Dichterpriester

Kaplan Werner Kallen sieht viele Parallelen zwischen Liturgie und Lyrik

(c) Gerd Felder
Datum:
6. Okt. 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 40/2021 | Gerd Felder

„Für die Aufgabe, heute von Gott zu reden, kann man von der Lyrik viel lernen.“ Kaplan Werner Kallen macht aus seiner Grundüberzeugung im Hinblick auf den hohen Stellenwert von Gedichten kein Hehl. 

Ja, er geht noch weiter, wenn er betont: Dem Priester und dem Lyriker in ihm, der 
Liturgie und dem Gedicht überhaupt seien drei Grundhaltungen gemeinsam: das Erschrecken, das Staunen-Können und das Schweigen. „Die Liturgie ist ein Raum der Zweckfreiheit im besten Sinne, und auch die Lyrik ist ein Ort der Freiheit, eine Form des Wortes, die vieles offen lässt und nicht allzu gewiss daherkommt.“ Liturgie und Lyrik hätten eine innere Verwandtschaft, lägen aber auch manchmal im Streit miteinander, urteilt der Dichterpriester. „Sie widerstehen der Funktionalisierung in allen Bereichen, die einem manchmal die Luft nimmt.“

Kallen, 1956 in Büttgen geboren und in Kleinenbroich aufgewachsen, studierte nach dem Abitur Katholische Theologie in Bonn, Münster und Bamberg. Bereits nach dem Studium fing er an, „sich die Seele freizuschreiben“ – damals noch mit der Hand oder der Schreibmaschine. Nach Jahren der Tätigkeit als Pastoralassistent und -referent in Stolberg, Düren und Mönchengladbach beschloss Kallen schließlich, sich 2002 zum Priester weihen zu lassen. Durch seine Dissertation über Dietrich Bonhoeffer und seine Auseinandersetzung mit dessen Briefen und Gedichten wurde er zusätzlich angeregt, sich stärker auf die Lyrik einzulassen.

Im Jahr 2011 erschien sein erster eigener Gedichtband „Zuflucht ins Freie“. „Die Lyrik mit ihrer nicht-standardisierten Sprache und ihrem Bilderreichtum kann einen vor einer Über-
Affirmation und dem Immer-schon-Bescheid-Wissen bewahren“, unterstreicht Kallen, der als Seelsorger vor allem in den Aachener Stadtteilen Horbach, Richterich und Laurensberg tätig ist. „Sie verdankt sich einer Wahrnehmung und Empfindung und ist kein intellektuelles Konstrukt.“

Konsequent verweigert der einfühlsam-zurückhaltende Seelsorger sich deshalb auch jeder Festlegung, Vereinnahmung oder Überinterpretation, als verfasse er geistliche oder religiöse Lyrik. „Ich schreibe Gedichte ohne Adjektiv, weil ich über das schreibe, was ich sehe und empfinde“, hebt er mit großem Nachdruck hervor. „Bei dem, was mich beschäftigt, kommt aber naturgemäß einiges vor, was mit Religion zu tun hat.“ Kunst sei jedoch immer autonom, und nicht er suche sich das Thema für ein Gedicht aus, sondern das Gedicht komme gleichsam auf ihn zu. Andererseits hat er auch kein Verständnis für Autoren, die um jeden Preis das Wort „Gott“ vermeiden wollen.

Auch wenn er sich an keinem eindeutigen Vorbild orientiert, so macht er doch kein Geheimnis aus seiner Wertschätzung für Reiner Kunze. Eine eindeutige Intention oder gar pädagogische Zielsetzung verfolge er dagegen nicht. Anspielungen auf christliche Zusammenhänge finden sich in seiner Lyrik durchaus, Lyrik ist für ihn aber eher eine Art Notwehr gegen das Verstummen und ein äußerer und innerer Raum, der dem Schweigen ganz nah verbunden ist. Trotz aller Zurückhaltung freut der Lyriker Werner Kallen sich selbstverständlich auch, wenn er ein positives Echo bekommt und in Lesern etwas angerührt hat.

In seinem bisher letzten Gedichtband, der Ende 2020 in einem kleinen Allgäuer Verlag erschienen ist, steht der ursprünglich in China beheimatete Gingko-Baum im Mittelpunkt. Das schmale Büchlein unter „Naturlyrik“ einzuordnen, würde Werner Kallen aber zu weit gehen. Wie immer in seinen Versen, diesen kleinen Meisterwerken der Verknappung und äußersten Verdichtung, unternimmt er eine Gratwanderung zwischen Wort und Stille – und setzt in diesem Band zugleich fast absichtslos ein Zeichen gegen die Zerstörung der Schöpfung. Mehr kann Lyrik nach seinem Verständnis nicht leisten.