In diesem Jahr jährt sich zum 1700. Mal das erste ökumenische Konzil von Nizäa. Die Versammlung im Jahr 325 gilt als Schlüsselmoment in der Geschichte des christlichen Glaubens. Wie kam es zum Konzil, worin liegt seine Bedeutung und was hat es uns heute noch zu sagen? Darüber sprach Gerd Felder mit Dr. Jörg Fündling. Der gebürtige Aachener vertritt derzeit die Professur für Kirchengeschichte an der RWTH Aachen und gehört während des Sommersemesters zu den Hauptreferenten bei der RWTH-Ringvorlesung „Einigungen und Trennungen im Glauben – 1700 Jahre erstes ökumenisches Konzil von Nizäa“.
Herr Dr. Fündling, wie kam es zum Konzil von Nizäa?
Jörg Fündling: Das hatte mit einer Kombination von Überraschungen und vor allen Dingen mit einem fundamentalen Wechsel in der römischen Politik zu tun. Konstantin, später als „der Große“ bezeichnet, wurde Kaiser und setzte sich gegen seine Rivalen durch. Nachdem das Christentum wenige Jahre zuvor noch verfolgt worden war, entschied er sich, mit der neuen Religion zu kooperieren und sie aktiv zu fördern. Da es auf der Leitungsebene der Kirche großen Gesprächsbedarf gab, berief er das Konzil von Nizäa ein. Das genaue Datum des Konzils ist bis heute umstritten.
Worum ging es auf dem Konzil?
Fündling: Zum einen gab es Schwierigkeiten wegen des Verhaltens von Klerikern während der Christenverfolgung: Die sogenannten Donatisten in Afrika wollten keine Sakramente von sündigen Priestern empfangen. Das wurde aber auf dem Konzil nur als Randthema abgehandelt. Vor allem gab es eine große theologische Diskussion über das Verhältnis von Gottvater und Christus und die philosophischen Begriffe, in die es gefasst werden sollte.
Wie sahen die gegensätzlichen Positionen aus?
Fündling: Der Ägypter Arius vertrat die Ansicht, dass Christus ein übermenschliches Wesen, aber erschaffen sei. Das heißt also, er steht sozusagen auf einer anderen Qualitätsstufe als Gott und ist ihm nicht gleich, sondern irgendetwas zwischen Mensch und Gott. Damit vertreten Arius und seine Anhänger einen radikalen Monotheismus; für sie kann es nur einen einzigen Gott geben. Die Gegenposition wurde besonders von dem ägyptischen Kirchenvater Athanasius vertreten. Für ihn ist Christus wahrer Mensch und wahrer Gott, weil sonst die Erlösung nicht möglich wäre. Nur wenn er Mensch ist, kann Gott sich ihm zuwenden und zeigen, dass die Menschheit nicht rettungslos verloren ist. Diese Position, dass Christus wesensgleich (griechisch: homoousios) mit dem Vater ist, setzte sich am Ende durch.
Welche Rolle spielte Kaiser Konstantin? Sie sehen seine Hinwendung zum Christentum etwas anders, als sie lange betrachtet worden ist.
Fündling: Konstantin ist nicht eines Morgens aufgewacht und war plötzlich Christ, wie man lange gemeint hat. Das war ein längerer Entscheidungsprozess, und ganz bewusste politische Absichten und Zielsetzungen haben dabei eine Rolle gespielt. Er war der Hauptinitiator des Konzils und stößt beim Hauptthema, dem Verhältnis Jesu zum Vater, Festlegungen an, nimmt aber die in Nizäa getroffenen Beschlüsse in seinen letzten Regierungsjahren zurück und lässt sich schließlich sogar von Bischof Eusebius von Nikomedia, einem gemäßigten Anhänger des Arius, taufen. Am Schluss vertritt er das Gegenteil von dem, worauf man sich in Nizäa geeinigt hatte, und erweckt zugleich den Eindruck, er stehe noch für dasselbe.
Warum wird Konstantin Christ, welchen Anreiz hat das für ihn?
Fündling: Man schätzt, dass die Kirche damals zwischen drei und sechs Millionen Mitglieder hatte. Das waren nur zehn Prozent der Bewohner des römischen Reiches. Aber diese Minderheit war sehr präsent. Konstantins Anreiz, Christ zu werden, war ein persönliches Motiv: Er hatte den Krieg gegen seinen Rivalen Maxentius gewonnen, und dafür war aus seiner Sicht der Gott der Christen mit verantwortlich. Dafür wollte er gegenüber seiner „Schutzgottheit“, wie es damals üblich war, Dankbarkeit zeigen. Hinzu kam, dass er sich vom Christentum erhoffte, einen einheitlich organisierten Ansprechpartner in Religionsfragen zu finden. Konstantin fuhr zunächst noch sozusagen mehrgleisig und nahm schließlich andere Optionen zurück. Spätestens zur Zeit von Nizäa bekennt er sich zum Christentum.
Worin besteht die Bedeutung des Konzils von Nizäa?
Fündling: Vor allem stellt das Konzil das erste Mal dar, dass eine ‚weltweit‘ agierende Kirche ein gemeinsames Forum findet. Mit Nizäa beginnen auch die großen dogmatischen Festlegungen der Kirche, mit denen gesagt wird: Das glauben wir, und das schließen wir aus. Diese Festlegungen bilden Instrumente, um den Zusammenhalt der Kirche zu sichern, und zugleich bahnt sich die Ziehung von Trennlinien an. In Nizäa geht es um den heilsgeschichtlichen Stellenwert der Person Jesu Christi, ein Streit, der sich im Jahrhundert danach verschärfen und zu einer großen Kirchenspaltung führen wird.
Die ganz entscheidende Frage ist: Was hat uns das Konzil von Nizäa heute noch zu sagen?
Fündling: Schon damals gab es Flügelkämpfe in der Kirche, und wir haben heute auf unsere Art die gleichen Probleme. Wie vor 1700 Jahren gibt es ein Riesenbedürfnis nach Integration und die Gefahr, dass die Kirche sich – diesmal im Kampf zwischen konservativen und progressiven Kräften – zerlegt. Aus den verschiedenen Weltregionen kommt der Ruf nach einer charismatischen Kirche, und es stellt sich die Frage, wie man mit internem Widerspruch umgehen soll. Wieviel Konsens brauchen wir? Die Antwort auf diese Frage muss jedes Mal neu gegeben werden. In Nizäa musste erst einmal ein Apparat zur Konfliktlösung entwickelt werden. Das galt es alles neu zu „erfinden“.
Und inhaltlich betrachtet?
Fündling: Die Grundfragen sind noch dieselben. Heutzutage gibt es jede Menge Leute, die aus Sicht der christlichen Dogmatik ‚Arianer‘ sind. Sie halten Jesus für weltgeschichtlich bedeutsam und für eine Art Superheld mit übermenschlichen Kräften, aber nicht für Gott gleich. Die theologische Lösung von Nizäa ist mühselig ausbalanciert, hochgradig komplex und anspruchsvoll.
Das heißt, wir brauchten heute eigentlich eine neue Formulierung?
Fündling: Jede Zeit braucht in ihrer Sprache eine neue Formulierung für den „wunderbaren Tausch“, dass Gott das Menschliche an sich zieht, damit die Welt und der Mensch dauerhaft ans Göttliche gebunden sind. Das immer wieder in eine heute verständliche Sprache zu übertragen, bleibt eine Daueraufgabe. Da sind kreative gläubige Köpfe gefragt. Da die Theologie aber beispielsweise die Philosophie zu lange in eine dienende Rolle gedrängt hat, lässt sich heute schwer eine zeitgenössische Philosophie finden, die diese Übersetzungsleistung erbringen kann oder möchte. Der Islam ist deswegen für viele Menschen so attraktiv, weil er eine rein monotheistische Lösung anbietet, die leicht verständlich ist.