Die Mitte zusammenhalten

Die zunehmende gesellschaftliche Spaltung war Thema des zweiten Tages der Bürgermeister

Generalvikar Andreas Frick eröffnete das zweite Treffen der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, das unter dem Thema „Spirit of Change“ stand. (c) Kathrin Albrecht
Generalvikar Andreas Frick eröffnete das zweite Treffen der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, das unter dem Thema „Spirit of Change“ stand.
Datum:
21. Sep. 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 38/2022 | Kathrin Albrecht

„Kirche trifft Politik“ – unter diesem Schlagwort hatte Aachens Generalvikar Andreas Frick zum zweiten Mal Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus dem Bistumsgebiet zu einem Austausch in die Aachener Citykirche St. Nikolaus eingeladen. 

Der Einladung gefolgt waren unter anderem die frisch gewählte Bürgermeisterin Monschaus, Carmen Krämer, Ingo Pfennigs, Bürgermeister aus Schleiden, Patrick Haas, Bürgermeister aus Stolberg, Mönchengladbachs Oberbürgermeister Felix Heinrichs sowie Kalle Wassong, Bürgermeister aus Niederkrüchten. 

Mit dem Vernetzungstreffen wolle man an Alltägliches anknüpfen und zugleich die aktuellen gemeinsamen Herausforderungen besprechen, führte der  Generalvikar in seiner Begrüßung aus. Und wie das vergangene Treffen 2021 unter den Eindrücken der Flutkatastrophe stand, dominierte beim zweiten Treffen die Frage, wie gemeinsam die drohenden Folgen der Energiekrise bewältigt werden könnten. Die soziale Rolle der Kirche aktiv zu besprechen, darum hatten die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister im Vorfeld des Treffens gebeten.

Das Netzwerktreffen stand unter dem Thema „Spirit of Change“. Es seien widersprüchliche und anspruchsvolle Zeiten, sagte der Generalvikar. Wohlstand sei keine Selbstverständlichkeit mehr. Und während die Kirche nach Wegen suche, sich von ihren paternalistischen Strukturen zu lösen, stehe der Staat vor der Herausforderung, zunehmend eine versorgende Rolle übernehmen zu müssen. Die richtige Balance zwischen Eigenverantwortung und Unterstützung zu finden sei eine der großen Herausforderungen der bürgerlichen Gesellschaft. Der „Spirit of change“, der Geist der Veränderung, „gilt für uns alle, auch für die Kirche“, unterstrich Frick. 

Kommunale soziale Räume als Kirche aktiv mitgestalten

Vor diesem Hintergrund skizzierte er den vor viereinhalb Jahren angestoßenen „Heute-bei-dir“-Prozess des Bistums sowie des Synodalen Weges aller Bistümer, der die Kirche weg von einer starren Hierarchie hin zu einer zugewandten, mitfühlenden Kirche gestalten wolle. Neue Leitungsmodelle seien dabei ebenso wichtig wie die Stärkung von Frauen in kirchlichen Ämtern und die Rolle der Ehrenamtlichen auf diesem Weg, die man einbinden wolle, ohne sie zu überfordern. Der Generalvikar erläuterte auch die Strukturreform, bei der man „Begegnung ermöglichen“ wolle, die nicht mehr an den Kirchturm gebunden ist“. Dazu werden 50 pastorale Räume, „die Vernetzung von vielen“ und 8 bis 13 Pfarreien als „Schutzschirm und Plattform“ mehrerer pastoraler Räume angestrebt. Auch das Budget solle über Rechtsträger von den pastoralen Räumen verwaltet werden.

Wie genau die Rechtsträger aussehen, sei allerdings noch nicht konkret. Derzeit berät ein Projektteam aus Vertretern des Kirchensteuer- und Wirtschaftsrates, von Kirchenvorständen und der diözesanen Räte unter Leitung des Ökonomen Martin Tölle über eine solche Ausgestaltung. Bis Ende des Jahres soll ein Ergebnis dazu vorliegen. Wie aus derzeit noch über 300 Pfarrgemeinden 50 pastorale Räume entstehen sollen, sagte Korschenbroichs Bürgermeister Marc Venten, sei für ihn nur schwer vorstellbar. Kirchenrechtlich sei es möglich, sagte Tölle, große Pfarreien mit einem Pfarrer als Leiter zu schaffen. Es gehe darum, das Gemeindeleben vor Ort mit verschiedenen miteinander vernetzten Orten von Kirche zu organisieren. Erste Schritte auf diesem Weg, fügte Generalvikar Frick hinzu, gehe man bereits in Eschweiler, Stolberg, Alsdorf – und in der GdG Aachen-Mitte.

Wie die pastoralen Räume an die verschiedenen kommunalen Sozialräume angepasst seien, beschäftigte Michael Ziemons, Dezernent für Soziales und Gesundheit in der Städteregion Aachen. Allein in der Städteregion definierte er 90 Sozialräume. Gäbe es nur 50 pastorale Räume, würden dort mehrere Sozialräume zusammenfallen. Gerade sozialen Fragen oder in der Jugendarbeit und zum Nachweis sozialräumlicher Bedarfe brauche es Ansprechpartner vor Ort. Perspektivisch wolle Kirche die Sozialräume aktiv mitgestalten, führte der Diözesancaritasvorsitzende Stephan Jentgens als Antwort aus. „Was wir vorhaben, stellt uns vor die Herausforderung, uns gut zu sortieren und zu vernetzen.“ Dazu sei eine Abstimmung der kirchlichen Akteure und Verbände mit den Kommunen in der Jugendpolitik und der Sozialarbeit notwendig.

Der Ökonom des Bistums, Martin Tölle, stellte darüber hinaus kurz den finanziellen Rahmen des Bistums Aachen vor. Derzeit sei man finanziell gut aufgestellt. 289 Millionen Euro aus den Kirchensteuereinnahmen 2021 stünden zur Verfügung. Davon gingen 50 Prozent direkt an die Pfarrgemeinden. Die andere Hälfte fließt in die Bereiche Caritas und Bildung. 

Angebote im ländlichen Raum besser  vernetzen

Gegenseitiges Kennenlernen und Vernetzung war das Ziel des zweiten Treffens von Vertreterinnen aus Kirche und Politik auf dem Gebiet des Bistums Aachen. (c) Bistum Aachen/Andreas Steindl
Gegenseitiges Kennenlernen und Vernetzung war das Ziel des zweiten Treffens von Vertreterinnen aus Kirche und Politik auf dem Gebiet des Bistums Aachen.

Wie Kirche helfen kann, die fortschreitende gesellschaftliche Spaltung und die zunehmende Prekarisierung der gesellschaftlichen Mitte aufzuhalten, die alle Teilnehmenden mit zunehmender Sorge wahrnehmen, war Thema einer Podiumsdiskussion mit Johannes Eschweiler, Aufsichtsrat und Vorstand der Amos eG in Heinsberg-Oberbruch, Madlen Roebuck, Leiterin des Katholischen Beratungszentrums Mönchengladbach, und Dorothea Gehlen, Caritasverband Eifel und zugleich Teil des Fluthilfe-Teams Schleidener Tal, in dem verschiedene lokale Verbände von den Maltesern bis AWO ihre Kräfte bündeln. Dies könne auch ein Vorbild für andere Kommunen sein. Man brauche nicht alles doppelt, war die Meinung des Merzenicher Bürgermeisters Georg Gehlhausen. In eine ähnliche Richtung ging Niederkrüchtens Bürgermeister Kalle Wassong. Gerade im ländlichen Raum sei es wichtig, Angebote zu vernetzen und als Kommune auch auf kirchliche Angebote zurückzugreifen.

Eine Antwort, wie die anstehende Heiligtumsfahrt in Mönchengladbach, Aachen und Kornelimünster zum „Spirit of Change“ passte, gab Dompropst und Wallfahrtsleiter Rolf-Peter Cremer. Das Leitwort „Entdecke mich“ lade auch dazu ein zu fragen, was in der Krise zu entdecken ist: „Was hat uns in Corona getragen? Was trägt uns in Zeiten des Krieges, der Flut, in den Ängsten vor der Zukunft?“

Das Schlusswort hatte Generalvikar Andreas Frick. „Hoffnungsvolle Perspektive und Sorge“ prägten sein Fazit. „Seien Sie erkennbar. Wir brauchen einander“, wiederholte er seine Bitte aus 2021 an die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister und fügte hinzu: „Gehen Sie auf die Kirchenvertreter zu. Wir müssen die Mitte zusammenhalten.“