Die Königinnen des Alltags

Eine Fotoausstellung des Nell-Breuning-Hauses richtet das Licht auf Frauen in prekären Lebenslagen

Der Bonner Künstler Ralf Knoblauch schickt kleine Königinnen und Könige auf die Reise. Was daraus entsteht, dokumentiert nun eine Wanderausstellung. (c) Thomas Hohenschue
Der Bonner Künstler Ralf Knoblauch schickt kleine Königinnen und Könige auf die Reise. Was daraus entsteht, dokumentiert nun eine Wanderausstellung.
Datum:
5. Mai 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 18/2021 | Thomas Hohenschue

Immer mehr Menschen leben und arbeiten in Deutschland unter prekären Bedingungen. Sie erzielen mit ihrer Arbeit kein gutes, verlässliches Einkommen. Was sie beruflich tun, hält die Gesellschaft am Laufen. Aber gedankt wird es ihnen am Ende des Tages nicht. Ob Pflege-, Putz- oder Ordnungskräfte, Paketboten, im Verkauf oder an der Kasse – es bleibt zu wenig über, mit allen Konsequenzen. Hauptbetroffene sind Frauen.  

Eine Fotoausstellung des Nell-Breuning-Hauses rückt diese Mitbürgerinnen auf berührende Weise ins Licht. Sie zeigt ihre Würde, wie sie im Alltag ihre Frau stehen, ihren Stolz und ihre Stärke. Sie bedient sich dabei der Kunst des Bonners Ralf Knoblauch. Er schickt seit Jahren kleine Königinnen und Könige auf die Reise. Freunde und Bekannte drücken diese hölzernen, handgefertigten Skulpturen Menschen in die Hand, die am Rande der Gesellschaft leben. Diese Geste soll zeigen, dass auch sie, die sich häufig abgestempelt und abgeschrieben fühlen, gesehen und geschätzt werden. Sie selbst sind Königinnen und Könige.

Auf 20 großformatigen Fotos ist festgehalten, was dieser Moment in Gang setzt. Es bewegt wirklich zu sehen, wie die innere Schönheit und Würde der Frauen aufleuchtet. Sie sind stolz und gerührt, dass sie in dieser Form als Königinnen des Alltags auserwählt wurden. Manchen sieht man die Bürde an, die sie mit sich herumschleppen, weil sie ungedankte große Verantwortung tragen, weil sie mehrfache Belastungen schultern, in Familie und Beruf, weil sie Sorgen um das Morgen haben, keinen festen Wohnsitz oder eine Einschränkung, die ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erschwert. Auch Prostituierte oder Transmenschen gehören zu den Porträtierten, nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus anderen Ländern wie Peru und Myanmar.

Die Botschaft der Menschlichkeit, die das Projekt ausstrahlt, begeistert Michael Ziemons. Der Sozialdezernent der StädteRegion Aachen schlägt in seiner Laudatio zur Eröffnung der Ausstellung einen Bogen zu seinem Tagesgeschäft als kommunaler Coronakrisenmanager. Dass Viertel als soziale Brennpunkte stigmatisiert werden, weil dort das Virus besonders grassiert, findet er ungerecht. Der Treiber für das Infektionsgeschehen sei vielmehr, dass die dortigen Menschen, inbesondere die Frauen, in Berufen wie Kassiererin arbeiten, für die es keine Impfpriorisierung gebe, die aber von vielen unkontrollierten Außenkontakten geprägt seien. 


Über gerechte Verhältnisse reden


Das kleine Gehalt wiederum bedingt, dass sie mit ihren Familien beengt wohnen, womit das Virus leichtes Spiel hat, sich zu übertragen. Hebt Corona die Situation dieser Frauen auf die Tagesordnung? Auch Manfred Körber wünscht sich das, aber der Leiter des Nell-Breuning-Hauses stellt fest, dass das Klatschen an die Pflegekräfte längst verhallt ist und ihre Situation sich keinen Deut verbessert hat. Es braucht den steten Tropfen, der den Stein höhlt. Die Ausstellung möchte ein solcher Tropfen sein, die Diskussion über gerechtere Lebens- und Arbeitsverhältnisse wecken und wach halten. Körber greift auf eine Geschichte zurück, die von Martin Luther King überliefert ist. Er gab streikenden Müllmännern die Würde zurück, als er ihnen sagte: Eure Arbeit ist genauso wichtig wie die von Ärzten, beide kümmert ihr euch um die Gesundheit der Menschen. „Jede Arbeit besitzt Würde.“

Eindrücke der Ausstellungseröffnung

3 Bilder