Die turbulente Odyssee der Engel

Kostbare Emaille-Arbeiten von Anton Wendling kehren in die Aachener Kirche Herz Jesu zurück

Marianne Blasel, Vorsitzende des Kirchenbauvereins Frankenberger Dom in der katholischen Pfarrei  St. Gregor von Burtscheid, hat sich intensiv für die Suche nach den verlorenen Kunstwerken eingesetzt. (c) Bistum Aachen/Andreas Steindl
Marianne Blasel, Vorsitzende des Kirchenbauvereins Frankenberger Dom in der katholischen Pfarrei St. Gregor von Burtscheid, hat sich intensiv für die Suche nach den verlorenen Kunstwerken eingesetzt.
Datum:
30. Okt. 2024
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 44/2024 | Sabine Rother

Sie sind nach einer turbulenten Odyssee wieder da: die sechs Engel aus der Aachener Kirche Herz Jesu. Ihre feierlichen Gewänder glänzen, als wäre das geschmolzene Glas der Farben noch immer heiß und fließend im Schaffensprozess  – tiefes Rot, kraftvolles Blau, die Farben der Engel, Blau für die Cherubim als Symbol für den Himmel, Rot für die Seraphim als Zeichen für das Feuer. Die Deutung der sechs ernsten Wesen, die der expressionistische Künstler Anton Wendling (1891–1965), bekannt als einer der wichtigsten Vertreter der  Glasmalerei des 20. Jahrhunderts, in seinem Entwurf gestaltet, ist nicht belegt. 

Fest steht, dass er den Entwurf Goldschmied und Emailleur Fritz Schwerdt, seinem erfahrenen Zeitgenossen und einstigen Schüler an der Aachener Kunstgewerbeschule Aachen, übergeben hat – inklusive für einen gleichfalls in Emaille gestalteten Tabernakel, der auf dem Altar erhalten ist. In den Wirren und Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs, von denen die Pfarrkirche nicht verschont bleibt, gehen die kostbaren Platten verloren. Sind sie erhalten oder zerstört? Gedanken, die Marianne Blasel, Vorsitzende des Kirchenbauvereins Frankenberger Dom in der katholischen Pfarrei St. Gregor von Burtscheid, nie loslassen. „Das Wiederfinden der Engelplatten lag uns allen am Herzen, aber wir hatten keine Spur, alle Archive sind im Krieg zerstört worden, alles verbrannte, nicht einmal eine Rechnung gibt es“, sagt sie.

Der Ansatzpunkt findet sich dennoch unerwartet – bei einer Hochzeit 2016 in Herz Jesu. „Als ich den Tabernakel betrachtete, wusste ich, dass ich ihn schon gesehen habe“, erinnert sich Raphael Schwerdt, Jahrgang 1947, Sohn des Goldschmieds Fritz Schwerdt, der in seiner Zeit zudem als erfahrener Emailleur solche Arbeiten realisieren konnte. Die außergewöhnlichen Kunstwerke auf sechs vergoldeten Messingtafeln, jede 20 Zentimeter breit und 80 Zentimeter hoch, sind selbst für Kunstexperten eine Besonderheit.

Die Aufstellung der Engel vor einer silberglänzenden Duranglasfläche – drei links, drei rechts, deutlich mit den Blicken aus eindrucksvollen Augen zur Mitte ausgerichtet – kennen die meisten Gemeindemitglieder nur aus leicht unscharfen Schwarzweißbildern. „Als ich den Nachlass meines Vaters gesichtet und betreut habe, sind mir die Fotos aus Herz Jesu aufgefallen, von den sechs Platten gab es keine Spur“, erinnert sich Sohn Raphael Schwerdt, der in Tübingen lebt und das Gesamtwerk seines Vaters dokumentiert.

Als er zur Hochzeit seines Neffen nach Aachen reist, kommt es zum „Funken“, der ein spannendes Feuerwerk der Recherchen zündet. Kontakte zur Gemeindeverwaltung, Suche in Archiven, Unterstützungen durch die Untere Denkmalbehörde, Vertreterinnen und Vertreter der Kunst- und Denkmalpflege im Bistum Aachen und nicht zuletzt die Stiftung 
katholischer Kirchengemeindeverband St. Michael mit St. Aposteln und Herz Jesu sowie die Prälat-Dr.-Erich-Stephany-Stiftung für Kirchen, Kunst und Denkmalpflege sind es, die später eine Restaurierung ermöglichen. Doch bis es soweit kommt, gilt es zunächst, den unfreiwilligen „Ausflug“ der Engel nachzuzeichnen, Spuren zu suchen.

Als Sohn Raphael erneut nach Aachen reist, staunt er nicht schlecht: Die Gemeindeverwaltung von St. Gregor sagt ihm, dass drei der sechs Engel-Tafeln im Schrank der Gemeindeverwaltung verwahrt werden – ein Erbe des 2014 gestorbenen Pfarrers Wilhelm Jansen aus Aachen-Laurensberg, so heißt es, der in der Pfarre Herz Jesu aufgewachsen sei. Als man das Testament des Geistlichen genauer liest, findet man die nächste Information: Er selbst hat diese Engel von einem Pfarrer Fritz Kranz als Geschenk erhalten, der 1945 in Herz Jesu Kaplan war und die Engelsfiguren damals rettet, dann aber Pfarrer in Rohren und Kalterherberg wird, die Engel mitnimmt und 1986 in Widdau stirbt.

Die detektivische Suche führt schließlich zu Sophie Plum, Haushälterin des Pfarrers und Witwe dessen Freundes Wilhelm Plum, der 1943 in russischer Kriegsgefangenschaft gestorben ist – einst Goldschmied und Mitarbeiter von Fritz Schwerdt. Sophie Plum erbt das Haus, vermacht es ihrem Patensohn Bruno Gillessen, der wiederum an Henk Dohmen verkauft. Weiß er etwas von Engeln? Ja! Dohmen verweist auf seinen Bruder Wolfgang Gillessen in München, dem er die verbliebenen drei Werke geschickt hat – der „Knoten“ ist gelöst, die Dauerleihgabe für die Herz-Jesu-Kirche vereinbart.

>>Das Wiederfinden der Engelplatten lag uns allen am Herzen, aber wir hatten keine Spur, alle Archive sind im Krieg zerstört worden, alles verbrannte.<<

Marianne Blasel

Das Aufatmen in der Gemeinde ist groß, denn die Engel als spirituelle Botschafter haben in all den Jahren eine empfindliche Lücke im Raum für Andacht und Gebet hinterlassen. Doch die neoromanische Ästhetik des heutigen Altarraums harmoniert mit den Darstellungen nicht mehr. Dann die Lösung: An der westlichen Wand, wo die Gläubigen die Kirche verlassen, werden sie von den Engeln mit segnenden Gesten verabschiedet, der geistliche Bezug zu Altar und Tabernakel stimmt.

Vor dem Einzug in die heimatliche Kirche steht allerdings ein kompliziertes Rettungswerk. Silberschmiedemeister Stephan Bücken aus Herzogenrath-Kohlscheid, erfahren unter anderem bei sakralen Emaillearbeiten, übernimmt die Restaurierung der Tafeln, die gefährliche Schäden aufweisen – und er steht damit vor einem vielschichtigen Rettungswerk. Erste Reinigungsproben zeigen, wie scharfe Putzmittel und Polierkreiden den Flächen zugesetzt, sie verkratzt haben, wie Schmutz tief in feine Risse eingedrungen ist. Zudem gibt es Abplatzungen an Kleidung und an einem Fuß. Ein Glück für die Engel, dass Bückens Vater seine Ausbildung bei Fritz Schwerdt durchlaufen hatte und dem Sohn die Geheimnisse des Emailleurs weitergeben konnte.

„Bei Emaille gibt es so viel zu beachten“, seufzt Bücken. „Die Schäden waren enorm, die Platten alle lose.“ Allein gut 1000 korrodierte Muttern, die mit Zinn zugesetzt waren, gilt es auf den Rückseiten so zu lösen, dass die Vorderseite nicht beschädigt wird. Viele Monate dauert die Arbeit, bis die sechs Engel ihren sichernden Überzug aus farbloser Emaille erhalten und sie Bücken zurückkehren lässt. In nahezu alter Schönheit und als Zeitzeugen, bei denen man die (geheilten) Wunden noch erkennen soll.

Die Emaille-Engel von Anton Wendling kehren in die Kirche Herz Jesu Aachen zurück

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