Weil unter Tage alle Menschen gleich und in Gottes Hand sind, setzte sich im Knappenverein auch früh ein ökumenisches Bewusstsein durch.
Wie sich die Jungen in Thailand gefühlt haben müssen, als sie in der Höhle festsaßen und auf Rettung hofften, kann Franz-Josef Bücken gut nachvollziehen. Als ehemaliger Bergmann kennt er das Gefühl, hinunter in die Dunkelheit zu fahren und durch enge Schächte zu müssen. Er hat das Bangen und die Erleichterung durchlebt, wenn Kumpel bei einem Unglück gerettet wurden. Er kennt aber auch die Trauer, wenn bei einem Unfall auf der Zeche Kumpel starben. Das Grubenunglück am 18. August 1956, bei dem drei Bergleute und ein Fahrsteiger getötet wurden, war der Auslöser für die Gründung des Knappenvereins St. Barbara Hilfarth-Hückelhoven am 24. Februar 1957. „Der Knappenverein ist eine Solidargemeinschaft, die sich gegenseitig hilft“, erzählt Franz-Josef Bücken, Vorsitzender des Vereins. „Es ging auch darum, die Familien abzusichern, wenn einem Bergmann etwas passierte.“
Auffällig zu jener Zeit war, dass es für die Mitglieder keine konfessionelle Unterscheidung ab: sowohl Katholiken als auch Protestanten waren von Beginn an dabei. Das wirkte sich von Anfang an auch auf die Feier von Gottesdiensten aus. „Wir waren mit die ersten, die ökumenische Gottesdienste feierten“, erzählt Bücken. Unter den katholischen Geistlichen, die in den Jahren seit der Gründung die Gemeinden Hilfarth und Hückelhoven leiteten, gab es auch einige, die in der Eucharistie zwischen den Gläubigen keine Unterschiede machten. „Wenn jemand verunglückt war und wir alle am Altar standen, dann haben die Pfarrer auch an die Evangelischen die Kommunion ausgeteilt“, erinnert sich Bücken.
Gottesfürchtig waren die Bergleute der Zeche Sophia-Jacoba schon immer. 1933 haben sie mit ihrer eigenen Hände Arbeit in Hückelhoven eine Kirche gebaut, die sie ihrer Schutzpatronin gewidmet haben. Als die Kirche im September 2016 entwidmet wurde, war das auch für die Mitglieder des Knappenvereins ein schmerzliches Ereignis. Seit 1950 findet die Barbarafeier, das Gedenken an ihre Schutzpatronin, statt. Diese Tradition haben die Mitglieder des Knappenvereins auch nach der Schließung der Zeche Sophia-Jacoba vor 20 Jahren beibehalten. Wie lange es die Feier noch geben wird, weiß Franz-Josef Bücken nicht. Denn die Zukunft für den Knappenverein sieht der Vorsitzende so schwarz wie die Kittel der Knappen. „Wir sind ein Auslaufmodell“, sagt er ganz nüchtern. Nur noch 110 Mitglieder seien sie. Zwar seien sie 1982 auch nur 105 Mitglieder gewesen, von denen 99 einen Bergkittel getragen hatten. „Aber damals konnten nur Bergleute Mitglieder werden“, betont Bücken.
Jedes Mitglied musste sich einen Bergkittel, die besondere schwarze Uniform der Bergleute, zulegen. Rund 800 DM kostete das damals. Eine stolze Summe, die von der Zeche großzügig mit 75 Prozent Kostenübernahme bezuschusst wurde. Daran, dass die Tradition weiter geführt wird, glaubt Bücken nicht. „Wir sind zwar 110 Mitglieder, aber die meisten sind über 75 Jahre alt“, sagt er. Keine Zeche, keine Bergleute, kein Knappennachwuchs: So einfach ist das. Das zeigt sich auch in der Entwicklung der Orte und der Landschaft rund um den Standort der früheren Zeche. So wie heute der Tagebau das Leben in vielen Regionen des Bistums Aachen und das Erscheinungsbild der Landschaft prägt, so prägte damals der Bergbau den Alltag. Fördertürme ragten in den Himmel, die Bergleute wohnten in ihren kleinen Häusern in Siedlungen, die überall entstanden. Man arbeitete Seite an Seite, man lebte Seite an Seite.
Ende der 1950er Jahre war die Anthrazitkohle, die unter Tage abgebaut wurde, in vielen Haushalten noch ein gängiges Heizmaterial. Auch in der Industrie wurde sie europaweit gebraucht. Für den Abbau der Steinkohle, zu der auch die Anthrazitkohle gehört, suchte die Zeche Sophia-Jacoba in ganz Deutschland nach Bergleuten. Die ersten Zuwanderer kamen aus dem Saarland nach Hückelhoven und brachten die Knappentradition mit. Bei dem Grubenunglück 1956 starb der Hauer Waldemar Latz. Wie er von seinen Kameraden vom Knappenverein St. Johann Rohrbach/Saar bestattet wurde, beeindruckte die Einheimischen. Bei der Gründung des Hückelhovener Knappenvereins übernahmen die Rohrbacher Knappen die Patenschaft und überreichten als Patengeschenk die eigene Vereinssatzung, die sich in der 90-jährigen Geschichte an der Saar bewährt hatte.
Der erste Gottesdienst zu Ehren der Heiligen Barbara fand dann 1958 in Doveren statt. Zu diesem besonderen Ereignis kam auch Johannes Pohlschneider, der damalige Bischof von Aachen. „So ein Bischofsbesuch war damals eine große Sache“, sagt Franz-Josef Bücken. Als einfaches Gemeindemitglied mit dem Oberhaupt der Katholiken im Bistum Aachen an einem Tisch zu sitzen und locker zu plaudern, so wie er selbst es beim „Meet&Eat“ im Juni getan hatte, wäre Ende der 1950er Jahre undenkbar gewesen. Dass die Barbarafeier auch in Hückelhoven stattfindet, geht auf die Initiative von Pastor Josef Derichs, der von den Hückelhovenern heute noch liebevoll „Don Camillo“ genannt wird, zurück. Mit der Stillegung der Schachtanlage brachen für den Knappenverein neue Zeiten an. Die Unterstützung durch Zeche und Gewerkschaft fiel weg.
Um trotzdem weiter bestehen zu können, musste der Verein neue Wege gehen. Konnten bis dahin nur Bergleute dem Verein beitreten, öffnete er sich fortan auch für Frauen. Hermine Bücken, Ehefrau des Vorsitzenden, war eine der ersten, die sich im Verein engagierte. Die Faszination und die Leidenschaft ihres Mannes für die Traditionen und die Geschichte der Bergleute teilt sie. „Wenn wir Fahrten ins Erzgebirge oder den Harz machen, fahren wir auch immer in die Gruben rein“, erzählt sie. „Das ist Nostalgie.“ „Die schönsten Bergfeste sind im Erzgebirge“, findet auch Franz-Josef Bücken. „Da heißt es heute noch nur ,Glück auf‘. Ein ,Guten Morgen‘ oder ,Guten Abend‘ hört man da nicht.“ „Glück auf“, der Gruß der Bergleute erklingt in Hückelhoven kaum noch.