Die Zukunft mitbestimmen

Bei der Europawahl darf erstmals ab 16 Jahren gewählt werden. Wie junge Menschen darüber denken

Diesen Sonntag findet die Wahl zum Europaparlament statt. Erstmals dürfen in Deutschland auch junge Menschen ab 16 Jhren wählen. (c) Guillaume Perigois/unsplash.com
Diesen Sonntag findet die Wahl zum Europaparlament statt. Erstmals dürfen in Deutschland auch junge Menschen ab 16 Jhren wählen.
Datum:
5. Juni 2024
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 23/2024 | Kathrin Albrecht

Rund 350 Millionen Menschen in 27 Staaten dürfen in diesem Jahr bei der Europawahl wählen. Wenn an diesem Sonntag in Deutschland gewählt wird, sind zum ersten Mal auch junge Menschen ab 16 Jahren dabei. Was bedeutet das für sie? Wie nehmen sie Europa überhaupt wahr? Fünf von ihnen geben eine Antwort. 

V. l. n. r: Samira Rimpel, Dalia Rashid Khan und Natalia Baris besuchten im Vorfeld der Europawahl die Stadt Brüssel. (c) Kathrin Albrecht
V. l. n. r: Samira Rimpel, Dalia Rashid Khan und Natalia Baris besuchten im Vorfeld der Europawahl die Stadt Brüssel.

Mitmischen, planen, Fragen stellen und Stellung nehmen – dafür steht der Jugendrat Krefeld. Vier Wochen vor der Europawahl hat er gemeinsam mit der mobilen Jugendeinrichtung Mobifant eine Fahrt nach Brüssel veranstaltet, um den jungen Menschen, die jetzt zum ersten Mal mit 16 Jahren wählen dürfen, die europäischen Institutionen und ihre Funktionen näher zu bringen. Mitgefahren sind auch Dalia Rashid Khan (18), Natalia Baris (17) und Samira Rimpel (15). Sie treffen sich regelmäßig in der Jugendeinrichtung Café Oje in Krefeld. Natalia darf am 9. Juni auch zum ersten Mal wählen.

Was sie vor Ort in Brüssel kennengelernt haben, hat sie alle drei beeindruckt. „Ich hatte im Vorfeld schon gehofft, dass ich dort mehr Klarheit bekomme“, erzählt Natalia. Die Gruppe besuchte unter anderem das Europa-Parlament, eine Ausstellung zur Geschichte der EU, hörte Vorträge und nahm auch selbst an einem Planspiel teil, das den Teilnehmenden das Zusammenspiel der verschiedenen Gremien in der EU näherbringt. „Ich habe gelernt, was Demokratie wirklich bedeutet“, sagt Dalia, die vor dem Krieg aus Syrien fliehen musste. Auch wenn sie am Sonntag nicht wählen kann, bedeutet es ihr viel, dass sie an dieser Studienfahrt teilnehmen konnte. Sie fügt hinzu: „Menschen aus Krisen- und Kriegsgebieten fühlen sich in Europa zu Hause. Ich bin dankbar, dass ich jetzt hier in Freiheit leben kann.“

 

Vor der Fahrt, das räumen sie alle ein, war das Thema Europa nicht so präsent. Das habe sich jetzt geändert. Vor allem die Erkenntnis, dass Friede und Freiheit nicht selbstverständlich sind und man sich dafür einsetzen muss. Es hat die katastrophalen Erfahrungen zweier Weltkriege gebraucht, bis sich die europäischen Länder zusammenfanden, um in einer Gemeinschaft grundsätzliche Fragen des politischen und wirtschaftlichen Miteinanders auszuhandeln. Natalia ist sich bewusst: „So darf es nie wieder sein.“ Auch wofür die einzelnen Parteien stünden, sei ihr jetzt viel klarer, sagt Natalia. Beruflich möchte sie später im sozialen Bereich arbeiten; wie sich die unterschiedlichen Parteien dazu aufstellen, ist ihr wichtig. Ebenso wichtig ist ihr, dass die Rechte von LGBTQ+-Menschen geachtet werden. Im Freundes- oder Bekanntenkreis diskutiert sie auch schon einmal generell über Politik. „Ich mag Diskussionen, auch wenn die Leute anderer Meinung sind“, sagt die 17-Jährige.

Samira erlebt es eher andersherum: „Politik ist eher in der Schule ein Thema.“ Auch wenn sie in diesem Jahr 16 Jahre alt wird, darf sie am Sonntag noch nicht an die Wahlurne treten. Die Regelung besagt, dass man am Wahltag das 16. Lebensjahr vollendet haben muss. Doch sie engagiert sich bei der U16-Wahl. Diese ist zwar nicht bindend, aber ermöglicht es jungen Menschen, die sich politisch interessieren, ihre Meinung auszudrücken. 
Generell, meint Natalia, werden junge Menschen von den politischen Akteuren weniger ernst genommen. Doch sie findet es gut, dass sie am Sonntag wählen gehen darf, „denn ich möchte über meine Zukunft entscheiden.“ Vielen sei das so gar nicht bewusst.

Zwei, die am Sonntag ebenfalls zum ersten Mal wählen gehen dürfen, sind Victoria Ambrosius und Jakob Floeth. Sie besuchen die Q1 (11. Klasse) der Liebfrauenschule in Grefrath-Mülhausen. Das Thema Europa ist gerade im Fach Sozialwissenschaft im Vorfeld der Europawahl aktuell, doch auch sonst, erzählt Victoria Ambrosius, interessiert sie sich für Politik und verfolgt das tägliche Weltgeschehen in den Fernsehnachrichten. 
Die Information über die Sozialen Medien hält sie hingegen für eher schwierig: „Es sind zu viele Informationen und Meinungen, die ungefiltert weitergegeben werden. Ohne das richtig einordnen zu können, ist es schwierig, sich zu einem Thema gut zu informieren.“ Dass sie bei der Europawahl mitwählen darf, empfindet sie als „Chance, mit Einfluss zu nehmen. Ich freue mich auch darauf.“   

Nehmen politische Akteure die jungen Wähler wahr?  

Victoria Ambrosius darf am 9. Juni zum ersten Mal wählen. (c) privat
Victoria Ambrosius darf am 9. Juni zum ersten Mal wählen.

Blickt man auf die aktuellen Wahlwerbungen und Programme der Parteien, dominieren vor allem die Themen Klimawandel, Sicherheit und Wohlstand. Spricht das die jungen Wähler an? In Europa sicher leben zu können, ist auch Victoria Ambrosius wichtig. Auch die vier Grundfreiheiten, die die Europäische Union zusichert – vor allem die Personenverkehrsfreiheit – sind ihr wichtig.

Hat sie das Gefühl, dass die politischen Akteure junge Wählerinnen und Wähler auf dem Schirm haben? „Ich denke schon, dass die Parteien ein Interesse an den jungen Wählerinnen und Wählern haben und dass sie sich Mühe geben“, sagt die Schülerin. Doch dass jüngere Wähler explizit angesprochen werden, kann sie so nicht erkennen. Auch andersherum hat sie das Gefühl, dass viele Menschen in ihrer Altersgruppe es noch gar nicht realisiert haben, dass sie wählen gehen können. Ihr Mitschüler Jakob Floeth findet es „gut, dass man Verantwortung bekommt und die Möglichkeit, die Zukunft mitzubestimmen“.



Auch er hat ein differenziertes Bild davon, wie junge Menschen mit dem Thema Europa und der bevorstehenden Europawahl umgehen. „Es kommt darauf an, mit wem man spricht.“ Jakob informiert sich vor allem online über die entsprechenden Webseiten der Europäischen Union über die EU und die bevorstehende Wahl. Die Wahlwerbung in den Sozialen Medien nimmt auch er wahr, allerdings weniger als Informationsquelle. Ihn beschäftigt das Thema Erneuerbare Energien, „was können wir tun, damit man gut leben kann?“ Auch die friedenspolitischen Ansätze in den aktuellen Kriegsgebieten Ukraine und dem Nahen Osten sind für ihn wichtige Themen.

Rechtspopulismus und Autokraten  gefährden die innere Stabilität der EU

Fast 70 Jahre lang hat die Europäische Union, die 1957 als Europäische Wirtschaftsgemeinschaft mit sechs Mitgliedstaaten begann, die friedliche wirtschaftliche und politische Zuammenarbeit auf dem europäischen Kontinent garantiert. Doch autokratische Regierungen in einigen EU-Mitgliedstaaten, der erstarkende Rechtspopulismus und politische Krisen, besonders der Ukrainekrieg und der Konflikt im Nahen Osten, von der Klimakrise ganz zu schweigen, stellen die EU vor große Herausforderungen und bedrohen die innere Stabilität des Staatenverbundes. Umso wichtiger ist es, dass sich so viele Menschen wie möglich an der Wahl beteiligen, um so auszudrücken, was sie sich für die Zukunft Europas wünschen.

Victoria Ambrosius empfindet es als „unglaubliches Privileg, in diesem Europa zu leben“. Doch man müsse auch etwas dafür tun, dass das so bleibe. So sieht das auch Jakob Floeth. 
Wie sich die Wahlberechtigten entscheiden, wie viele tatsächlich von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, werden die ersten Hochrechnungen zeigen, wenn die Wahllokale am Abend schließen.