Die Wege des Herrn

Architekturstudium, Schauspielausbildung, Theologiestudium: Max Heller ist ein Suchender. Aus dem katholischen unterfränkischen Messdiener wurde ein evangelischer Pfarrer, der in der Eifel seine erste Stelle antrat und sich für Ökumene stark macht

Max Heller wurde im Frühjahr ordiniert. Der 40-Jährige war zunächst bis Ende Juni als evangelischer Pfarrer in der Eifel eingesetzt, wo er  bereits sein Vikariat absolviert hatte. Seit Juli ist er in  Aachen-Brand tätig. (c) Uwe Loeper
Max Heller wurde im Frühjahr ordiniert. Der 40-Jährige war zunächst bis Ende Juni als evangelischer Pfarrer in der Eifel eingesetzt, wo er bereits sein Vikariat absolviert hatte. Seit Juli ist er in Aachen-Brand tätig.
Datum:
24. Sept. 2024
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 39/2024 | Stephan Johnen

Max Heller ist angekommen. Sein Weg nach Aachen-Brand startete in Unterfranken, hatte viele Gabelungen. Langweilig wurde die Suche nach der Berufung nie. Der katholische Messdiener, der nach seinem Zivildienst konvertierte, eine Schauspielausbildung in Köln absolvierte, anschließend Theologie studierte, um nun evangelischer Pfarrer zu sein, nahm nicht unbedingt den direkten Weg. Im Gespräch mit der KirchenZeitung ist er dennoch überzeugt, das Ziel erreicht und keinen Umweg gemacht zu haben. „Rückblickend kann ich auch mit Blick auf manchen Zufall sagen: Es hat sich vieles gefügt“, sagt der 40-Jährige augenzwinkernd. Sein Wunsch ist es, auf die Menschen zuzugehen und die Ökumene voranzubringen. „Wenn wir bei der Ökumene an Grenzen stoßen, dann sind das eigentlich immer menschliche Grenzen und keine göttlichen“, sagt er.

Erstkommunion, Einsatz bei den Ministranten, Gruppenleitung, Firmung – wie kam es dazu, mitten im Spiel der christlichen Liga den Verein zu wechseln?

Heller: Ich bin im katholischen Unterfranken aufgewachsen. Für mich war es immer selbstverständlich, dass ich mich in der Kirchengemeinde engagiere. Evangelisch bin ich über den Zivildienst geworden. Ich wollte nicht dort arbeiten, wo ich lebe, und habe mir eine Liste mit landesweiten Zivildienststellen schicken lassen. Meine Bewerbung beim Tagungshaus der Evangelischen Landeskirche in Stuttgart war erfolgreich, und ich hatte dort Einblick in das ganze Haus, in alle Arbeitsfelder. Eigentlich habe ich dort während dieser Monate überhaupt erst die evangelische Seite des Christentums kennengelernt. 

 

Was war ausschlaggebend?

Heller: Mich haben bereits vor dem Zivildienst viele Fragen beschäftigt, die mit dem unmittelbaren Erleben des Glaubens ebenso zu tun hatten wie mit dem Amtsverständnis und der Struktur der katholischen Kirche. Viele dieser Fragezeichen haben im Zivildienst eine Richtung bekommen. Es reifte der Entschluss zu konvertieren. 

 

Wie wurde diese Entscheidung im persönlichen Umfeld aufgenommen?

Heller: Für mich war das keine Trennung im Streit, und die Entscheidung war auch nicht mit Seelenschmerz verbunden. Auch meine Familie hat die Entscheidung akzeptiert. Es trennt uns ja nichts Grundsätzliches. Wir ziehen gemeinsam an einem Strang – und der Chef/die Chefin ist der/die gleiche. Es ist Gott, der uns alle als Kirche begleitet. Ich habe beispielsweise mit gleicher Begeisterung in der Jugendarbeit weitergemacht. Die spätere Entscheidung, evangelischer Seelsorger zu werden, hat viel mit dem Verständnis der Pfarrer in der evangelischen Kirche zu tun. Sie sind bei uns ein ganzes Stück näher an der Basis orientiert, die Kirche gibt dem Pfarrer nicht so eine große Rolle. Wir leben das Priestertum aller Gläubigen. Folglich gibt es auch keine Priesterweihe, sondern eine Beauftragung, die vom Superintendenten und einer „Nicht-Pfarrperson“ vorgenommen wird. Bei mir war es eine 16-Jährige, die sich in der Konfirmandenarbeit engagiert und die Feier mit geleitet hat. Ich finde den Gedanken schön, dass die Beauftragung aus der Mitte der Gemeinde kommt. 

 

>> Kirche hat sich schon immer verändert, egal, ob katholisch oder evangelisch. <<

Max Heller

„Vielleicht bin ich ja immer noch nicht am Ziel, aber ich bin angekommen in mir.“ Max Heller ist sicher, dass der Weg seiner Suche kein Umweg war. (c) Stephan Johnen
„Vielleicht bin ich ja immer noch nicht am Ziel, aber ich bin angekommen in mir.“ Max Heller ist sicher, dass der Weg seiner Suche kein Umweg war.

Ein Punkt in Ihrer Biografie sticht besonders heraus: Sie haben vor dem Theologiestudium in Köln eine Ausbildung zum Schauspieler absolviert. Was ist passiert?

Heller: Nach dem Abitur habe ich ein Architekturstudium begonnen. Es war total interessant, besonders die Verbindung von Raum und Geist. Aber es gab Zweifel, ob dies der richtige Weg ist. Als ich das Vordiplom in der Tasche hatte, habe ich 
in einer Theatergruppe gespielt und die Schauspielausbildung begonnen. Dabei habe ich so viel Handwerkszeug für den Beruf mitbekommen, das in der Pfarrerausbildung nur am Rande eine Rolle spielt.

 

Wie oft sind Pfarrer denn Schauspieler!?

Heller: Im Idealfall gar nicht! Als Schauspieler schlüpfe ich in eine Rolle, als Seelsorger aber bin ich ich, auch wenn die äußeren Umstände, das „Vor-Menschen-Stehen“, schon ähnlich sind. Diese Berufung hat ganz viel mit Echt-Sein zu tun, sonst klappt das nicht. Aber während der Schauspielausbildung lernt man, ganz tief in sich selbst hineinzugehen, herauszufinden, wo man im Leben steht, wie man selbst tickt, was gewisse Dinge mit einem selbst machen. Das waren wertvolle Erfahrungen.

 

Ihr beruflicher Werdegang verlief nicht gerade linear…

Heller: Ich habe mich noch nie so angekommen gefühlt wie heute. Aber es mag stimmen: Wenn ich nicht wusste, wohin mich der Weg führt, hat sich mein Leben etwas zusammengebastelt. Ich bin ich – und da kann ich nicht anders. Der Weg meiner Suche war kein Umweg. Vielleicht bin ich ja immer noch nicht am Ziel, aber ich bin angekommen in mir. Dort, wo alles von mir hinwollte. 

 

Was macht für Sie den Kern Ihrer Arbeit aus?

Heller: Die seelsorgerliche Begleitung der Menschen. Beim sogenannten Verkündigungs- und Predigtdienst spüre ich, wofür ich das mache. Die Gespräche und Besuche, das Trostspenden, gemeinsam den Gottesdienst feiern, Jugendarbeit gestalten – all das hat Sternstundenpotenzial. Aber es ist alles auch keine exklusive Sache der Pfarrerinnen und Pfarrer. 

 

Warum haben Sie einen Weg eingeschlagen, der mit vielen Herausforderungen verbunden ist? Es hätte womöglich einfachere Berufe mit „Sternstundenpotenzial“ gegeben?

Heller: Ich bin mir der Tatsache bewusst, dass die Arbeitsbelastung steigt, dass es immer weniger Seelsorger gibt, dass Kirche im Allgemeinen einen Umbruch erlebt. Wir lernen im Vikariat, dass wir die riesige Aufgabe haben, keinen Menschen verloren zu geben, aber auch selbst schauen müssen, wo unsere Grenzen sind, wo wir Rückzugsmöglichkeiten haben, wann wir Nein sagen müssen, auch wenn es sehr weh tut. Ich werde ganz sicher nicht der letzte Pfarrer sein, der dann später das Licht ausmacht. Aber wir können nicht so weitermachen, wie es immer war. Es geht nicht, dass wir uns darauf ausruhen, was die vergangenen 50 Jahre war. Für die kommenden 50 Jahre brauchen wir neue, tragfähige Konzepte, Reformen und Veränderung. 


Wie groß ist die Bereitschaft für Veränderung in Kirche?

Heller: Kirche hat sich schon immer verändert, egal ob katholisch oder evangelisch. Und wir werden uns weiter verändern müssen. Beide Kirchen haben Strukturen, große Traditionen, Verwaltungen und Vorschriften, die auch schon einmal hemmen. Ich glaube nicht, dass es Kirche nicht mehr geben wird. Die Suchbewegung ist bei so vielen Leuten da. Aber Kirche wird mehr rausgehen müssen, um weiter in der Beziehung zu den Menschen zu bleiben. Wenn wir uns als Kirche mit auf den Weg stellen und gucken, was dort passiert, müssen wir uns keine Sorgen machen, ob es weitergeht. Wir sind dabei ja auch nie allein, Gott läuft mit uns auf dem Weg.

 

Welchen Stellenwert hat Ökumene für Sie?

Heller: Ökumene hat für mich viel mit Zusammenleben und mit unserer gemeinsamen Heimat bei und in Gott zu tun. Und da kommt es eben drauf an, wie wir uns als Mitbewohner Gottes, oder ganz simpel: als Menschen, begegnen. Meine Erfahrung ist: Da, wo wir uns in die Augen schauen, uns die Hand reichen, uns nicht immer nur unsere Unterschiede um die Ohren knallen, über unsere Macken und Probleme auch mal lachen können und uns dabei gewiss sind, dass wir tatsächlich alle bei und in Gott daheim sind, da funktioniert das. Ich möchte eigentlich nicht das Fass mit der Aufschrift „Abendmahl/Eucharistie“ aufmachen, aber das gehört nun auch einmal zu der Diskussion dazu. Der für mich zentrale Punkt dabei ist, dass es Jesus Christus selbst ist, der uns an seinen Tisch einlädt. Und diese Einladung steht, seit er in die Welt gekommen ist – und sie gilt grenzenlos. Deshalb glaube ich fest, dass die Entscheidung, wem diese Einladung gilt, nicht in unseren Händen liegt. Dazu gehört für mich auch, dass wir uns beim Abendmahl gegenseitig den Frieden wünschen, mit dem schon Jesus so viele Grenzen und Gegensätze überwunden hat. 

 

Wo sehen Sie Chancen, wo Grenzen?

Heller: Chancen sehe ich vor allem da, wo wir wirklich gemeinsam Kirche sein können, gemeinsam für den gleichen Chef/ die gleiche Chefin arbeiten und Gottes Liebe miteinander leben, ohne uns selbst dabei aufgeben zu müssen. Das funktioniert doch an so vielen Stellen schon so gut. Und weiter gedacht, kann das Miteinanderleben ja beispielsweise auch heißen, dass wir wortwörtlich unter einem Dach leben, uns Räume teilen, für Gottesdienstfeiern und für andere Veranstaltungen. Unsere beiden Kirchen sind da doch grade sowieso mitten in einem großen Prozess. Wenn wir bei der Ökumene an Grenzen stoßen, dann sind das eigentlich immer menschliche Grenzen und keine göttlichen. Oft geht’s da um Tradition oder Verwaltung. Und meistens ist da viel Angst im Spiel. Angst, die wir gern selbst in uns behalten, sie immer wieder miteinander teilen. Das ist das Menschliche daran. Aber ich glaube, richtig gut werden kann es erst dann, wenn wir unsere Angst nicht immer nur mit uns, sondern mit Gott teilen. Er kann da was mit anfangen – und ich bin mir sicher, dass ihn die Angst nicht so sehr lähmt wie uns.

 

Sind Sie aufgrund ihrer Biografie besonders empfänglich für das Thema Ökumene?

Heller: Auf meinem Weg aus dem Bistum Würzburg über die Benediktiner in Münsterschwarzach, die württembergische Landeskirche, die Mischung aus beiden Konfessionen hier vor Ort – und in meiner Ehe – hab ich einfach vieles schon selbst spüren und erleben können. Dazu kommen wunderbare Begegnungen mit unseren anglikanischen Geschwistern. Zusammen mit meiner Neugierde macht das den Blick und das Herz weit und hilft beim Verstehen – rational und theologisch –, aber vor allem bei einer Verbindung, die nicht mit dem Verstand zu fassen ist – über Rituale und Spiritualität und die so verschiedenen Wirkungen von Gottes Liebe.