Wassenberg. Irgendwann trifft es jeden: So wie das Leben einst wie aus dem Nichts begonnen hat, so ist gewiss, dass es eines Tages endet. Wenn man es sich aussuchen könnte, würden 75 Prozent den plötzlichen Herztod wählen. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Deutschen Hospiz- und Palliativverbands aus dem Jahr 2022.
Einfach umfallen und sterben – ohne Schmerzen, ohne das Bewusstsein, dass es jetzt zu Ende geht, ohne Angst. Den meisten Menschen bleibt dieser Wunsch verwehrt. „Nur fünf Prozent der Sterbefälle gehen auf einen plötzlichen Herztod zurück”, sagt Bärbel Fischer. Die Sozialpädagogin ist Koordinatorin beim ambulanten Hospizdienst Regenbogen in Wassenberg. Seit über 25 Jahren ist sie ehrenamtlich in der Hospizbewegung aktiv. Früher engagierte sie sich in Köln, seit zwei Jahren ist sie in Wassenberg. Mit ihrem Vortrag „Wie stirbt der Mensch?” gibt sie Einblicke in ihre Erfahrungen, untermauert von wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Was für Sterbende so wünschenswert scheint, ist für die Hinterbliebenen die größtmögliche Katastrophe. Denn ein plötzlicher Tod verwehrt das Abschiednehmen, das die Trauer erleichtern kann. Das ist der Grund, warum 25 Prozent der Befragten in der Umfrage lieber an einer Krankheit über zwei oder drei Jahre sterben würden – wenn es eine gute palliative Begleitung gibt. Auch für die Angehörigen kann das Abschiednehmen später ein wichtiger Bestandteil in der Trauerarbeit sein.
Noch ein interessantes Ergebnis: 90 Prozent würden gerne zu Hause sterben. Dieser Wunsch geht aber nur für 30 Prozent in Erfüllung. Dabei sei das durchaus möglich, sagt Fischer. „90 Prozent könnten zu Hause, begleitet von Familie, Hausärzten und Freunden sterben”, sagt Fischer. „Nur zwei Prozent sind auf eine palliative Behandlung angewiesen.” Die Realität sieht anders aus: Für 43 Prozent ist das Krankenhaus der Sterbeort. Nur zwei Prozent sterben in einem Hospiz. „Damit ein Mensch zu Hause sterben kann, braucht es ein gutes Pflegenetzwerk drumherum”, sagt Fischer. Dazu gehört bei Bettlägerigkeit auch medizinisches Personal. Soweit die äußeren Rahmenbedingungen.
Aber wie funktioniert das Sterben? Was passiert mit dem Menschen? Kann man sich auf ein gutes Sterben vorbereiten? Ein erfülltes Leben ist eine gute Voraussetzung. „Evolutionstechnisch hat der Mensch seine Aufgabe erfüllt, wenn er sein genetisches Material weit verbreitet hat”, sagt Fischer. Nun hat nicht jeder Mensch Kinder. War es dann ein vergeudetes Leben? – Nein. „Beim Rückblick auf das eigene Leben ist es wichtig, das Gefühl eines sinnerfüllten Lebens zu haben”, sagt Fischer aus ihrer Erfahrung als Sterbebegleiterin. „Dass man sagen kann: Ich habe es gut gemacht.” Beim Sterben geht es nicht nur um den körperlichen Verfall. „Die physische, psycho-soziale und die spirituelle Ebene sind gleichwertig”, sagt Fischer. „Auf allen Ebenen gibt es Schmerzen.”
Wer umgeben ist von Menschen, die er liebt und die ihn lieben, stirbt friedlicher. Was nicht heißt, dass es diesen Sterbenden leicht fällt, loszulassen. „Oft sterben Menschen just in dem Moment, in dem ihre Angehörigen kurz das Zimmer verlassen”, beobachtet Fischer immer wieder. Auch der Glaube hilft im Sterben, ist Fischer aufgefallen. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass gläubige Menschen aus ihrem Glauben sehr viel Kraft schöpfen”, sagt sie.
So individuell, wie der Mensch zu Lebezeiten ist, so individuell ist auch sein Sterben. „Der Mensch ist ein offenes, dynamisches, biologisches System, das sich in einem stetigen Wandel befindet”, beschreibt es Fischer. Sie vergleicht ihn mit einem Mobile: Bewegt sich ein Teil, bewegen sich auch die anderen. Auf den sterbenden Menschen übertragen heißt das: Verändert sich in einem Organ etwas, zieht das auch Veränderungen in den anderen Organen nach sich. „Außer bei einem Unfall stirbt der Mensch nicht auf einmal”, sagt Fischer. Vielmehr löst der Tod eines Organs eine Ereigniskette aus.
Es gibt Fälle, in denen bei Kranken der Tod schneller eintritt als die Ärzte erwarten. Und auch umgekehrt gibt es Menschen, die viel länger leben, als das ihre Blutwerte voraussagen. Die Ärzte stehen dann vor einem Rätsel. Insofern ist die Frage, wie der Mensch stirbt, nicht vollkommen zu klären. Aber bei Kranken wie bei alten Menschen gibt es oft Vorboten, wenn diese auch nicht immer als solche erkannt werden.
Schon Wochen oder Tage vor dem Tod kann er sich in Form von Müdigkeit und Schwäche anmelden. Auch Körperfunktionen wie die Verdauung können eingeschränkt sein. Bei Kranken kann es zu Bettlägerigkeit und Pflegebedürftigkeit kommen. Erstes Anzeichen, dass der Sterbeprozess beginnt, kann auch undeutliches Sprechen sein. Die Muskulatur wird schwächer. In der akuten Sterbephase wird das Bewusstsein immer eingetrübter. Die Grenze zwischen Realität und einer Traumwelt verschwimmt beim Sterbenden. Manche reden mit bereits verstorbenen Personen. „Viele Sterbende sind dann nicht mehr bei Bewusstsein”, sagt Fischer. „Ich glaube aber, dass sie spüren, wenn jemand bei ihnen ist und sich um sie kümmert.”
Sterbende wollen oft nicht mehr trinken und essen, weil der Stoffwechsel herunterfährt. Nach und nach werden die Körperteile, die am weitesten vom Herzen entfernt sind, nicht mehr durchblutet. Im Gesicht zeichnet sich der Tod immer mehr ab: Die Wangen fallen ein, die Haut wird wächsern, die Nase spitz. Der Mund steht offen, weil die Muskulatur keine Kraft mehr hat. Der Atem wird flacher, und es kommt zu Atemaussetzern, die immer länger werden. Das passiert, weil das Herz immer langsamer schlägt. Schließlich hört es auf zu schlagen, und die Atmung setzt aus. Der Mensch ist gestorben.