„Die spinnen, die Düsseldorfer!“, um es mal mit den Worten von Obelix zu sagen. Verlegen den Rosenmontag für diese Session auf den 29. Mai! Mal abgesehen davon, dass das ein Sonntag ist – haben die denn den tieferen Sinn von Karneval vergessen? Ehe die Fastenzeit beginnt, nimmt man Abschied von den Freuden des Lebens und lässt es dabei noch einmal so richtig krachen.
Zugegeben, früher waren das nur ein paar Tage, während sich das Abschiednehmen heute über Wochen hinzieht. Aber der kirchliche Bezug ist definitiv nicht zu leugnen. Ergibt sich der Termin des Rosenmontags doch aus dem Datum des Osterfestes. Vielleicht ist das dem einen oder anderen Fastelovendsjeck nicht mehr so geläufig, aber fromm sind sie unter dem Strich doch irgendwie.
Sehe ich da den einen oder die andere zweifelnd die Augenbrauen hochziehen? Bitteschön, wie würden Sie das denn nennen, wenn knapp zwanzigtausend Leute mit den Bläck Fööss singen: „Herr, verjevv uns all unser Sünde“? Überhaupt spielt die Musik im rheinischen Karneval eine große Rolle. Und speziell in Köln und im Umland der rheinischen Karnevalshochburg gibt es zahllose Lieder, die den christlichen Glauben widerspiegeln – was vielleicht den Begriff des „rheinischen Katholizismus“ mit ins Leben gerufen hat. Auffällig ist dabei, dass immer gern der „liebe Gott“ besungen wird, als ob die Rheinländer und ihr Herrjott eine besonders enge Beziehung zueinander hätten. Haben sie vielleicht auch, denn schon zu Jupp Schmitz’ Lebzeiten wurde aus voller Überzeugung gesungen: „Wir kommen alle in den Himmel, weil wir so brav sind.“ Oder mit den Worten der Bläck
Fööss gesungen: „Ich froch mich, wie weed et em Himmel, denn do kumme ich jo hin.“ Zwar hat das den einen oder anderen Geistlichen zum Protest herausgefordert, aber spricht aus diesen Zeilen nicht auch ein großes Vertrauen auf einen liebenden und verzeihenden Gott?
Gesündigt haben die Menschen immer und werden es wohl auch in Zukunft tun. Fastelovendsjecke bekennen das mit dem Lied der Höhner: „Der liebe Gott weiß, dass ich kein Engel bin.“ Und das ist von den Komponisten keinesfalls respektlos gemeint. Es geht um überschäumende Lebensfreude! Die lässt einen hin und wieder zwar mal über die Stränge schlagen, aber da vertraut man ganz und gar auf die Großzügigkeit Gottes. „Un dä Jott, an dä mer jlöuve, dä danz un singk un laach“ – wie sollte ein solcher Gott nicht Verständnis für Menschen in ihrer Unvollkommenheit aufbringen?
Trotz allgemein sinkender Kirchenbesucherzahlen verzeichnen die Messen oder Wortgottesfeiern der Freude zu Karneval weiterhin großen Zulauf – sie werden im Bistum Aachen von Viersen bis Mechernich gefeiert, meist am Tulpensonntag. Hierbei werden traditionelle Kirchenlieder gern durch kölsches Liedgut ersetzt. Aachen bildet da vielleicht eine Ausnahme von der Regel, wenn hier in St. Fronleichnam der „Joddesdengst met Kercheleddcher op Öcher Platt“ gefeiert wird.
Viele rheinische Karnevalslieder enthalten Glaubensbekenntnisse oder theologische Elemente: „Wir glauben an den lieben Gott“ (Höhner), „Kumm mer drinke uch met denne, die im Himmel sin“ (Kasalla), „Es gibt ein Leben nach dem Tod“, (Bläck Fööss). In diesen Melodien kommt ganz klar der Glaube an die Auferstehung zum Ausdruck.
„Lieder der Bläck Fööss können etwas, was Kirchenlieder auch gerne möchten, was ihnen aber nicht immer gelingt: die Menschen in Kopf und Herz erreichen“, sagte Laudator Wolfgang Oelsner, als sich die Bläck Fööss 2015 ins Goldene Buch der Stadt Köln eintrugen. Tatsächlich befassen sich etliche Lieder der kölschen Kultband mit dem Herrgott und christlichen Tugenden wie etwa „Mir all, mir sin nur Minsche, vür’m Herjott simmer glich“ oder „Drink doch eine met“ (hier geht es um die Einbeziehung einsamer und alter Menschen in die Gemeinschaft). Henning Krautmacher, Frontmann der Höhner, drückte das in einem Interview einmal so aus: „Religiöse Dinge spielen im Leben immer eine Rolle. Jeder hat so seine eigene Beziehung zu einem Gott.“
Deshalb kommen auch Stoßgebete in Karnevalsliedern immer wieder vor: „Oh, leever Jott, jevv uns Wasser, un helf uns en d’r Nut“, bitten die Bläck Fööss 1983, als die Bundesdeutschen bei Temperaturen um die 40°C schwitzen wie selten zuvor und die Pegel der Flüsse bedenklich absinken. Aber nicht nur altgediente Bands haben einen Draht nach oben. „Leeven Herjott, stonn uns bei“ singen etwa Kasalla, wenn Piraten die Stadt Köln zu überfallen drohen.
Cat Ballou dagegen widmen ein ganzes Lied dem elften Gebot, in dem von Moses Versäumnis, das elfte Gebot zu verkünden, die Rede ist. Und auch hier ist es wieder der verzeihende Gott, der sagt: „Is nit schlimm, Jung!“
In ihrem Lied an die Heimat ziehen die Räuber sogar Vergleiche mit dem Paradies.
Interreligiös wird es, wenn dieselbe Band bittet: „Allah, sei mir gnädig.“ In dem Song wird an einer Stelle Bezug genommen auf das Wunder, dass sich in Betlehem in einem Stall ereignete.
Und ganz grandios wird es, wenn die Rockband Brings dazu auffordert: „Nimm dir e Hätz un sing Halleluja!“ Diesem Aufruf zum Lob Gottes folgt in der Regel das gesamte Publikum. Erzeugt es nicht ein unglaubliches Gänsehautgefühl, wenn aus hunderten Kehlen ein „Halleluja“ zum Himmel schallt?
„Die wissen ja gar nicht, wovon sie singen“, werden jetzt die Skeptiker unter den Leserinnen und Lesern sagen. Die Gegenfrage muss dann aber lauten: Wer sagt uns denn, dass der Herrgott an solchen Gesängen nicht seine Freude hat? Was erdreisten wir kleine Menschlein uns eigentlich, wenn wir behaupten zu wissen, wie Gott „denkt und lenkt“? Wie und wen er richtet und was er gutheißt? „Wo man singet, wird kein Mensch beraubt; Bösewichter haben keine Lieder,“ dichtet Johann Gottfried Seume schon 1804. Im Gesang stehen die Fastelovendsjecke mit dem lieben Gott auf Du und Du. Was soll daran schlecht sein?
Karnevalslieder verbinden darüber hinaus Frohsinn mit der Realität des menschlichen Lebens. Das findet ganz aktuell seinen Ausdruck zum Beispiel in dem Lied „Liebe gewinnt“ von Brings. Darin heißt es: „Wir beten dafür, dass ‘n Wunder passiert und wir endlich kapier’n, dass wir alle gleich sind.“ Vertreter der Institution Kirche, die daran Anstoß nehmen, seien daran erinnert: Kinder und Narren sagen die Wahrheit!
Die Bläck Fööss thematisierten mit „Feschers Köbes“ den Aufstand im 11. Jahrhundert gegen Anno II. Das war anscheinend nicht das letzte Mal, dass die Kölner mit einem Erzbischof nicht klar kamen…
Im Übrigen ist nicht erwiesen, ob es Stephan Brings inspiriert, dass er im Bistum Aachen lebt – in einer der 44 Ortschaften Mechernichs.