit der Flut zusammenhängt.“ Ein anderes Problem ist, dass Bodenplatten wegen Unterspülungen einbrechen.
In diesen Fällen versucht Schweitzer zu helfen. Vor Weihnachten sei sie in Hückelhoven von Tür zu Tür gegangen und habe mit den Menschen gesprochen. „Viele wussten gar nichts von der Wiederaufbauhilfe“, ist ihr dabei aufgefallen. „Die dachten, die Soforthilfe sei das gewesen.“ Es müsse noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden.
Dass das nötig ist, zeigen die Kosten für so eine Sanierung. Für einen Keller fangen die Schäden bei einer Summe von 30000 Euro an. „In der Regel sind es 50000 Euro“, ist die Erfahrung von Schweitzer. Bis zu 100000 Euro können die Folgeschäden betragen. „Das glaubt man nicht“, sagt sie.
Zumal viele Geschädigte das Gefühl haben, dass es bei ihnen „ja nicht so schlimm war – verglichen mit dem Ahrtal“. Aber auch im Kreis Heinsberg starben durch die Flut zwei Menschen.