Die jüdische Familie Raphaelson gehörte zum Kaufmannsadel in Mönchengladbach. Viele Generationen haben das Leben in der Stadt geprägt. Aber auch ihre Leben wurden von der Geschichte beeinflusst und nahmen unerwartete Verläufe. In einem Vortrag berichtet die Geschichtswerkstatt über fünf Generationen dieser Familie.
Das Haus in der Kaiserstraße in Mönchengladbach hat einige Berühmtheit erlangt. Gebaut wurde es vom Fabrikanten Louis Raphaelson. Er war ein reicher Mann und leistete sich in seiner Stadtvilla einen Konzertsaal, er förderte die Kunst und brachte so manche Neuerung in seiner eigenen Firma ein, die später auch in anderen Unternehmen Schule machen sollte. Die Betriebskrankenkasse, die es für seine Arbeiter schon 1905 gab, ist so ein Beispiel.
Als Louis Raphaelson 1914 starb, war das für seine Familie nicht nur eine menschliche Tragödie, sondern auch eine wirtschaftliche. Seine Frau Elisabeth konnte die Firma nicht halten, die Familie verarmte. So erlebten ihr Sohn Paul und seine Geschwister schon in jungen Jahren den sozialen Abstieg.
Während des Nationalsozialismus wird Paul als Jude verfolgt. 1934 verunglimpft ihn das Nazi-Hetzblatt „Der Stürmer“ als „berüchtigten Rassenschänder“. Wie die anderen Juden in Mönchengladbach wird Paul Raphaelson deportiert. Im Außenlager des Ghettos Theresienstadt wird er durch die SS als Funktionshäftling (Kapo) für die Beaufsichtigung von Mithäftlingen eingesetzt. Weil er diese Funktion mit äußerster Brutalität ausführt, wird er 1947 als Kriegsverbrecher hingerichtet.
Den sozialen Aufstieg schafft sein Sohn Eduard Raphaelson wieder. Wie sein Großvater Louis wird auch der 1929 geborene Enkel Kaufmann und später Hosenfabrikant in Mönchengladbach. Nach dem frühen Tod seiner Mutter ist der 2004 verstorbene Eduard im Neuwerker Kinderheim aufgewachsen. 1944 kam er in ein Arbeitslager. Nach seinem Tod 2004 hat er auf dem evangelischen Friedhof in Schwanenberg bei Erkelenz seine letzte Ruhe gefunden.
Über die Lebenswege von fünf Generationen der Familie Raphaelson wird Armin Schuster in seinem Vortrag „Mein Onkel, der Halb-Jude“ im Haus der Erinnerung Mönchengladbach berichten. Die Geschichte beginnt bei dem 1788 geborenen Knecht und Handlungsreisenden Levi (Hiob) Raphaelson aus Herford, den Großvater von Louis Raphaelson. Louis’ Vater, Aron Raphaelson (geboren 1836) war bereits ein angesehener jüdischer Kaufmann und Bankier in Herford.
Aber nicht nur die Geschichten der männlichen Mitglieder der Familie sind erzählenswert. Auch die Frauen haben eine Geschichte. Die von Sara Frieda Raphaelson, älteste Tochter von Louis und Schwester von Paul, hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einer Rede erzählt. Sara Frieda Raphaelson wurde am 14. September 1899 geboren. Ihre Mutter Elisabeth war eine geborene Salomons und entstammte einer Amsterdamer Familie. 1928 ging sie nach Berlin, wo bereits ihre Schwester lebte. Schon als Kind hatte sie mit ihrer Familie kurz in der Hauptstadt gelebt. Ihr Vater hatte sich 1913 an der Knaben- und Herrenanzugfabrik Flesch beteiligt. Kurz nach dem Umzug nach Berlin 1914 starb Louis. Seine Frau zog mit den Kindern wieder zurück nach Mönchengladbach.
Heute erinnert ein sogenannter Stolperstein an Sara Frieda Raphaelson. Sie wurde 42 Jahre alt.
Der Vortrag „Mein Onkel, der Halb-Jude“ beginnt am Dienstag, 28. Juni, um 18 Uhr im Gladbacher Haus der Erinnerung, Hehner Str. 54. Die Teilnahme kostet 15 Euro (Mitglieder 10 Euro). Anmeldung unter Tel. 0 21 61/6 78 12 13 (AB).