Die Maskerade der Masken

Nicht nur zu Karneval etwas, das uns herausfordert, begeistert, beängstigt, befreit: unsere Vielgesichtigkeit

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Datum:
18. Feb. 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 08/2020 | Thomas Hohenschue

Die Lagunenstadt Venedig ist weltberühmt wegen des Geflechts von Kanälen, die sie durchziehen. Und wegen ihres Karnevals. Dessen Markenzeichen sind ausdrucksstarke, prächtige, schöne und schreckliche Masken, anziehend und abschreckend zugleich. Ein Sinnbild für die Maskerade, die unser Leben ausmacht. Masken begleiten uns auf Schritt und Tritt: im Privaten ebenso wie im Beruf. Und auch in der Kirche.

Schon im Karneval springt uns unsere Vielgesichtigkeit entgegen. Klassisch: Hexen und Kobolde, die uns mit festem Ausdruck anstarren. Heute zieren auch gerne Filmzitate die Köpfe von Karnevalisten, zeitlose Horrorfiguren zum Beispiel, oder Darth Vader, der dunkle Lord der Star-Wars-Reihe. Und Politiker aller Richtungen und Länder. Multiplikatoren der Bilder, mit denen unsere Gehirne beständig befeuert werden. Diese Masken zeigen uns den Zerrspiegel unserer Popkultur.  Die Masken, die wir jenseits des Karnevals anlegen, sind meistens wesentlich unspektakulärer. Sie können so unauffällig sein, so überzeugend lebensecht, dass es einiger Erfahrung und Menschenkenntnis bedarf, sie überhaupt als Maske wahrzunehmen. Es gibt Meister der Maskerade, die ihre Gesichter so gut aufziehen, dass die Maske nicht enttarnt wird. Manchmal erkennt man erst sehr spät den Menschen hinter der Maske. Oder auch gar nicht. Das kann tragisch sein, schändlich – oder aber die Grundlage für ein gelingendes Zusammenleben.

 

Wie frei bewegen wir uns im Alltag? 

Zuweilen ist es eine Frage des Respekts, eine Maske zu tragen. Eine Maske bewahrt einen selbst und andere davor, zu zeigen, was man denkt und fühlt. Es gibt Situationen, in denen das angemessen ist. In anderen Situationen hingegen wäre es gut, die Maske fallen zu lassen, ehrlich zu sprechen, authentisch zu reagieren. Wie unterscheiden wir, welches Gesicht wir zeigen? Was kann unser Kompass, unsere Richtschnur für die Wahl der Maske sein?  Von asiatischen Gesellschaften heißt es, dass es außerordentlich wichtig sei, das Gegenüber nicht sein Gesicht verlieren zu lassen. Was heißt das? Europäische Manager werden darauf getrimmt, ihre Geschäftspartner nicht durch unbedachte Gesten und Worte zu kränken oder zu irritieren.

Auch die Kunst der internationalen Diplomatie legt großen Wert darauf, alle Partner in einem guten Licht erscheinen zu lassen, gleich wie hart und eventuell erfolglos die Verhandlungen verlaufen. Hier Masken aufzuziehen, ist eine Frage des gemeinsamen Interesses. Die Maskerade sichert die Basis des weiteren gemeinsamen Weges. Wieviel Asien, wieviel Diplomatie steckt in unserem eigenen Leben? In welchen Situationen verbergen wir unsere Gefühle und Gedanken? Wo ist es angeraten? Ist es das Familienfest, bei dem man die berühmte gute Miene zum bösen Spiel macht? Wie halte ich es im beruflichen Umfeld? Es liegt nicht nur an uns. Wir sind vielleicht sogar die schwächsten Glieder der Kette. Ausschlaggebend kann die Kultur des Kreises sein, in dem wir uns jeweils bewegen. Wird dort offene, auch unbequeme Aussprache geduldet, vielleicht sogar geschätzt? Welche Tabus türmt eine Familie, ein Betrieb oder auch eine ganze Institution auf? Wie verbrettert mit Ver- und Geboten ist das Mitein­ander? Wie frei bewegen wir uns darin?

 

Masken können dem Leben dienen

Manche können so etwas nicht aushalten. Maskerade als Überlebenstechnik im Gewirr von Konventionen, Vorschriften und Repressalien ist ihnen ein Gräuel, etwas, das sie nicht mit ihrem inneren Ich überein bekommen, das sie als verlogen empfinden, als oberflächlich, verklemmt, verbohrt. Und beim genauen Hinsehen ist da oft auch etwas dran. Andererseits: Es gibt kein richtiges Leben im falschen, lautet eine viel zitierte Weisheit. Und so kann gelungene Maskerade dem Leben dienen. Masken können befreiend wirken, zum Beispiel Menschen von der Schwere einer Situation oder Konstellation entlasten. Clowns wissen das. Sie sehen das Leben, wie es ist. Sie kennen seinen Ernst. Aber sie setzen die rote Nase auf, das reduzierte Sinnbild einer Maske. Sie wechseln mit dieser symbolischen Handlung die Rolle und die Perspektive. Das, was vorher noch bedrängte und bedrückte, düster und verloren wirkte, gewinnt eine ungeahnte Leichtigkeit.

Durch ihre Kunst, gekonnt Kontraste zu setzen, spontanen Witz zu erzeugen, gelingt es Clowns, Menschen zum Lächeln und zum Lachen anzustiften. Humor kann auf diese Weise heilsam sein. Oft hilft er weiter, wo alle anderen Worte und Gesten versagen.   Grundlage dafür, dass die Maske des Clowns dem Leben dient, ist der unbedingte Respekt vor dem Gegenüber. Nicht täuschen, tricksen, tarnen lautet die Devise, sondern das Gegenteil: den Menschen so annehmen, wie er ist und wie er sich gerade fühlt. Im Karneval sind Masken akzeptiert, weil sie auf einer gemeinsamen Vereinbarung beruhen: miteinander das Leben zu feiern, aus dem Alltag zu schlüpfen, rein in neue Rollen, Ungelebtes auszuprobieren, Unprobiertes auszuleben. Das Gute an der fünften Jahreszeit ist zugleich, dass sie ihre klaren Grenzen hat. Die braucht nämlich jede Maskerade. Wer nicht aus seiner Maske herausfindet, verkümmert im Gefängnis seiner eigenen Rollen und Regeln. Gleich, ob man sich darin wiederfindet: Der Karneval ist ein Lehrmeister darin, zwischen den Welten zu wechseln, Unterschiede zu suchen – und sich nicht zu verlieren.