Der Zauber einer Orgel

Die Sanierung des Instruments in der Brandts-Kapelle ist der letzte große Schritt bei den Sanierungsarbeiten

Orgelbaumeister Martin Scholz, Architekt Ekkehard Mertens, Tak-Leiterin Schwester Luzia und  der Vorsitzende der Stiftung Volksverein Hans-Werner Quasten (v. l.) sorgen dafür, dass die Brandts-Kapelle mit ihrer Orgel bald wieder in voller Schönheit genutzt werden kann. (c) Andreas Baum
Orgelbaumeister Martin Scholz, Architekt Ekkehard Mertens, Tak-Leiterin Schwester Luzia und der Vorsitzende der Stiftung Volksverein Hans-Werner Quasten (v. l.) sorgen dafür, dass die Brandts-Kapelle mit ihrer Orgel bald wieder in voller Schönheit genutzt werden kann.
Datum:
13. Juli 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 28/2021 | Garnet Manecke

Nur noch wenige Wochen wird es dauern, bis die Brandts-Kapelle am Treff am Kapellchen (Tak) wieder genutzt werden kann. Die Sanierung ist fast abgeschlossen, es werden gerade noch Feinarbeiten gemacht. Auch die Orgel wird zurzeit umfassend gereinigt, repariert und restauriert. Ein Besuch.

Martin Scholz entlockt der Orgel die ersten klaren Klänge seit Jahren. In ein paar Wochen kann sie wieder Gottesdienste begleiten. (c) Garnet Manecke
Martin Scholz entlockt der Orgel die ersten klaren Klänge seit Jahren. In ein paar Wochen kann sie wieder Gottesdienste begleiten.

„Herr Scholz ist noch in der Orgel“, sagt die Mitarbeiterin, während sie den eisernen Riegel wieder vor die Kirchentür schiebt. Der Weg über die enge steinerne Wendeltreppe hinauf zur Orgelempore ist kurz. In der Brandts-Kapelle ist halt alles ein wenig kleiner als in einer Kirche. Das gilt auch für die Orgel. Wer sich an den Spieltisch setzen will, muss sich durch einen schmalen Durchgang zwängen. Auch um die Pfeifen aus der Orgel aus- und einzubauen, ist eine zierliche Statur günstig. Anfang des 20. Jahrhunderts waren die Menschen eindeutig noch kleiner als heute.

Auf 1907 schätzt Orgelbaumeister Martin Scholz das Baujahr des Instruments in der Brandts-Kapelle. „Sie ist auf jeden Fall ein alter Schatz aus der Zeit von 1907 bis 1912“, sagt er. „In Erkelenz habe ich mal so eine Orgel restauriert, die war von 1910, und diese hier ist älter. Irgendwo ist noch eine Pfeife, auf der das Datum steht.“

Das große Pech der Orgel war, dass sie nicht in einer Hauptkirche, sondern in einer kleinen Kapelle steht. „Es war wohl nie Geld da, deshalb wurde immer nur das Nötigste daran gemacht“, sagt Scholz. Der Geldmangel ist aber zugleich auch das Glück dieses Instruments. „Es wurde nichts zerstört, weil jemand etwas Neues eingebaut hat. Sie ist im Original erhalten, und man kann was machen.“

Seit vielen Jahren sind die Flöten verstummt: „Ich bin nun schon fünf Jahre hier und höre die Orgel heute zum ersten Mal“, freut sich Schester Luzia, Leiterin des Tak. Die kleine Kapelle wird vom Tak-Team für Gottesdienste und kulturelle Veranstaltungen genutzt. Bald kann es hier auch Orgelkonzerte geben.

Für ihren Klang war die Orgel nie berühmt – im Gegenteil. „Als ich sie das erste Mal angesehen habe, war das fürchterlich“, erinnert sich Martin Scholz an den Moment vor sechs Jahren, als er die Orgel das erste Mal richtig begutachtet hat. Dabei kennt er sie streng genommen schon seit seiner Kindheit. Sein Vater Viktor Scholz war von 1958 bis März 2000 Kantor der Münster-Basilika in Mönchengladbach. „Ich wusste also, dass hier eine Orgel steht“, sagt er. Was er nicht wusste: In welchem Zustand genau sich das Instrument befand. Das fanden er und Architekt Ekkehard Mertens erst im Lauf der Sanierungsarbeiten in der Kapelle heraus.

Mit jedem Schritt traten bei den Arbeiten neue Baustellen zutage. Als die Orgel abgebaut wurde, um sie vor dem Baustaub zu schützen, kamen dahinter weitere Feuchtigkeitsschäden im Mauerwerk ans Licht. Das war einer der Gründe, warum die ursprünglich kalkulierten Kosten für die Sanierung der Kapelle von 700000 Euro auf 1,3 Millionen Euro angestiegen sind. Davon entfallen 60000 Euro auf die Sanierung der Orgel, die vollständig aus Eigenmitteln gestemmt werden müssen. Im Fall des Tak heißt das, weiter um Spenden zu werben.

Gute zwei Jahre hat die Orgel, zerlegt in ihre Einzelteile, in einem Lager überstanden. Nun wird jede Orgelpfeife sorgfältig gereinigt, bevor sie wieder eingesetzt wird. Das ist zuweilen ein Knochenjob, denn die größte Flöte der Holzbässe ist drei Meter lang und entsprechend schwer. „Als ich die Orgel kennengelernt habe, hat eigentlich nichts mehr funktioniert“, sagt Scholz. „Wenn die Orgel nachher wieder fertig hier steht, dann muss alles laufen.“ Das bedeutet vor allem: Es muss klingen.


Auch wenn sie fertig ist, wird man ihr das Alter ansehen

Schon jetzt ist zu hören, wie die Orgel in eine paar Wochen klingen wird. Martin Scholz gibt den Verantwortlichen der Kapellen-Sanierung eine kleine Kostprobe. Was er da höre, habe gar nichts mehr mit dem Klang zu tun, an den er sich noch erinnern könne, sagt Münsterkantor Klaus Paulsen. „Ich kenne die Orgel noch von früher, und sie hatte einen furchtbaren Klang“, berichtet er. „Aber man konnte damals schon hören, dass sie toll ist.“

Schon bald will er Stücke von Mendelssohn darauf spielen. „Man darf ja nicht vergessen, dass die Komponisten jener Zeit die Stücke für solche Instrumente komponiert haben.“
Es sind die Details, die faszinieren, wenn man mit Martin Scholz über die Orgel spricht. Die Acht-Fuß-Prospekte zum Beispiel, von denen die Orgel einige hat und die es ihr erlauben, verschiedene Stimmen in den gleichen Lagen zu spielen. Oder die Knöpfe am Spieltisch, auf die die Sonne gerade durch die bunten Kirchenfenster ein rosa Licht schickt. „Die sind noch im Original erhalten“, freut sich Scholz. Mit ihnen lassen sich die Tastaturen koppeln und die Stimmen steuern.

Die Orgel ist das I-Tüpfelchen bei den Sanierungsarbeiten. Wenn sie fertig ist, dann ist auch der Rest der Kirche fast fertig. Zumindest gibt es dann keine staubintensiven Arbeiten mehr. Jeden Tag nehmen sich Martin Scholz und seine Mitarbeiterin eine Stimme vor, heute ist die Traversflöte dran. Ein kleiner grauer Metallkasten hilft, den perfekten Ton zu finden.

Mit dem Gerät kann er die Raumtemperatur einstellen, bei der die Orgel in Zukunft gepielt wird. Der Stimmkasten rechnet ihm aus, mit welcher Herzfrequenz der Ton eingestellt werden muss. „Danach müssen wir nur noch das Gehäuse überarbeiten “, sagt Scholz. Am Ende wird man der Orgel weiter ihr Alter ansehen. Die Risse und Kerben im Gehäuse werden auch zukünftig davon erzählen, dass das Instrument zwei Weltkriege überstanden hat. Es gibt eine Fotografie von der Brandts-Kapelle, worauf sie von Trümmern umgeben ist. Ein Sinnbild für das Leben derer, die sich hier in der kleinen Kapelle versammeln: Langzeitarbeitslose, Obdachlose und andere, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Für sie wird die Orgel bald erklingen. „Sie wird zauberhaft sein“, verspricht Martin Scholz.