Die Auferstehung verwandelt auch uns

Das Osterwort von Dompropst Manfred von Holtum

Das Relief mit den Frauen am Grab ist Teil der Pala d’oro (11. Jh.), des goldenen Antependiums am Hauptaltar im Aachener Dom. (c) Ann Münchow/Domarchiv
Das Relief mit den Frauen am Grab ist Teil der Pala d’oro (11. Jh.), des goldenen Antependiums am Hauptaltar im Aachener Dom.
Datum:
15. Apr. 2019
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 16/2019
Auf den ersten Blick sind die Texte, die wir in der Osternacht hören, wenig österlich. Lukas berichtet, dass die Frauen am Ostermorgen ganz ratlos dastanden, dass sie erschraken und zu Boden blickten.
Das Relief mit den Frauen am Grab ist Teil der Pala d’oro (11. Jh.), des goldenen Antependiums am Hauptaltar im Aachener Dom. (c) Ann Münchow/Domarchiv
Das Relief mit den Frauen am Grab ist Teil der Pala d’oro (11. Jh.), des goldenen Antependiums am Hauptaltar im Aachener Dom.

 Auch Petrus, der die Worte der Frauen für Geschwätz hielt, ging nach Hause voll Verwunderung über das, was geschehen war. Für die Frauen und auch Petrus ist der Herr tot; die Geschichte mit ihm ist aus. Da bleibt in der Tat nur Ratlosigkeit. Der weggewälzte Stein ist die Grenze, die das Leben vom Tod trennt, eine undurchdringliche Wand. Auch wir stehen ungläubig oder hilflos und ohnmächtig wie die Frauen am ersten Morgen des Wochentages da.

Aber da, am Nullpunkt menschlicher Existenz, wo wir buchstäblich am Ende sind, da beginnt Gott. Der Stein ist weggewälzt. „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“ Am Ort des Todes – die Kunde des Lebens. In unserem Aachener Dom wird diese Wirklichkeit vom Tod zum Leben in einer ganz eigenen Weise zum Ausdruck gebracht in der immer wiederkehrenden Zahl acht. Das Zentrum der Palastkirche Karls des Großen – ein Achteck, ein Oktogon, ein im Sinne der Architektur vollkommenes Gebilde. Und in diesem Oktogon: der Barbarossaleuchter, gleichsam der innere Ring mit den deutlichen Anklängen an das himmlische Jerusalem: acht Türme mit den Darstellungen aus dem Leben Jesu Christi, unter anderem die Kreuzigung und die Frauen am Grab und Christus auf dem Himmelsthron. Acht Tore des neuen Jerusalem mit den Seligpreisungen der Bergpredigt – eine Einladung an die Gläubigen zum Leben und zur Vollendung in Gott: „Dort ist sichere Hoffnung auf Ruhe für uns“, wie es in der Inschriftleiste des Barbarossaleuchters so treffend heißt.

In dieser Hoffnung begegnen wir Christen unseren jüdischen Glaubensgeschwistern. Der achte Tag, der Tag nach dem Ruhetag, ist der Tag, an dem die jüdischen Gläubigen den Messias erwarten. Der Tag nach dem Sabbat, der erste Tag der Woche, wird für die Christen zum Tag, an dem Christus auferstanden ist. In Verbindung mit den 48 Kerzen des Barbarossaleuchters ist dieser achte Tag mit dem Ende von Angst und Finsternis verbunden. Damit wird der Ostertag zum Tag des Herrn und zugleich zum achten Schöpfungstag. Gottes Schöpfung vollendet sich. Wer in das Oktogon des Aachener Domes eintritt, darf dort im irdischen Abbild die Befreiung aus der Erdenschwere und dem Tod erfahren. Er sieht sich aufgenommen in das Geheimnis von Auferstehung und Vollendung.

Am ersten Tag der Woche sind Maria von Magdala, Johanna und Maria, die Mutter des Jakobus, auf dem Weg zum Grab. Im Dunkel der Nacht trifft sie die Botschaft vom Leben. In dieser Nacht ist für die Frauen alles neu. Es schließt sich für sie wie für uns alle der große weite Ring des Glaubens. Deshalb vernehmen wir in der Osternacht den wunderbaren Bericht vom Anfang im Buch Genesis, die Erzählung von der Schöpfung.

Gegen die Mythen der Völker um Israel bekennt sich das Volk Israel dazu, dass der Mensch, diese unsere Welt nicht einfach aus göttlichen Urprinzipien entstanden sind, sondern dass Welt und Mensch aus Gottes Hand kommen. „Und Gott schuf.“ „Und Gott sah.“ „Und Gott schied Licht und Finsternis.“„Und Gott sprach.“ „Und Gott segnete.“ Gott ist uns in all dem, was uns da begegnet, nahe.

In diesem Bekenntnis zeigt sich der weiteste Ring, der hinführt auf das Ostergeschehen. Die Welt beruht in ihrem Ursprung nicht auf blindem Zufall, aus den Folgen einer blinden Evolution, sondern auf dem Entstehen aus der Hand des Schöpfers.

Aber Israel hat Gott auch erfahren in seiner Geschichte. Selbst in den dunkelsten Stunden, beim Auszug Abrahams aus seiner Heimat, wird von Abraham gefordert, seine Zukunft und die seiner Sippe zu opfern, seinen einzigen Sohn Isaak, den er über alles liebte, an dem die Verheißung hing. Es war eine unendlich dunkle Stunde für den Vater des Glaubens. In dieser Nacht spricht Gott zu ihm: „Weil du deinen einzigen Sohn mir nicht vorenthalten hast, will ich dich reich segnen und deine Nachkommenschaft zahlreich machen wie die Sterne am Himmel und die Sandkörner am Meeresstrand“ (Gen 22,15f.). Mit der Nachkommenschaft Abrahams sollen sich alle Völker segnen.

Und ist nicht die Nacht des Auszuges aus Ägypten ebenso eine Nacht des Dunkels und des Schreckens gewesen? Vor ihnen lag das Rote Meer und hinter ihnen kam die Streitmacht des Pharao auf sie zu. In der Tiefe der Dunkelheit dieser Nacht, einer Nacht der Angst und Gefährdung, war Gott nicht abwesend. Er war bei seinem Volk. Als Dank für die Befreiung aus der Hand der Ägypter und den Durchzug durch das Wasser des Roten Meeres stimmten die Israeliten ein Loblied an.

Die vierte Lesung ist hineingesprochen in eine noch tiefere Finsternis. Der Prophet der Exilszeit, Deuterojesaja, spricht den Juden in der babylonischen Gefangenschaft Mut zu: „Auf, all ihr Durstigen, kommt zum Wasser: Auch wer kein Geld hat, soll kommen!“ (Jes 55,1). Gott gibt nicht nur die Zusage, dass die Israeliten aus Fron und Knechtschaft herausgeführt werden. Nein, in diesem letzten Wort, mit dem das ganze Buch Deuterojesajas schließt, wird mitten in der Nacht des Exils, in der Nacht, die Israel wie ein Grab vorkommt, zugesagt: „Ich will mit euch einen ewigen Bund schließen getreu den Hulderweisen an David“ (Jes 55,3). Damit tut sich in der Situation des Exils etwas Neues auf: Selbst in den dunkelsten Stunden der Geschichte ist Gott, Jahwe, da.

An diesem Glauben dürfen wir uns orientieren. Schauen wir in die Dunkelheiten unserer Zeit. Papst Franziskus wird nicht müde, sie zu nennen und immer wieder neu ins Bewusstsein zu bringen. Die Situation hilflos umhertreibender Flüchtlinge im Mittelmeer, die Hungersnöte im Jemen, in afrikanischen Ländern, nach wie vor heftige Gefechte in Syrien und an anderen kriegerischen Brennpunkten der Welt. Schauen wir auf diese grauenvollen Bilder, sollen wir da sagen: Der Herr ist in all diesen Situationen? Da tritt der Ernstfall des Glaubens ein.

Die Stunde der Auferstehung ist nicht nur die Stunde Jesu Christi. Sie ist zugleich unsere Stunde, die Stunde der Kirche. Die Auferstehung verwandelt die drei Frauen auf dem Heimweg vom Grab. Sie verwandelt die Jünger und auch uns.

Im Gedicht von Marie Luise Kaschnitz mit dem Titel „Auferstehung“ wird diese Erfahrung für uns heute gegenwärtig.

„Manchmal stehen wir auf Stehen wir zur Auferstehung auf Mitten am Tage Mit unserem lebendigen Haar Mit unserer atmenden Haut […] Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus. Und dennoch leicht Und dennoch unverwundbar Geordnet in geheimnisvolle Ordnung Vorweggenommen in ein Haus aus Licht.“

Auferstehung mitten im Leben – die Erfahrung, aus Dunkelheit, Verzweiflung, Trauer, Angst oder Hoffnungslosigkeit unerwartet wieder „aufzustehen“, mitten im Alltag und dem Gewohnten um mich herum für Momente aufgehoben zu sein in einer größeren Ordnung und einem Haus aus Licht – diese Erfahrung eröffnet sich dem, der in unseren Aachener Dom eintaucht unter dem Leuchter Kaiser Friedrich Barbarossas oder in der hochgotischen Chorhalle, dem Haus aus Licht.