Zu Weihnachten richtet sich unser Blick auf die Geburt Jesu Christi. Der Advent war eine Zeit der Erwartung, der Vorbereitung und der Hoffnung. Was bedeutet diese Geschichte von der Geburt für uns heute? Was können wir aus der Erzählung, von der Verkündigung bis zur Flucht nach Ägypten, lernen? Wie können wir in einer Welt des ständigen Wandels und der Herausforderungen eine Haltung der Zuversicht entwickeln? Der Schlüssel dazu liegt vielleicht in einem Wort, das uns auch durch diese Erzählung hindurch begleitet: Veränderung.
Alles beginnt mit einer unerwarteten Veränderung. Der Engel Gabriel erscheint der jungen Maria und verkündet ihr, dass sie die Mutter des Erlösers werden soll. „Fürchte dich nicht, Maria“, sagt der Engel, „denn du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben“ (Lk 1,30-31). Für Maria ist diese Botschaft ein tiefgreifender Einschnitt in ihr Leben. Sie lebt in einer patriarchalen Gesellschaft, in der von Frauen wenig Eigenständigkeit und viel Anpassung an die traditionellen Lebensrollen erwartet werden. Doch nun steht ihr Leben plötzlich auf dem Kopf. Ein Wunder wird geschehen – nicht nur in ihrem Körper, sondern auch in ihrer ganzen Existenz.
Für Maria ist die Botschaft des Engels eine Einladung zur Veränderung. Und sie akzeptiert diese Einladung. Ihre Antwort, „Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du gesagt hast“, zeigt eine tiefes Vertrauen in Gottes Plan. Sie lässt sich auf das Unvorhersehbare, Unerwartete ein und öffnet sich für das Neue, das Gott ihr zutraut.
Vielleicht erleben auch wir in unserem Leben Momente, in denen Veränderung uns plötzlich vor große Herausforderungen stellt. Die Geburt eines Kindes, der Verlust eines geliebten Menschen, eine plötzliche berufliche Neuorientierung oder die Notwendigkeit, die eigene Lebensweise zu überdenken – all das sind Veränderungen, die uns vor Fragen und Unsicherheiten stellen. Doch wie Maria sind auch wir eingeladen, auf Gottes Ruf zu hören, nicht in Panik zu verfallen und die Veränderung nicht als Bedrohung zu sehen, sondern als Chance, in einem neuen Licht zu wachsen.
Die Geburt Jesu ist die nächste Station in dieser Geschichte. In Bethlehem, fernab von allem Prunk, in einem einfachen Stall, wird der Erlöser der Welt geboren. Der Ort und die Umstände dieser Geburt sind alles andere als das, was man sich für einen König vorstellen würde. Kein prächtiger Palast, keine hochwohlgeborenen Gäste, sondern einfache Hirten und Tiere, die Zeugen dieses Ereignisses werden. Doch gerade in der Einfachheit und Armut zeigt sich die wahre Größe dieses Moments.
Die Geburt Jesu im Stall erinnert uns daran, dass Veränderung oft nicht nach unseren Vorstellungen oder Wünschen verläuft. Sie kommt nicht immer in glänzenden, festlichen Formen, sondern kann sich in den unscheinbaren und unerwarteten Momenten unseres Lebens offenbaren. Vielleicht haben auch wir schon Zeiten erlebt, in denen wir uns etwas anderes erhofft haben – mehr Komfort, mehr Sicherheit, mehr Kontrolle über unser Leben. Doch oft sind es gerade die einfachen, unscheinbaren Momente, in denen wir Gott am stärksten erfahren. Veränderung heißt nicht immer, dass es etwas „Besseres“ wird, sondern, dass Gott uns oft gerade in den schwierigen oder unauffälligen Zeiten begegnet und uns auf eine tiefere Weise nahe ist.
Die Haltung der Hoffnung und des Vertrauens, die uns in dieser Szene entgegenkommt, ist für uns heute von großer Bedeutung. Für jeden persönlich in seinem eigenen Lebensentwurf. Und auch den pastoralen Veränderungen in unserem Bistum Aachen, die uns immer wieder vor neue Aufgaben und Herausforderungen stellen, können wir mit Mut, Zutrauen und Hoffnung begegnen. Veränderung bedeutet nicht immer, dass alles sofort besser oder perfekter wird. Sie kann uns aber zu einem neuen, tieferen Verständnis von Gottes Gegenwart und Wegbegleitung führen.
Nach der Geburt Jesu ist das Leben der Heiligen Familie alles andere als ruhig. Der König Herodes, der von der Geburt des Messias bedroht ist, lässt alle männlichen Kinder in Bethlehem ermorden. Joseph erhält im Traum den dringenden Auftrag, mit Maria und dem Kind nach Ägypten zu fliehen, um Jesus vor der Gefahr des Mordes zu schützen. Diese erneute Veränderung im Leben der Heiligen Familie ist alles andere als einfach. Sie muss ihre Heimat verlassen, in ein fremdes Land fliehen und sich eine neue Existenz aufbauen.
Doch auch in dieser dramatischen Wendung des Lebens bleibt der Glaube der Heiligen Familie unerschütterlich. Sie vertraut auf Gottes Führung, auch wenn sie den nächsten Schritt nicht kennen können. Die Flucht nach Ägypten ist ein Zeichen für uns, dass Veränderung nicht immer angenehm ist und uns oft in Ungewissheiten führt, die wir nicht kennen oder die uns beunruhigen. Doch genauso wie die Heilige Familie von Gott begleitet wurde, dürfen wir darauf vertrauen, dass Gott uns in den unsicheren Phasen unseres Lebens nicht alleine lässt. Veränderung bedeutet nicht, dass wir alles alleine schaffen müssen – im Gegenteil: Gerade in den schwierigen Phasen sind wir eingeladen, auf die göttliche Begleitung zu vertrauen.
Auch die Entwicklung der Pastoralen Räume im Bistum Aachen erfordert eine ähnliche Haltung des Vertrauens und der Offenheit für Veränderung. Der Weg in neue Strukturen, in neue Formen des kirchlichen Lebens und der Zusammenarbeit mag uns verunsichern. Doch wenn wir uns auf diese Veränderungen einlassen und darauf vertrauen, dass Gott uns darin begleitet, kann auch in dieser Ungewissheit eine neue Chance zur Entfaltung von Gemeinschaft und Glauben liegen.
Der Advent war eine Zeit der Erwartung und der Hoffnung. Die Geschichte der Geburt Jesu zeigt uns, dass Veränderung nicht nur unvermeidlich ist, sondern dass sie vielmehr auch zu einer Quelle der Heilung und des Segens werden kann. In den Momenten der Unsicherheit und des Umbruchs sind wir eingeladen, wie Maria, Joseph und die Hirten den Weg der Zuversicht zu gehen.
In einer Zeit, in der auch wir im Bistum Aachen vor großen Veränderungen stehen, können wir diese Haltung der Zuversicht übernehmen. In den pastoralen Räumen wird es neue Formen der Zusammenarbeit, der Gemeinschaft und der pastoralen Gestaltung geben, und die Orte von Kirche werden sich als Kristallisationspunkte kirchlichen Lebens vor Ort entfalten und weiter entwickeln. Diese Veränderungen fordern uns, aber sie bieten auch die Möglichkeit, unseren Glauben auf neue Weise zu leben und weiterzugeben. Wie die Heilige Familie in ihrer Flucht und der Geburt Jesu in bescheidenen Verhältnissen, können auch wir in den Veränderungen des Lebens eine tiefere Verbindung zu Gott und zu den Menschen um uns herum finden.
Veränderung ist der Weg, den Gott selbst in der Geschichte gegangen ist und der uns auch heute begleitet. Wir sind nicht allein auf diesem Weg – Gott ist mit uns. Und so können wir inmitten all unserer persönlichen und gemeinschaftlichen Umbrüche mit Hoffnung und Vertrauen auf die Zukunft blicken. Gottes Verheißung gilt auch uns: „Siehe, ich mache alles neu.“
Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien ein frohes und gesegnetes Weihnachtsfest.
Jan Nienkerke, Generalvikar