Die Welt anders schätzen

Über direkte Erfahrungen neue Zugänge zur Natur finden. Im Nationalpark. Oder mit Geocaching

Jungen Menschen fehle der Zugang zur Natur, beschreibt Nationalpark Seelsorger Georg Toporowsky. (c) Simon Hesselmann
Jungen Menschen fehle der Zugang zur Natur, beschreibt Nationalpark Seelsorger Georg Toporowsky.
Datum:
10. März 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 11/2020 | Ann-Katrin Roscheck

Dann sprach Gott: Die Erde lasse junges Grün sprießen, Gewächs, das Samen bildet, Fruchtbäume, die nach ihrer Art Früchte tragen mit Samen darin auf der Erde […] Dann sprach Gott: Die Erde bringe Lebewesen aller Art hervor, von Vieh, von Kriechtieren und Wildtieren der Erde nach ihrer Art […] Und Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Und siehe, es war sehr gut. 

Nicht nur in der Schöpfungsgeschichte  im Buch Genesis kommen der Natur und den Tieren in der Bibel eine große Bedeutung zu, auch in anderen Erzählungen sind es sie, die eine besondere Wertschätzung erfahren. Sie sind die Lebensgrundlage der Hirten und Bauern, sie haben einen Anteil an der Rettung Noachs, und wenn Jesus darüber spricht, wie der Mensch sich verhalten soll, dann sagt er „… seid daher klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben“ (Mt 10,16b).  „Ob Mensch, ob Tier oder ob Baum und Strauch: Wir alle atmen die gleiche Luft“, sagt Georg Toporowsky als Pastoralreferent der Nationalparkseelsorge im Nationalpark Eifel. „Wir spüren Gottes Spuren in der Schöpfung, aber diese Verbindung erkennen viele nicht mehr.“ 

Umwelt- und Klimaschutz sind in den letzten Jahren ein immer größeres Thema in der Kirche geworden. Spätestens seit Papst Franziskus 2015 in seiner Verlautbarung Laudato si „über die Sorge für das gemeinsame Haus“ spricht, kommt auch die Kirche an der aktiven Bewahrung der Schöpfung nicht vorbei.  Gehören zum Team des Bistum Aachens inzwischen zwei Energiemanager und beschäftigen sich viele Gemeinden in unterschiedlichen Nachhaltigkeitskonzepten mit der Haltungsfrage, sind es aber immer noch einzelne, die sich überdurchschnittlich in dem Bereich engagieren. 

 

Die ganze Zeit draußen zu sein: das verändert

In einer Kooperation zwischen dem Institut für Theologische Zoologie im Bistum Münster und der Nationalparkseelsorge des Bistums Aachens ist bereits vor zwei Jahren mit der „Interreligiösen Umweltbildung im Nationalpark Eifel – Schöpfung erfahren“ ein Projekt entstanden, das bundesweit seinesgleichen sucht. „Klimaschutz und Umweltbewusstsein sind so wichtig wie nie zuvor“, beschreibt Institutsleiter Rainer Hagencord. „Wir gehen mit der Welt um, als hätten wir einen anderen Planeten schon aufgesetzt. Mir wird schwindelig, wenn ich an das Mantra des Wachstums denke.“  Gemeinsam mit Georg Toporowsky versucht Rainer Hagencord als Priester und Biologe, über die positive Umwelterfahrung ein gesellschaftliches Umdenken zu initiieren. „Beschäftigen wir uns mit Lebensräumen von Tieren und Pflanzen, dann stellen wir uns vielleicht auch die Frage, wie unser Leben aussähe, wenn es das alles nicht mehr gäbe“, erklärt er.  

Programme wie „Noah“, „Waldapotheke“ oder „Offroad“ vermitteln den meist jungen Besuchern im Nationalpark Eifel einen neuen Zugang zur Natur. Für mehrere Tage bleibt das Smartphone aus und der Komfort zu Hause, denn unter der Anleitung des Pastoralreferenten verbringt die Gruppe gleich mehrere Tage unter freiem Himmel. „Den ganzen Tag und die Nacht draußen zu sein, verändert die jungen Menschen“, erklärt der 48-Jährige. „Sie kommen oft gestresst und gehen in einem neuen Bewusstsein.“  Die Naturerlebnisprogramme werden individuell von Toporowsky zusammengestellt, feste Rituale ziehen sich dabei durch. Wenn eine Gruppe ankommt, so wird sie zum Beispiel mit einer Tasse Kräutertee begrüßt. Das hohe Tempo des Alltags herauszunehmen, den Naturrhythmus zu spüren und sich bewusst zu machen, dass man nun in einem anderen Schaffensraum angekommen ist, sei wichtig, erklärt Toporowsky: „Wahrnehmungsübungen und Impulse helfen uns, eine universelle Verbundenheit zur Natur aufzubauen.“ 

Anschließend bauen die Teilnehmer  ihr eigenes Lager: Sie sammeln Feuerholz, richten eine Kochstelle ein, treffen Vorkehrungen, falls schlechtes Wetter über den Lagerplatz zieht, und lernen das Gelände kennen. Die nächsten Tage werden frei gestaltet: Je nach Interessen der Teilnehmer bietet Toporowsky zum Beispiel an, eigene Heilsalben herzustellen. Immer wieder verknüpft der Pastoralreferent die Einheiten mit biblischen Erzählungen und der eigenen Lebenswirklichkeit: „Was ist für mein Leben heilsam? Gibt es einen Ort, der auf mich heilsam wirkt? Und wie kann ich für die Natur heilsam wirken?“  Die Tage im Wald, die gemeinsame Zubereitung des Essens oder auch die Nutzung von notwendigen Dingen wie Seife, Zahnpasta oder Kleidung lassen dabei auch immer wieder fragen, wie ein nachhaltiges Leben möglich gemacht werden kann. So rückt der 48-Jährige das eigene Konsumverhalten immer wieder in den Fokus. „Hier geht es nie um Vorwürfe“, erklärt er. „Aber was ich schätze, das schütze ich. Das möchten wir vermitteln.“

Die Studenten verändern sich dabei in den drei bis fünf Projekttagen sichtlich. Die Einflüsse, die sie aus dem Nationalpark mitnehmen, das Naturerlebnis, das vielen vorher vollkommen fremd war, und auch die Kraft von Pflanzen und Tieren wirken auf sie. Im Idealfall, so hoffen Toporowsky und Hagencord, verändern sie anschließend Stellschrauben im eigenen Leben. „Ich wünsche mir, dass die Teilnehmer ihre Haltung überdenken, zum Beispiel zum Thema Mobilität und Fleischkonsum“, schildert der Biologe. „Dass sie sich die Frage stellen, wie sie selbst ihrer Verantwortung als Teil der Schöpfung mehr gerecht werden können.“

 

Nachhaltiges Umdenken in der Kirche: dringend gesucht

Als Institutsleiter und Theologe appelliert Hagencord außerdem an die Kirche: Sie solle, so wünscht er es sich, sich nicht nur positionieren, sondern stärker für Umwelt- und Klimathemen einstehen. Schon mit kleinen Gesten könne die Kirche Großes erreichen, sagt er: „Der Kirche gehört immer noch viel Land. Warum prüfen wir nicht die Landwirte auf ökologischen Anbau, bevor wir ihnen die Ländereien verpachten? Warum bieten wir nicht in kirchlich getragenen Mensen Essen aus nachhaltiger Produktion an? Als Kirche haben wir Macht, diese müssen wir im positiven Sinne nutzen.“ 

Dass das besondere spirituelle Naturerlebnis im Nationalpark umgesetzt werden konnte, verdanken die Initiatoren auch der Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Inzwischen ist der Zulauf so groß, dass Gruppen Wartezeiten von mehreren Monaten in Kauf nehmen müssen. Es fehle an Manpower, sagt Hagencord: „So können wir nur in den Gemeinden anfangen, vorhandene Ökosysteme in den Blick zu nehmen, unsere Einkaufskultur zu verändern und uns an Bildungsprojekten zu beteiligen. Von Kirche als Institution verlange ich mehr.“ 

An der kirchlichen Basis findet dabei vor allem die Naturerlebnisarbeit in den Verbänden der jungen Christen Raum: Allein 85 Stämme und Siedlungen mit mehr als 7000 Mitgliedern zählt beispielweise der Diözesanverband Aachen mit der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg. Auch die Christliche Arbeiterjugend im Bistum Aachen bietet Seminare zum Thema Nachhaltigkeit an. Und die Katholische Landjugendbewegung Diözesanverband Aachen hat für dieses Jahr das Thema „Aktion saubere Landluft – wir entdecken neue Energien“ als Jahresschwerpunkt mit in das eigene Programm aufgenommen.  „Uns geht es darum, dass die Jugendlichen wieder die Natur für sich entdecken und die Schöpfung zu schätzen lernen“, sagt auch Toporowsky. „Die Art und Weise kann vielfältig sein, wichtig ist, dass etwas passiert. Ob in der Einzel- oder der Gruppenerfahrung.“

 

Mit neuen Medien zurück in die Natur:  die Kraft des Geocachings

Mit einer anderen, unkonventionellen Art hat auch die Krefelderin Jessica Milczus das Erleben der Schöpfung wieder für sich entdeckt. Die 42-Jährige ist eine von unzähligen Menschen auf der Welt, die über das „Geocachen“ ein anderes Naturbewusstsein entwickeln, und zeigt damit, dass auch Einzelerlebnisse den Umgang mit der Natur verändern können. Mit Hilfe einer App auf dem Smartphone begeben sich die Schatzsucher auf eine GPS-Schnitzeljagd. An über drei Millionen Verstecken in aller Herren Länder suchen sie nach sogenannten „Logbooks“, um für die Ewigkeit ihre Spuren zu hinterlassen. Auch Kirchen, spirituelle Räume und geschichtsträchtige Orte sind Ziel der Schnitzeljäger.

„Geocaching hat für mich den Zugang zur Natur völlig verändert“, beschreibt die Restaurantleiterin. „Ich fühle mich wie in Kindertagen, streife durch Gebüsche, klettere auf Bäume und nehme meine Umwelt völlig anders wahr. Es ist, als gäbe es auf einmal eine vierte Dimension.“  Und wer sich Milczus einmal bei der Schatzsuche anschließt, versteht schnell, worüber die sympathische Frau spricht, denn sie öffnet eine Parallelwelt. Die  Caches liegen oft nah an Wegstrecken, aber doch meist so abseits, dass sie der Natur ein anderes Gewand verleihen. Der Kompass leitet dabei fast metergenau zum ausgewählten Versteck: Caches befinden sich vergraben unter Steinen und Laub, versteckt hinter den Befestigungen von Straßenschildern, in feuchten Baumhöhlen, extra aufgesetzten Vogelhäuschen oder hinter lockeren Steinen an Gebäuden.

„Es gibt ganz klare Regeln, wie  Caches versteckt werden dürfen. Dazu zählt, dass wir nicht negativ in die Umwelt eingreifen“, berichtet Milczus. „Verantwortung für die Natur und Achtsamkeit im Umgang mit der Umwelt sind wesentliche Bestandteile des Cachings.“  Ob gemeinsam mit Freunden oder allein auf Wochenendspaziergängen: Die junge Frau entdeckt dabei Geschichten, die ihr sonst verborgen geblieben wären. Dabei hat sie die Schöpfung besser verstehen gelernt. Denn nicht nur die Gezeiten sind ihr auf einmal durch ihre ausgiebigen Touren bekannt, sondern auch auf Bäume, Sträucher und Lebenswelten von Tieren hat sie einen neuen Blick bekommen. „Besonders im Herbst oder Frühjahr sind die Caches oft voll von Krabbeltierchen“, sagt Milczus und lacht. „Aber gerade das mag ich. Ich habe die Welt anders schätzen gelernt.“ 

Geocaching: Dem Kirchturm ganz nah – Blick auf St. Matthias

Blick auf St. Matthias (c) Ann-Katrin Roscheck
Blick auf St. Matthias

Geocaching zeichnet aus, dass der Suchende an Orte kommt, die er sonst nicht erreicht hätte, ist sich Jessica Milczus sicher. Einer dieser Orte ist die Kirche St. Matthias  Hohenbudberg in Krefeld direkt neben dem Rhein. Über die Geocaching-App erfährt die junge Frau: „Aus der Geschichte der Kirche geht hervor, dass sie zum ersten Mal im Jahr 1150 in Form einer dreischiffigen Basilika mit einem dreigeschossigen Turm aus Tuff erwähnt wurde. Damals gehörte sie zum Kloster Werden.“ Am Fuß der Kirche liegt kaum sichtbar unter Laub und Steinen der Cache in Form einer Plastikdose. Milczus trägt sich in das beiliegende Logbuch ein. Immer liegt dieses im Versteck bereit, es ist die Versicherung, dass der Cacher auch wirklich hier war, und zeigt die Beweise unzähliger Schatzsucher, die alle St. Matthias auf eine ganz neue Art und Weise wahrgenommen haben.

Wege, die Natur neu schätzen zu lernen

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