Die erste Sternsingerin

Die Aachenerin Auguste von Sartorius gründete 1846 das Kindermissionswerk – mit gerade 15 Jahren

Jugendporträt von Auguste von Sartorius: ein Mädchen aus gutem Haus, das weiß, was es will. (c) Foto: Privat/Kindermissionswerk
Jugendporträt von Auguste von Sartorius: ein Mädchen aus gutem Haus, das weiß, was es will.
Datum:
4. Jan. 2023
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 01/2023

Die Greta des 19. Jahrhunderts hieß Auguste und war Aachenerin. So wie Greta Thunberg mit ihrem Einsatz für das Klima schaffte es die 15-jährige Auguste von Sartorius damals, Gleichaltrige und Erwachsene zur Hilfe für Kinder in armen Ländern zu gewinnen. Der Grundstein für das Kindermissionswerk „Die Sternsinger“ war gelegt.

Das Geburtshaus von Auguste von Sartorius am Büchel in Aachen. (c) Kindermissionswerk
Das Geburtshaus von Auguste von Sartorius am Büchel in Aachen.

Den Vergleich zwischen Greta Thunberg und Auguste von Sartorius zieht Judith Rosen in ihrem 2022 erschienenen Buch „Auguste und die Sternsinger. Ein Mädchen schreibt Geschichte“, das eine engagierte junge Frau ins Blickfeld rückt, die selbst in ihrer Heimatstadt Aachen vielen nicht bekannt sein dürfte. Ähnlich wie Greta sei auch Auguste entschlossen ihren Weg gegangen. Beide konnten dabei auf ihre Eltern bauen, die mit ihrer eigenen Haltung (bei Thunbergs zu den Folgen des Klimawandels, im Haus von Sartorius zu christlich-sozialem Engagement) ihren Töchtern Vorbild waren und sie im Einsatz für ihr Herzensprojekt unterstützten. Beide waren noch minderjährig, als sie ihre Bewegung begannen, und in ihren Möglichkeiten zunächst eingeschränkt, was sie jedoch nicht daran hinderte, sich für das einzusetzen, was ihnen wichtig war, und Erwachsene zu überzeugen, in ihrem Sinne zu handeln.

In Augustes Fall waren die Einschränkungen noch ein Stück größer als bei Greta, denn sie war nicht nur minderjährig, sondern ein Mädchen/eine Frau in einer männerdominierten Gesellschaft. Sie selbst durfte keinen Verein gründen oder gar leiten. So saßen im Vorstand des deutschen „Vereins der heiligen Kindheit“ (aus dem später das Kindermissionswerk wurde) nur Erwachsene, darunter Augustes Vater, der Aachener Arzt Georg von Sartorius. Sie selbst blieb – obwohl Ideengeberin – im Hintergrund und kümmerte sich unter anderem um die Korrespondenz. Was ihre Bedeutung nicht schmälert, im Gegenteil. Historikerin Judith Rosen schreibt über Auguste von Sartorius: „Sie steht für einen bisher stiefmütterlich behandelten Aspekt der Mission: den Beitrag von Kindern und Jugendlichen zum Aufbruch der katholischen Kirche im 19. Jahrhundert.“

Elternhaus war prägend für Auguste

Geboren wurde Auguste am 1. März 1830 als einziges Kind von Georg von Sartorius und seiner Frau Theresia. Aus der ersten Ehe ihrer Mutter hatte sie drei ältere Halbschwestern. Vater Georg von Sartorius hatte sich als Arzt in Aachen niedergelassen. Beide Eltern genossen einen guten Ruf in der Stadt. Augustes Mutter engagierte sich im Vorstand des Marianneninstituts, einer Entbindungsklinik für arme Wöchnerinnen. Dieses Vorbild dürfte für die junge Auguste prägend gewesen sein, wie auch Judith Rosen vermutet: „Besonders die Eigenständigkeit der Mutter, welche die Agenda des Marianneninstituts, eines Vereins von Frauen für Frauen, maßgeblich prägte, dürfte Auguste ermuntert und bestärkt haben, ihren Kindermissionsverein zu gründen.“

In Augustes Elternhaus am Büchel spielte neben sozialem Engagement auch der christliche Glaube eine wichtige Rolle. Auguste war tiefgläubig und kümmerte sich um Kranke und Arme. Als sie von einem Verein in Frankreich, dem „Œuvre de la Sainte-Enfance, dem Werk der heiligen Kindheit“ erfuhr, der benachteiligten Kindern in China half, wollte auch sie helfen. 1846, mit gerade 15 Jahren, gründete Auguste den deutschen „Verein der heiligen Kindheit“ in Aachen. Wie in dieser Zeit üblich, in der Mission noch unkritisch betrachtet wurde, sollte dies in Form von Spenden und im Gebet geschehen. Das Besondere: Auguste begeisterte ihre Freundinnen für diese Idee, die nicht nur Spenden sammelten, sondern wiederum bei ihren Eltern um Unterstützung warben. Der Grundsatz „Kinder helfen Kindern“, der bis heute die Arbeit des Kindermissionswerks „Die Sternsinger“ prägt, war geboren. Ihr Anliegen zog Kreise, zunächst über die Stadtgrenzen von Aachen hinaus. Dank Augustes unermüdlichem Einsatz breitete sich ihr Missionsverein in wenigen Jahren in den meisten deutschen Bistümern aus.

Um zu verstehen, wie eine 15-Jährige aus gutem Haus im 19. Jahrhundert zur Gründerin eines päpstlichen Missionswerks wird, das heute Kindern weltweit hilft, muss man ihr Umfeld anschauen, in dem Auguste von Sartorius aufgewachsen ist. Es war die Zeit der Industrialisierung. In Aachen blühte die Tuchindustrie und wuchs die Zahl der Arbeiterfamilien, die in prekären Verhältnissen lebten. Teile der Oberschicht im katholischen Aachen ließ das nicht kalt. Im Haus der Fabrikantenwitwe Katharina Fey, der Mutter Clara Feys, trafen bei Gesellschaften regelmäßig Menschen zusammen, die sich aus ihrem Glauben heraus sozial engagierten. Darunter sind die Freundinnen (und späteren Ordensgründerinnen) Clara Fey, Franziska Schervier und Pauline von Mallinckrodt, ihre Lehrerin Luise Hensel und der Arzt Heinrich Hahn, Gründer des Franziskus-Xaverius-Vereins, aus dem Missio hervorgegangen ist. Auch Augustes Eltern gehören zu diesem Kreis. Sie erlebte bereits als Kind, wie aus Glauben und christlicher Haltung Handeln wird.

Engagierte Ordensfrau

Seit 1959 sammeln die Sternsinger beim Dreikönigssingen im Sinne ihrer Gründerin Spenden. (c) Martin Steffen/Kindermissionswerk
Seit 1959 sammeln die Sternsinger beim Dreikönigssingen im Sinne ihrer Gründerin Spenden.

Neun Jahre kümmerte sie sich selbst um ihren Hilfsverein, dann legte sie ihn schweren Herzens in andere Hände. Sie hatte sich für ein geistliches Leben entschieden und trat im Kloster Bloemendal in Vaals in den Orden der Sacré-Cœur-Schwestern ein. Auguste verschrieb sich auch dieser Aufgabe mit ganzem Herzen. Schnell stieg sie in der Ordenshierarchie auf und bekleidete verschiedene höhere Ämter, unter anderem als Oberin in Bloemendal und Bois L’Evêque bei Lüttich sowie als Vikaroberin der amerikanischen Niederlassung ihres Ordens in Louisiana. Nach ihrer Rückkehr nach Europa ging sie ans Mutterhaus der Sacré-Cœur-Schwestern und wurde 1894, ein Jahr vor ihrem Tod, zur Generaloberin gewählt. Ihr Hilfswerk ist über die Jahre gewachsen.

Im Jahr 1891 nahm das Werk erstmals in nur einem Jahr mehr als eine Million Mark ein. 1959 startete die Aktion Dreikönigssingen und hat seitdem mehr als eine Milliarde Euro an Spenden für Kinder in Not eingenommen. Im Gedenken an die erste Sternsingerin hat ihre Heimatstadt 2021 einen Weg in Forst nach ihr benannt. Ins Bewusstsein rücken ihr Werk in diesen Tagen auch wieder die Kinder, die als Sternsinger singend, segnend und Spenden sammelnd durch die Straßen ziehen. In diesem Jahr sammeln sie ganz besonders für Kinderhilfsprojekte in Indonesien.

Das Buch über die "erste Sternsingerin"

(c) wbg Academic

Auguste von Sartorius schrieb Geschichte: als „erste Sternsingerin“ und Ordensschwester. Judith Rosen stellt ihr Leben und Lebenswerk vor.
 
Judith Rosen: Auguste und die Sternsinger. Ein Mädchen schreibt Geschichte, 
200 Seiten, wbg Academic, 
Darmstadt 2022, Preis: 28,00 Euro.