Die "Seele" ist zurück

Der neugotische Hochaltar von St. Johann B. Anrath ist restauriert

In neuer Pracht strahlt der Hochaltar in St. Johann Baptist Anrath, mit dem Patron Johannes der Täufer. (c) Kathrin Albrecht
In neuer Pracht strahlt der Hochaltar in St. Johann Baptist Anrath, mit dem Patron Johannes der Täufer.
Datum:
22. März 2023
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 12/2023 | Kathrin Albrecht

Es ist ein wahrhaft prächtiger Anblick, der sich Besuchern der Kirche St. Johann Baptist in Willich-Anrath bietet. Nach rund zwei Jahren ist der restaurierte Hochaltar aus einer Stettiner Werkstatt wieder nach Anrath zurückgekehrt. 

Der im Jahr 1898 vom Aachener Schnitzer Wilhelm Brodmüller geschaffene Hochaltar fiel, wie Ulrich Bons, Erster Vorsitzender des Kirchbauvereins St. Johann Baptist Anrath, berichet, einigen Neuerungen der nachkonziliaren Neugestaltung der Pfarrei zum Opfer, die nicht nur durch die Liturgiereform bestimmt war, nach der keine Messen nach tridentinischem Ritus mit dem Rücken zum Volk mehr gefeiert werden sollten. Auch galt die Neugotik des 19. und 20. Jahrhunderts nicht als eigenständige Kunstrichtung und daher als nicht erhaltenswert, was sich in Kirchenabrissen bis in die 1980er Jahre artikulierte. In St. Johann Baptist betraf dies vor allem die Ausstattung der Kirche. 

Während die beiden Seitenaltäre im Marien- und Josefschor, ihrer Mensen und Predellen als basisgebende Elemente beraubt, nur als Holzkästen an die Wände verbannt wurden, ereilte den Hochaltar ein weitaus zerstörerisches Schicksal. Die steinerne Altarmensa wurde zerstört, die Predella, der Übergang vom Altartisch zu den Reliefs, ins Pfarrarchiv ausgelagert, Tabernakel und das Expositorium zur Aussetzung des Allerheiligsten zerstört oder entfernt. Dazu wurden nahezu alle Basen und Bekrönungen der assistierenden Figuren entfernt, einige Skulpturen, unter anderem die Figur des heiligen Sebastian, sind Opfer von Diebstählen geworden. Somit hing lange Zeit nurmehr ein stark fragementierter Teil des Hochaltars an der Wand des Altarraums, oft zugestellt mit Kerzen und Blumenarrangements, die Ornamente von Staub und  Kerzenruß verkrustet und verschmutzt.

Restauration stellte den Kirchbauverein vor eine Herausforderung

Ulrich Bons zeigt, wie sich der Tabernakel wieder in den Hochaltar einfügt. (c) Kathrin Albrecht
Ulrich Bons zeigt, wie sich der Tabernakel wieder in den Hochaltar einfügt.

Das sollte kein Dauerzustand bleiben, so viel war dem Kirchbauverein klar. „Erst einmal weist der Hochaltar auf das Patrozinium von Johannes dem Täufer hin“, erläutert Ulrich Bons und fügt hinzu: „Kirchen sind mehr als nur der Versammlungsort einer Gemeinde. Sie sind eine Art Ruhepol in unserem alltäglichen Trubel. Sie sind nicht zuletzt Orientierungspunkte. Hier am Niederrhein sind sie das erste, was man sieht. Auch der Kirchenraum braucht einen solchen Orientierungspunkt.“

Ulrich Bons war es außerdem wichtig, die Restaurierung jetzt anzugehen: „Auch wir haben mit schwindender Mitgliederzahl zu kämpfen. Wer wird das in zehn Jahren in die Hand nehmen?“ Doch die massiven Veränderungen stellten den Verein vor eine Herausforderung: Wie sollte der Hochaltar wieder hergestellt werden? „Zumal es kaum verwertbares Bildmaterial des Urzustandes gab. Wir haben uns auch mit dem Bistum beraten, doch diese alten Techniken beherrscht niemand mehr“, erzählt Ulrich Bons. Durch einen Zufall fand man im saarländischen St. Wendel einen Altar desselben Künstlers aus dem gleichen Zeitraum, der wichtige Hinweise für die Rekonstruktion gab. 

Wertvolle Hilfe lieferte auch Christoph Christ-Cirotzki, ehemaliger Küster an 
St. Johann Baptist und jetzt in Rendsburg. Christ-Corotzki verfügt über umfassende kunsthistorische Sachkenntnis und über Kentnisse alter Handwerksmethoden. Er stellte auch den Kontakt zur Stettiner Restaurierungswerkstatt Wiesław Raczewski und Cezary Kisielewicz her.

Moderne Ergänzungen fügen sich in den Originalbestand ein

„Den Beruf Kirchenrestaurator gibt es bei uns so gar nicht“, erzählt Ulrich Bons. In Polen hingegen gingen Schreiner, die sich auf solche Arbeiten spezialisieren, nach ihrer dreijährigen Ausbildung noch einmal vier Jahre in die Kirchen, um die alten Handwerksmethoden zu erlernen. Somit war die Werkstatt auch in der Lage, den zum Teil fehlenden Bestand kunsthistorisch sinnvoll zu ergänzen. 2015/16 hatte die Gemeinde bereits den Marienaltar in Stettin restaurieren lassen, nun schenkte der Kirchbauverein der Werkstatt auch für die Restaurierung des Hochaltars sein Vertrauen. Enttäuscht wurden sie nicht – die Ergänzungen fügen sich nahtlos in den Originalbestand ein. Der vorhandene Bestand wurde sorgfältig gereinigt, restauriert und stabilisiert. Die fehlenden Figuren, besonders die des heiligen Sebastian als für Anrath wichtigem Patron der Schützen, wurden rekonstruiert.

Der historische Tabernakelkasten aus der Erbauungszeit nimmt den modernen vergoldeten Tabernakal aus 1969 auf, so dass dieser wieder im Zentrum des Altars positioniert ist. Auch die Verkündigungsszene der Tabernakeltüren ist neu gestaltet. „Das alte Bild war gemalt, diese Türen sind plastisch“, erklärt Ulrich Bons. Die Predella, die auf acht Kobaltglastafeln die Geißelwerkzeuge Christi zeigt, fügte die Werkstatt wieder ein. 
Besonders beeindruckend sind die Halbreliefs im Mittelteil des Altars, die erhalten gebleiben sind und von der Ruß- und Staubschicht befreit wurden. Die Figuren wurden geschnitzt, mit einer Kalkschicht überzogen, dann mit Blattgold überzogen, geschwärzt und dann mit Farbe versehen. „Das macht sie so lebendig“, meint Ulrich Bons. Jetzt, nach der Reinigung mit Alkohol, lassen sich die Details auch wieder deutlich erkennen. Am 
26. Februar setzte die Werkstatt den Hochaltar auf die Steinmensa, angefertigt von Naturstein Lindholm aus Gerderath.

Jetzt bildet nach 55 Jahren der Hochaltar wieder den optischen und liturgischen Abschluss im Chor der Kirche. Mehr als 80 Prozent des Gesamtpreises von 100000 Euro übernahm der Kirchbauverein. Den Rest finanzierte die Kirchengemeinde. Der neue alte Altar kommt auch bei Kirchenbesuchern gut an. „Der Altar hat seine Würde wiederbekommen“, bringt es Ulrich Bons auf den Punkt.  

Der Hochaltar von St. Johann Baptist Anrath ist restuariert

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