Eine Bemerkung bei einem Fest soll der Auslöser für Ihre Wahl zum Dreigestirn gewesen sein. Hatten Sie da schon ernsthafte Ambitionen?
Markus Bruns: Das war bei der Rathauserstürmung vor zwei Jahren. Aus einer Laune heraus habe ich damals gesagt, dass das für uns auch einen Reiz haben könnte. Die Idee ist schnell beim Vorstand des Heinsberger Karnevalsvereins angekommen, und die haben dann bei uns angefragt: „Wir haben da was gehört …“ Martin war auch gleich Feuer und Flamme für die Idee und mit unseren Diensten ließ sich das einrichten.
Der Sitzungspräsident des Heinsberger Karnevals ist gerade unerwartet verstorben (am Tag vor dem Gespräch, Anm. d. Red.). Werden an Sie in Ihrer Doppelrolle als Geistliche und Dreigestirn in so einer Situation besondere Anforderungen gestellt, den Menschen in ihrer Trauer beizustehen?
René Mertens: Das kann ich ganz klar bejahen. Ich habe heute Vormittag schon einige Gespräche dieser Art geführt, weil Leute aus dem Verein das gesucht haben. Es ist auch gut, dass wir diese Gespräche führen. Das ist eine Chance, die Menschen ein Stück weit zu begleiten.
Markus Bruns: Man kann das ja nicht abspalten. Klar, wir bilden das Dreigestirn in diesem fröhlichen karnevalistischen Kontext. Aber wir sind zugleich Menschen, die sich mit ihrem Menschsein einbringen. Und wir bringen uns noch mal mit unserem Seelsorgersein ein. Das ist eine unheimlich große Chance und in einer Situation, wie wir sie jetzt erleben, eine Herausforderung und eine Selbstverständlichkeit. Wir wären schlechte Seelsorger, wenn wir an diesem Punkt sagen würden: „Wir sind das Dreigestirn, das berührt uns jetzt nicht.“
Ihr Engagement findet viel positive Resonanz. Aber es wurde auch Kritik laut, dass sich Geistliche lieber um die Seelsorge kümmern sollten statt durch die Karnevalssäle zu ziehen. Wie gehen Sie damit um?
Markus Bruns: Das ist ja vielschichtig. Das eine, was ich beobachte: Es wird bei Priestern nochmals anders drauf geguckt und die Frage gestellt: Können die das leisten? Aber wenn ein Bäcker Prinz ist, werden am nächsten Tag die Brötchen gebacken sein und wenn ein Richter Prinz ist, werden am nächsten Tag auch Urteile gesprochen. Ich merke, dass es hier und da Vorbehalte gibt, ob wir unserem Dienst noch gerecht werden können. Vielleicht liegt es an der Vorstellung, dass ein Priester 24 Stunden Priester ist. Es gibt den Widerspruch, dass Karneval und Kirche nicht zusammenpassen, obwohl sie ja einander bedingen. Aber es gibt auch Zuspruch.
René Mertens: An einem konkreten Fall kann ich zeigen, dass wir unseren kirchlichen und seelsorgerischen Verpflichtungen weiter nachkommen: Wir hatten am Wochenende einige Termine, die wir wahrgenommen haben und samstagnachts um Viertel nach zwölf bekam ich einen Ruf zu einem Sterbenden. Da bin ich noch zum Krankenhaus gefahren und habe ihn und die Familie begleitet. Am nächsten Morgen fand um neun Uhr die Messe statt. Auch heute Morgen habe ich vier oder fünf Gespräche zum Tod unseres Sitzungspräsidenten geführt.
Markus Bruns: Ich musste mich bei Veranstaltungen auch früher verabschieden, weil ich eine Beerdigung hatte. Der Dienst hat Vorrang.
Martin Jordan: Das ist bei uns auch nicht anders. Ich habe einen Kollegen, der mit mir den Dienst versieht. Wir konnten die Gottesdienste gut regeln, aber ich habe im Moment das Seelsorge-Handy dabei. Wenn was ist, bin ich erreichbar. Ich gehe das mit der gleichen Einstellung wie sonst auch an.
Werden Sie öffentlich anders wahrgenommen, seitdem Sie sich als Dreigestirn sehr volksnah zeigen?
Martin Jordan: In der Schule, in der ich unterrichte, verabschieden sich Schüler jetzt mit: „Wir sehen uns ja heute Abend wieder.“
Markus Bruns: Mit einem Messdiener von uns sprechen wir uns jetzt als Kollegen mit „Hallo, Kollege!“ an. Er ist der Kinderprinz.
Verbinden Sie damit auch die Hoffnung, kirchenferne Menschen anzusprechen?
Markus Bruns: In der Tat ist es ein Wunsch, mit Leuten in Kontakt zu kommen, die sonst nicht in die Kirche kommen – und das sagen sie uns auch so. Gestern Abend hatten wir auf der Rückfahrt eine schöne Diskussion mit einem Adjutanten, der von seinen Erlebnissen mit einem katholischen Pfarrer erzählte, den er als wenig menschennah und weltverbunden erlebt hat. Wir haben schon viele solcher Gespräche gehabt. Das eine ist ja der Auftritt, bei dem man auf der Bühne steht und offiziell agiert, aber das Schöne geschieht ja davor und danach in tiefer gehenden Gesprächen …
René Mertens: … in den vielen Begegnungen mit Menschen. Ich habe das schon damals als Prinz erfahren (Session 2011/ 2012, Anm. d. Red.), und das bestätigt sich auch jetzt wieder: in wie vielen Begegnungen und Gesprächen man mit Menschen in Berührung kommt und erfährt, was sie beschäftigt und ihnen am Herzen liegt. Daraus entstehen neue Kontakte, daraus entsteht die Chance, diese Leute noch mal ganz anders ansprechen zu können. Und es ist schon eine ganz, ganz wesentliche Geschichte, da die Freude und die Botschaft eines heilenden, freudsamen Lebens einbringen zu können. Viele nehmen einiges mit, und es entsteht das eine oder andere.
Markus Bruns: Umgekehrt bekommen wir viel von Leuten mit, denen wir sonst nicht begegnet wären. Wir standen zum Beispiel in einer Runde, und die Mutter eines 18-Jährigen aus der Prinzengarde erzählte, dass ihr Sohn nach Ruanda gehen möchte, um dort bei einer Hilfsinitiative zu arbeiten. Er möchte sich im Sanitätsdienst engagieren. Da habe ich gedacht: Was gibt es für tolle Menschen um uns herum. Die wären uns in der Kirche ja vermutlich nicht begegnet.
Martin Jordan: Aber auch die Leute, die sich im Karneval engagieren. Das ist für mich ein Paradebeispiel von gegenseitiger Unterstützung und miteinander, füreinander da zu sein. Das muss sich ja nicht alles in der Gemeinde abspielen. Es ist letztlich vollkommen egal, wie christliches Miteinander geschieht. Der wechselseitige Dienst von Christen untereinander passiert da auch, selbst wenn Gott nicht in den Mund genommen wird.
René Mertens: Richtig.
Martin Jordan: Beim Tod von Kalle (Sitzungspräsident Karl-Heinz Mohn, Anm. d. Red.) wird das jetzt noch mal zum Tragen kommen. Die Menschen stützen sich in ihrer Trauer gegenseitig. Und hier sehen die Leute, man ist auch Mensch und nicht nur Pfarrer und Priester. Solche Begegnungen helfen, glaub‘ ich, manchen Leuten, noch mal einen ganz anderen Zugang zu Kirche zu bekommen.
In der Kirche gibt es viele Themen, die kontrovers diskutiert werden, wie die Ökumene. Nutzen Sie als Dreigestirn die Gelegenheit, solche Themen anzusprechen?
Markus Bruns: Bei der Proklamation habe ich zwei, drei Stichworte gebracht und Friedrich Nietzsche zitiert, der fragte: „Warum seht Ihr Christen immer so unerlöst aus?“, ich habe den Martin Jordan zitiert, der mal so schön gesagt hat: „Vor Gott und im Karneval sind alle gleich“, also den Aspekt von Toleranz und Respekt im Umgang miteinander. Und in unserem Mottolied „Wir stehen zusammen in Leid und Freud“ steckt auch eine Botschaft drinnen.
Martin Jordan: Im Grunde genommen ist das der Aspekt, dass unsere Kirche nicht verstehen kann, dass alte Zöpfe abgeschnitten werden. Kirche ist nicht alter Stein, sondern da, wo Menschen zusammen sind. Das ist das, was zählt.
Markus Bruns: Unser Motto klingt erst mal relativ harmlos. Aber zusammen- stehen mit allen: Das ist ein hoher Anspruch. Wir schließen keinen aus – auch keinen Moslem und keinen Atheisten.
René Mertens: Wir brauchen alle im Saal, damit das Miteinander gelingt. Das gilt auch für die Gemeinschaft außerhalb des Karnevals.
Bischof Helmut Dieser hat zu Beginn des Jahres zum Gesprächs- und Veränderungsprozess aufgerufen. Im Nachhinein müssten Sie eigentlich sagen: Super, wir sind schon dabei.
Markus Bruns: Wir begeben uns tatsächlich in eine Umgebung, die jetzt nicht eindeutig christlich geprägt ist. Ich verstehe den Bischof so, dass wir auch quer zu dem Bestehenden mit Menschen in Kontakt kommen.
René Mertens: Da sind wir sicher auf einem Weg unterwegs, der auch durch den Veränderungsprozess jetzt eingeschlagen wird.
Martin Jordan: Ich finde die Überschrift der E-Mail, die wir heute bekommen haben, sehr schön: „Hoffnungsschimmer“. Ökumene steht da nirgendwo richtig drin, aber ich glaube, das ist auch ein Punkt, der bewegt. (liest vor) „Mit Ihren Rollen geben Sie Christen in Ihrem Umfeld eine Idee dafür, was von uns verlangt wird beziehungsweise was wir alles dürfen und auch sollen. Sie gehen raus in die Welt, um die Leute in Ihre Kirchen zu holen und Sie tun es auf eine Art, die mich zutiefst anspricht.“
Das Interview führte Garnet Manecke.