Kathl Gruber, geboren 1864 als fünftes Kind eines oberbayrischen Landwirts, lässt sich gerne Heiligenlegenden vorlesen und freut sich jedes Jahr auf ihren Namenstag. Ihr gefällt Kaspar, der Sohn des Dorflehrers, aber nach dem Willen der Eltern wird sie den Habacher Franz heiraten müssen.
So präzise diese Informationen über Kathl Gruber erscheinen mögen – es gibt keine einzige historische Quelle, die von ihr handelt. Denn sie ist eine fiktive Figur, erdacht von Florian Baab, Theologe in Hamburg, um seinem Buch über die katholische Welt von gestern ein Gesicht zu geben. Von dieser Welt, deren Rückgrat das einfache, religiös grundierte Leben der Landbevölkerung bildet, erzählen verschiedene Quellen. Baab hat etliche von ihnen ausgewertet, um zu zeigen, wie das katholische Milieu im deutschsprachigen Raum bis in die 1960er Jahre hinein ausgesehen hat. Viele Beispiele, anregende Analysen und ein wenig Theorie machen Baabs Buch zu einer spannenden Mentalitätsgeschichte, die – nicht zuletzt – die Frage aufwirft: Wie viel von Kathl Gruber steckt noch in uns?
Florian Baab: Wie die Dampfmaschine das Fegefeuer löschte. Eine Reise durch die katholische Welt von gestern. 176 S., 13,4 x 2 x 21cm, Herder-Verlag, Freiburg i.Br., Basel, Wien 2024, Preis: 22,00 €