Die Wunden der Gesellschaft

Das Sozialbündnis Krefeld verdeutlicht in seiner neuen Broschüre, wie viele Handlungsfelder noch offen sind

Lothar Wilhelms (v.l.), Jari Banas, Elisabeth Kreul und Ulrich Knur stellten den gewichtigen Lesestoff des Sozialbündnisses Krefeld vor. (c) Dorothée Schenk
Lothar Wilhelms (v.l.), Jari Banas, Elisabeth Kreul und Ulrich Knur stellten den gewichtigen Lesestoff des Sozialbündnisses Krefeld vor.
Datum:
30. Juni 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 27/2020 | Dorothée Schenk

Das große Ganze nicht aus dem Blick zu verlieren, dafür braucht es Übersicht. Diese hat zum Thema „Soziale Gerechtigkeit“ das Sozialbündnis Krefeld in einer 96 Seiten starken Broschüre geschaffen. Sie weitet den Blick über die Stadtgrenzen hinaus. 17 Themen und damit Felder mit dringendem Handlungsbedarf greifen Autoren mit hoher Fachkompetenz auf. 

Sich zum Anwalt und Wortführer im besten Sinne für Menschen zu machen, die benachteiligt sind, unter Ungerechtigkeit zu leiden haben und an den Rand der Gesellschaft gestellt werden, ist tief in der christlichen Kultur verankert. Wenig verwunderlich, dass sieben der 20 Partner des Sozialbündnisses kirchlich verortet sind.
Das Vorwort hat Michael Schäfers, Leiter der Referate der KAB Deutschlands und Referent für Politik und Strategie beim Bundesvorstand der KAB in der Bundeszentrale in Köln, übernommen. Er zitiert die Enzyklika „Laudato si“, in der Papst Franziskus die „Wegwerfkultur“ der Gesellschaft und eine Wirtschaft, die töte, kritisiert. Außerdem spannt er den Bogen zum Kirchenlehrer Augustinus: „Fehlt einem Staate die Gerechtigkeit, was ist er denn anderes als eine große Räuberbande!“ Sehr deutliche Worte, die ein Beleg dafür sind, dass Kirche schon immer auch politisch war.

Die Broschüre ist eine Klageschrift und ein Grundsatzpapier. Das kleine Heft im 
Taschenbuchformat legt den Finger in die Wunden der Gesellschaft. Die Erkenntnisse zum Thema Arbeit, Arbeitslosigkeit, Teilhabe an der Gesellschaft durch Kultur und 
Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln, die Lebensumstände von Wohnen, über Nahrungsmittel und Energieversorgung finden Betrachtung, ebenso aber auch die 
Finanzwirtschaft, Klima, Umwelt und Gerechtigkeit. Erschreckenderweise sind weder die Themen noch die Erkenntnisse – abseits der aktuell ergänzten Zahlen und Fakten – neu. Seit 2017 ist die Broschüre gedanklich in Vorbereitung gewesen. Die aktuelle Situation der Pandemie habe der Thematik aber noch einmal „Rückenwind“ gegeben, sagt Ulrich Knur vom Sozialbündnis: „Wir wissen jetzt noch viel deutlicher, wo die Lücken sind.“ Außerdem: „Corona hat gezeigt, was geändert werden kann, wenn man es will.“ Gemeint sind hier die vielen millionenschweren „Rettungspakete“, die geschnürt worden sind. Es habe sich gezeigt, wie viel Geld in der Welt ist. Mit einem Blick zurück erinnerten die Sozialbündnis-Vertreter außerdem an Kanzler Adenauers Zeiten, als der Spitzensteuersatz bei 95 Prozent gelegen habe. 

 

Renommierte Autoren geben Gewicht

Einiges Gewicht erhält die Schrift durch klingende Namen. Armutsforscher Christoph Butterwegge schreibt zum Generalthema „Armut“, Michael Grosse, der als Generalintendant des Theaters Krefeld-Mönchengladbach die kulturelle Teilhabe als Wert erläutert, oder Claudia Kemfert, Professorin für Umweltökonomie, mit dem Schwerpunkt „Klima“ und seine Auswirkungen auf soziale Gerechtigkeit. Sie gehören zu den 
17 Autoren der Broschüre, die sich honorarfrei und spontan in den Dienst der „Sozialen Gerechtigkeit“ gestellt haben. Das hebt die Bedeutung einmal mehr hervor und erfüllt die Initiatoren zu Recht mit einigem Stolz.

Die Auswahl der Schreiber zeigt auch, dass es sich bei der Themenauswahl keineswegs um ein „lokales Phänomen“ handelt. Das beachtet auch Werner Fleuren als langjähriger Referent für Arbeiter- und Betriebspastoral in der Region Krefeld, der bei seinen Betrachtungen zur „Arbeitslosigkeit“ über seine Aktionsgrenzen hinausblickt. Die Aufgabe, sich von der bundesweiten und sogar globalen Ebene auf die lokale zu konzentrieren, übernehmen Lothar Wilhelms und Ulrich Knur vom Bündnis. Sie lenken in ergänzenden Beiträgen den Blick der Leser auf den „Lupenraum Krefeld“. Eine aufwendige Detailarbeit, wie die Autoren zur Kenntnis geben, denn „die Fakten müssen stimmen“. Pars pro Toto ist das Grundgerüst der Broschüre: Krefeld als „Mikrokosmos“ zu betrachten hat gute Gründe: Die Stadt ist, bezogen auf das Land NRW, überdurchschnittlich von Armut betroffen. 15 Prozent leben von Unterstützung der öffentlichen Hand, jedes vierte Kind in Krefeld wächst in der Mindestsicherung auf, die Arbeitslosenquote lag im Januar bei 10,2 Prozent – wie es nach der Corona-Krise aussehen wird, lässt sich noch nicht messen. 


Krefeld als beispielhafter Lupenraum

Die sehr ernsten Themen visualisiert der Zeichner und Karikaturist Jari mit seiner bildlich umgesetzten Sozialkritik eingängig. 23 Mal gelingt es dem Finnen, mit spitzem Bleistift und Koloration die Botschaft auf einen Blick erfassbar und deutlich zu machen – natürlich auch plakativer. Aber das ist das Ziel der „Jarikaturen“.

Für die Verständlichkeit sorgen darüber hinaus ein „Seidenweber“, der Sprechblasen mit Kurzüberschriften schultert, und markige Zitate. Politik-Prominenz wie Norbert Blüm und Heiner Geisler, der sozialpädagogische Vordenker Johann Heinrich Pestalozzi werden mit positiven Gedanken genannt wie auch Papst Franziskus mit seinen kritischen Anmerkungen wie: „Flüchtlinge sind keine Figuren auf dem Schachbrett.“

Nicht zufällig gewählt ist der Zeitpunkt für die Veröffentlichung: Rechtzeitig vor den Wahlen könnten sich Menschen durch diese Broschüre informieren, ein Bild machen und auch vergleichen. Ulrich Knur hofft, dass die Themen nicht nur registriert, sondern auch diskutiert werden. Lothar Wilhelms ergänzt die Hoffnung mit dem Wunsch, dass die Politik, die angesichts der Themen „oft hilflos ist“, Forderungen in Richtung Bundespolitik stellen werde.

Wer persönlich in Austausch kommen möchte, der hat am Samstag, 22. August, ab 10 Uhr im Südbahnhof Gelegenheit dazu. Das Sozialbündnis Krefeld und „Gerechte Gesellschaft NRW“ laden dann zum Thema „Soziale Gerechtigkeit nicht nur für Krefeld“ ein. Nähere Informationen unter E-Mail: kontakt@sozialbuendnis-krefeld.de oder über die Website https://werkhaus-krefeld.de.

Bei den Bündnispartnern ist die Broschüre, die in einer Auflage von 500 Stück gedruckt worden ist, in Papierform zu bekommen. Finanziert worden ist sie durch die anteiligen Zuschüsse der Partner. Trotzdem ist eine kleine Finanzierungslücke geblieben. Grundsätzlich wird die Schrift kostenfrei ausgegeben – gerne aber auch gegen eine kleine Spende.

Darüber hinaus steht die Broschüre als Download auf der Internetseite unter www.sozialbuendnis-krefeld.de zur Verfügung.

 

Info

Alle Zeichungen in der 96-seitigen Broschüre „Soziale Gerechtigkeit für Krefeld“ stammen aus der Feder von Jari, der sich durch seine politischen, sozial- und öko-kritischen Comics und Karikaturen einen Namen gemacht hat. Er selbst bezeichnet sich als „Zeichner der Stichwörter“. Bekannt sind seine Polit-Comics „Das Kapital“ und „Die 68er“. 
Die Originalzeichnungen aus der Broschüre sind beim Künstler für 50 Euro pro Blatt zu erwerben.  
Aktuell stellt Jari einen 14-teiligen „Kreuzweg“ zum Thema Wasser im Südbahnhof aus.
Kontakt: Jari Banas, Martinstraße 185, 47805 Krefeld