Deutliches Zeichen: Europa hat keinen Platz für Antisemitismus

Pinchas Goldschmidt wurde 1963 in einer jüdisch-orthodoxen Familie in Zürich geboren. Er verließ Moskau 2022 nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, nachdem er sich dem Druck, den Krieg zu unterstützen, widersetzt und die in Russland lebenden Juden zur Flucht aus dem Land aufgerufen hatte. Bereits im Juli 2011 wurde Goldschmidt zum Präsidenten der Konferenz der Europäischen Rabbiner gewählt.­ (c) Word Economic Forum/CC BY-SA 2.0 (via wikimedia commons)
Pinchas Goldschmidt wurde 1963 in einer jüdisch-orthodoxen Familie in Zürich geboren. Er verließ Moskau 2022 nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, nachdem er sich dem Druck, den Krieg zu unterstützen, widersetzt und die in Russland lebenden Juden zur Flucht aus dem Land aufgerufen hatte. Bereits im Juli 2011 wurde Goldschmidt zum Präsidenten der Konferenz der Europäischen Rabbiner gewählt.­
Datum:
7. Feb. 2024
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 06/2024

Mit der Vergabe des Karlspreises an Pinchas Goldschmidt macht das Karlspreisdirektorium deutlich: Jüdisches Leben ist ein wichtiger Teil europäischer Geschichte und Gegenwart.

In Würdigung seines herausragenden Wirkens für den Frieden, die Selbstbestimmung der Völker und die europäischen Werte, für Toleranz, Pluralismus und Verständigung, und in Anerkennung seines bedeutenden Engagements für den interreligiösen und interkulturellen Dialog ehrt das Direktorium der Gesellschaft für die Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachen im Jahr 2024 den Präsidenten der Konferenz der europäischen Rabbiner, Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt, und gemeinsam mit ihm die jüdischen Gemeinschaften in Europa. Mit dieser Auszeichnung setzt das Karlspreisdirektorium das Signal, dass jüdisches Leben selbstverständlich zu Europa gehört und in Europa kein Platz für Antisemitismus sein darf. Jüdisches Leben ist ein wichtiger Teil der europäischen Geschichte und Gegenwart – jetzt und in Zukunft. Die Kirchenzeitung für das Bistum Aachen hat Stimmen zum diesjährigen Preisträger des Karlspreises zusammengetragen:

Bischof Dr. Helmut Dieser

(c) Bistum Aachen/ Andreas Steindl

Zusätzlich zum bald zweijährigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine eskaliert im Nahen Osten seit Monaten die Gewalt. Die Terrororganisation Hamas hat am 7. Oktober Israel überfallen und Menschen wahllos abgeschlachtet. Viele andere wurden entführt und gefoltert, bis heute sind Menschen in Gefangenschaft der Hamas.
Israel überzieht seitdem den Gazastreifen mit militärischer Gewalt, um Terroristen zu töten und ihre Organisation zu zerschlagen. Dabei sterben unzählige Menschen, auch viele Zivilisten.

In unserem Land verbreiten sich unverhohlen sehr erschreckende antisemitische Bekundungen, teils im Rückgriff auf unsere faschistische Vergangenheit, teils aus dem linksradikalen Lager, teils durch Migranten, die Israelfeindlichkeit und Antisemitismus aus ihren He­­­­­rkunftsländern importieren

Angesichts all dieser besorgniserregenden Radikalisierungen finde ich die Wahl des diesjährigen Trägers des Karlspreises als ein sehr mutiges und sehr willkommenes Zeichen.

Pinchas Goldschmidt steht für den nie aufgebbaren Dialog als einzig möglichem Weg zu Verständigung, Toleranz und Friedfertigkeit. Und er hat den Mut, dafür selber immer neu den ersten Schritt zu tun.

Heute müssen wir in Deutschland und in Europa gemeinsam dafür eintreten, dass kulturelle und religiöse Verschiedenheiten nicht zur Begründung von gegenseitiger Abgrenzung und Abwertung missbraucht werden. Religionsfreiheit, Freiheitlichkeit, Rechtsstaatlichkeit und demokratische Verfassung müssen weiter von allen Menschen, die hier leben, als Wert erkannt, geschützt und gefördert werden. 
Dafür setzt sich der Preisträger Pinchas Goldschmidt unverhindert ein. 
Auch ich als Bischof erkenne darin eine unaufgebbare Aufgabe unserer Kirche in unserer Gesellschaft.

Dompropst Rolf-Peter Cremer

(c) Domkapitel Aachen/andreas Steindl

Mit der Preisverleihung an Pinchas Goldschmidt wird ein besonderer Reprä-
sentant des europäischen Judentums geehrt.

Der Karlspreis, der sich der Zukunft Europas verpflichtet fühlt, weist damit auf das jüdische Leben in Europa hin, das unseren Kontinent seit Jahrhunderten bereichert. Gerade in Zeiten von Rassismus und vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass diese Kultur, die in der religiösen Dimension auch die Grundlage für das Christentum ist, immer ihren Platz in Europa haben muss. Mehr denn je steht Pinchas Goldschmidt dabei für den Dialog von Kulturen und Religionen.

Pfarrer Andreas Mauritz,  Mitglied im Arbeitskreis  christlicher Kircher (ACK)

(c) Bistum Aachen/ Andreas Steindl

„Die Entscheidung, den diesjährigen Karlspreis an Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt und die jüdischen Gemeinschaften in Europa zu vergeben, ist, wie ich finde, ein positives und starkes Signal in der aktuellen gesellschaftlichen und politischen Gemengelage. Ganz besonders, weil der Preis nicht allein an Herrn Pinchas Goldschmidt, sondern auch alle jüdischen Gemeinschaften in Europa geht. Diese erfahren dadurch eine wichtige Wertschätzung und Unterstützung in schwierigen Zeiten.“

Annette Diesler, katholische  Organisationsbeauftragte

(c) Bistum Aachen/Andreas Steindl

Ich finde die Wahl sehr gut, weil es eine logische Fortsetzung der Verleihungen der vergangenen Jahre ist. Er hat sich als Brückenbauer etabliert. Was mir sehr gut an dem Preisträger gefällt: Er sieht mehrere Perspektiven. Er sieht neben dem Leid der Juden auch das der Palästinenser. Mit seinen Worten „Wir glauben an das Selbstbestimmungsrecht von jedem Volk“ hat er sich klar positioniert und gesagt: „Wir müssen an einen Tisch.“ Goldschmidt ist einer, der sagt, dass alle einen Platz brauchen und niemand verdrängt werden darf. Als Nuance finde ich auch gut, dass ihm der Karlspreis nicht allein verliehen wird, sondern auch den jüdischen Gemeinden in Europa. Das zeigt nochmal, dass hinter der Person ganz viele stehen, die an der Arbeit beteiligt sind. Goldschmidt ist nun nach Papst Johannes Paul II. und nach Papst Franziskus der dritte Vertreter einer monotheistischen Religion als Preisträger. Schön fände ich, wenn mittelfristig auch ein Muslim oder eine Muslima den Preis erhalten würden.­    

Dr. Dirk Chr. Siedler, Pfarrer der Evangelischen  Gemeinde zu Düren, Islambeauftragter des Kirchenkreises Jülich

(c) privat

Die Auszeichnung von Rabbiner Pinchas Goldschmidt ist bereits oft als ein starkes Zeichen der Solidarität mit den jüdischen Gemeinden gewürdigt worden. Es wird ein engagierter Vertreter des interreligiösen Gesprächs ausgezeichnet. Er hat auch immer Muslime in den Dialog miteinbezogen. Nur, wenn Juden, Christen und Muslime ihre wechselseitigen Bezüge wertschätzen und achten, können Gewalt und Ablehnung überwunden werden – nicht nur in Israel, sondern auch bei uns.

Wir wissen: Es war ein langer Lernprozess für Christen, anzuerkennen, dass Jesus Jude war und blieb. Nach der Shoah hat ein radikales Umdenken christlicher Theologie eingesetzt. Immer stärker wurde die christliche Auslegung der Hebräischen Bibel (nicht mehr: ‚Altes‘ (überholtes) Testament) von Antisemitismen befreit. Das Verständnis Jesu wurde aus der jüdischen Überlieferung heraus immer weiter vertieft.

Die katholische Kirche hat bereits im II. Vatikanum die bleibende Erwählung Israels festgestellt, die Evangelische Kirche im Rheinland 1980. Wir sind diesen langen Lernweg längst noch nicht zu Ende gegangen.

Ich erinnere mich an interreligiöse Friedensgebete in der Dürener Christuskirche mit Rabbinern und Imamen. Heute merken wir, was das für ein Geschenk war, dass es diese Momente und Erfahrungen gab. Sie werden wieder möglich werden – aber im Moment scheint das kaum möglich. Wir werden unsere Kontakte zu jüdischen Gemeinden hierzulande intensivieren müssen. Eine Perfidie des Hamas-Überfalls lag darin, dass sie gerade Kibbuzim überfallen und Personen massakriert haben, die sich für eine Verständigung von Israelis und Palästinensern eingesetzt haben. Wie können Juden, Christen und Muslime wieder zueinander finden? In mein eigenes ratloses Schweigen höre ich auf das Jesus-Wort und hoffe: „Selig sind die Friedfertigen denn sie werden Gottes Kinder heißen.“